Streetwork: Alltag Prostitution
Stricher werden in unserer Gesellschaft noch immer stigmatisiert. Dass es Menschen gibt, die Geld für Sex nehmen wird nicht akzeptiert. Das ist auch der Grund dafür, dass sich viele, für das, was sie tun, schämen. Das BASIS-Projekt in Hamburg war in den 80ern die erste Einrichtung für Stricher in Europa. Während es heute in mehreren Städten solche Einrichtungen gibt, sind die Mitarbeiter aus Hamburg noch immer die Einzigen, die nicht nur Präventionsmaßnahmen für Stricher anbieten, sondern sich auch mit den Freiern beschäftigen. Denn HIV geht beide Seiten etwas an. Wir haben mit Gerhard Schlagheck vom BASIS-Projekt über Streetwork, Probleme und fehlende Akzeptanz in der Gesellschaft gesprochen.
Seit wann gibt es BASIS-Projekt und was deckt das Projekt alles ab?
Das BASIS-Projekt gibt es seit 1986 und hat den Auftrag der HIV- und AIDS-Prävention im Umfeld der männlichen Prostitution. Das heißt, wir arbeiten mit Strichern und Freiern. Unser Ziel ist es, dass sie, bei dem was sie tun, gesund bleiben.
Wie funktioniert das genau?
Wir machen das in drei Bereichen, die aufeinander aufgebaut und miteinander verzahnt sind. Ein Bereich davon ist das Streetworking, zwei Mal die Woche sind wir abends und nachts zu zweit unterwegs, an den Orten der Kontaktanbahnung. Das sind Kneipen in St. Georg, einige öffentliche Plätze, im Sommer auch im Park und in Pornokinos. In St. Pauli weniger, aber da wir auch mit Trans*menschen arbeiten, sind wir manchmal in der Schmuckstraße unterwegs. Das ist aber wirklich wenig, weil es keine männliche Bordell-Szene mehr auf St. Pauli gibt. Das ist früher einmal so gewesen, hat sich aber mittlerweile erledigt.
Woran können euch die Stricher denn eigentlich erkennen?
Wir sind erkennbar an unseren neongrünen Taschen, mit denen wir unsere Cruising-Packs verteilen. Damit kann man schon von weitem auf uns aufmerksam werden und uns erstmal beobachten und schauen, ob man uns okay findet oder ob man uns lieber aus dem Weg gehen will. Manchmal lösen diese neongrünen Taschen auch aus, dass die Leute uns hinterher rennen, um an Kondome ranzukommen. Diese Packs verteilen wir dann. Da sind Kondome und Gleitmittel drin. Darauf stehen unser Name und unsere Kontaktdaten.
Wann kann man euch denn in Euren Räumen aufsuchen?
Die Anlaufstelle ist an fünf Tagen in der Woche geöffnet. Wir haben hier ein Konzept des Schutzraumes, das heißt, wenn hier geöffnet ist, dann sind nur Jungs und junge Männer hier, die anschaffen gehen. Die Leute schämen sich häufig für das, was sie tun und hier in diesen Räumen, soll das ausgeschaltet werden. Das Ganze ist ein Schutz- und Erholungsraum. Das ist ganz wichtig für Menschen, die so ein unbeständiges Leben führen. Wir bieten ihnen an, hier vor Ort Dinge des alltäglichen Bedarfs zu erledigen. Duschen, Wäsche waschen, essen.
Nichts desto trotz sind diese Dinge sehr wichtig für die Prävention. Man nennt das strukturelle Prävention, das heißt, wenn Leute sich um ihren Körper kümmern, können sie ein besseres Körpergefühl entwickeln und sind dadurch in der Lage in Risikosituationen dieses Körpergefühl abzurufen. Das heißt, Leute schützen sich dann, wenn sie vorher gelernt haben, mein Körper ist mir wichtig. Dieses trainieren wir mit den Jungs. Viele unserer Besucher sind in sehr prekären Situationen, weil sie Schwierigkeiten mit Polizei oder Behörden haben und dabei unterstützen wir sie. Wenn sie ihre Lebenssituation verbessern wollen, dann bekommen sie von uns die nötige Hilfe. Wenn es etwas sehr Spezielles ist, dann vermitteln wir auch zu anderen Beratungsstellen.
Gibt es auch medizinische Hilfe?
Einmal pro Woche ist unser Arzt, Dr. Georg hier. Er ist aus Spenden finanziert, deshalb der schöne Name. Dr. Georg behandelt und untersucht ganz unbürokratisch, ohne Krankenversicherung, hier in unseren Räumlichkeiten.
Wie schaut es mit Schlafplätzen für Stricher aus?
Das ist unser dritter Bereich. Wir haben zwei Notschlafstellen, wo jemand, der anschaffen geht, für eine kurze Zeit niedrigschwellig übernachten kann. Das einzige, was er machen muss, ist ein Schlüsselpfand mitbringen und sich an die Hausregeln halten. Das ist dann schon mal ein Mehr an Entspannung, weil so jemand schon morgens weiß, wo er abends schlafen kann, was sonst nicht immer gegeben ist. Es ist aber eben nur eine Notschlafstelle, das geht für einige Wochen und dann gibt es eine kleine Pause. Man kann die Zeit hier natürlich nutzen, um eine „Anschlusswohnform“ zu finden. Sei es eine Wohnung, ein WG-Zimmer, eine öffentliche Unterbringung oder einen Schlafplatz bei einem Kumpel.
Was macht ihr, um die Jungs aus der Szene rauszuholen?
Grundsätzlich arbeiten wir akzeptierend, unser Ziel ist es gar nicht, sie aus der Szene rauszuholen. Wir glauben, wenn wir sie akzeptieren, in dem, was sie tun, dann akzeptieren sie auch das, was wir ihnen vermitteln wollen. Wenn jemand aus der Szene aussteigen will, dann werden wir gefragt und unterstützen denjenigen dabei. So haben wir keine Druckmechanismen. Wenn wir Druck ausüben, dann ist das Resultat eher, dass jemand untertaucht und verschwindet, dann haben wir gar nichts erreicht.
Wie viele von den Jungs, die ihr abends auf der Straße ansprecht, kommen dann auch wirklich am nächsten Tag zu euch?
Die allermeisten, die wir dort treffen, kommen irgendwann auch zu uns in die Anlaufstelle. Sie kommen vielleicht nicht immer nach dem ersten Kontakt, manchmal dauert es eine Weile, bis sie Vertrauen gefasst haben. Diese Jungs müssen erstmal kennenlernen, dass es auch anders geht. Deshalb dauert es manchmal eine Zeit lang.
Reicht es denn aus, die Leute auf der Straße in Englisch und Deutsch anzusprechen?
Nein, das reicht nicht aus. Sprachlich ist es manchmal eine Herausforderung. Die Hauptfremdsprachen, die wir brauchen sind Türkisch und Bulgarisch, deshalb ist das Wort „Streetwork“ auch zusätzlich in diesen beiden Sprachen auf unseren Taschen gedruckt. Unter unseren Kollegen, haben wir einen der Bulgarisch und einen der Türkisch spricht. Die beiden sind jeweils an vier von fünf Tagen hier. Ansonsten helfen wir uns mit gedruckten Materialien in verschiedenen Sprachen aus. Das sind teilweise Materialien der Deutschen AIDS-Hilfe, aber auch Selbstproduzierte. Es gibt auch Jungs, die nicht lesen und schreiben können, da helfen wir uns mit Piktogrammen aus. Viele Sachen kann man aber auch nonverbal über Mimik und Gestik ausdrücken. Bei manchen Sachen muss man nur aufpassen, in Griechenland und Bulgarien zum Beispiel sind Kopfschütteln und Nicken vertauscht. Das kann zu Missverständnissen führen.
Wie groß ist das Problem mit Drogen in der Szene?
Nach unserem Gefühl ist es aktuell eher zunehmend. Es wird viel gekifft und Alkohol getrunken, was aber wahrscheinlich eher dem geschuldet ist, dass viel von dem Geschäft in Kneipen stattfindet, wo es gewünscht ist, dass Alkohol getrunken wird. Manchmal machen Alkohol, Marihuana und die anderen Drogen diese schwere Arbeit ein wenig erträglicher für die Jungs. Zunehmend wird auch wieder Heroin konsumiert, was jahrelang gar nicht der Fall war. Manchmal wird gekokst, auch ausgehend von den Kunden. Chrystal Meth ist bei uns bisher zum Glück noch gar nicht aufgetreten, was ja ansonsten in der Schwule-Szene durchaus verbreitet ist. Manchmal höre ich auch von Crack, aber das war eher vor ein paar Jahren verbreitet.
Redet ihr mit den Jungs auch über den Drogenkonsum?
Ja, wir reden mit ihnen über alles, was sie berührt und belastet. Das Problem, was fast alle betrifft ist, dass man keine Möglichkeiten hat therapeutische Maßnahmen entgegenzunehmen, wenn man keine Krankenversicherung hat. Deshalb sind die Hilfsmöglichkeiten begrenzt. Es gibt bei uns ein paar Kollegen, die Akkupunktur anbieten, die den Suchtdruck mindert.
In wie fern wird euer Angebot auch von den Freiern genutzt?
Manchmal machen wir Veranstaltungen mit den Freiern. Neulich haben wir sie zu einer Art Abend der offenen Tür eingeladen. Da haben wir in einer großen Runde lustig zusammengesessen und haben uns unterhalten. Auf dieser Veranstaltung zusammen mit Hein & Fiete waren auch einige vor Ort.
Wie finanziert sich das Basis Projekt?
Weitgehend durch die Stadt. Vom Amt für Gesundheit und vom Amt für Jugend. Einige Dinge werden nicht von der Stadt bezahlt, die müssen wir aus Spenden bezahlen, Lebensmittel zum Beispiel. Die Tafel beliefert uns einmal die Woche. Der Arzt, Dr. Georg, und die Medikamente, die er verschreibt müssen aus Spenden finanziert werden. Wir benötigen auch immer Kleiderspenden, damit wir für Leute die gar nichts haben, immer etwas zum Wechseln hier haben.
Manchmal machen wir kleine Reisen, entweder nur zur Erholung oder mit einem inhaltlichen Anspruch. „Präventionsfahrten“ nennt sich das dann. Diese Reisen werden auch aus Spenden finanziert. Das hat für die Jungs dann einen besonderen Charakter. Wir erleben es immer wieder, dass Leute schon jahrelang in Hamburg leben, St. Georg aber noch nie verlassen haben. Deshalb fahren wir dann auch mal an den Hafen, mit der Fähre rüber nach Finkenwerder oder wir besuchen den Michel und die Elbphilharmonie. Demnächst fahren wir in den Hansapark. Dort gibt es manchmal so eine soziale Woche, da ist der Eintritt besonders günstig, oder er wird uns geschenkt.
Sind die Mitarbeiter hier ehrenamtlich beschäftigt?
Nein, alle sind Hauptamtliche. Im Prinzip haben alle einen pädagogischen Beruf, sind Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen. Es sollen keine Ehrenamtlichen sein, weil es in anderen Städten mal Versuche gab, dass sich die Interessierten dort für sexuelle Kontakte reinmogeln wollten. Wir würden damit diesen Schutzraum riskieren, deshalb machen wir das nicht.
Was muss sich deiner Ansicht nach verändern oder verbessern?
Wünschenswert ist immer, dass die Akzeptanz größer wird. Die Akzeptanz dessen, was die Leute hier tun. Die Akzeptanz dessen, dass es Leute gibt, die Geld für Sex bezahlen, dass es Leute gibt, die Geld für Sex nehmen. Es sollte selbstverständlich sein und nicht sowas verstecktes, diskriminierendes und stigmatisiertes in unserer Gesellschaft. Ich glaube, es ist der zweitgrößte Faktor in der Volkswirtschaft und trotzdem ist es das Abgelehnteste, was es überhaupt gibt. Gleichzeitig haben wir das neue Prostituiertenschutzgesetz, was nach unserer Erfahrung viel mehr Probleme auslöst, als das es Schutz bewirkt und da sollte man sich mal genau überlegen, ob man das wirklich so beibehalten will. Es treibt diejenigen, die sich nicht anmelden und registrieren, in eine gefährliche Grauzone. Es bewirkt, dass die Gefahr, in die sich die Leute begeben, deutlich ansteigt.
Mehr Informationen gibt es unter www.basis-projekt.de.
(js)
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30.03.2018
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