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© Highwaystarz-Photography

Im Interview Gesine Scheunemann, Ansprechpartnerin für die Gruppe befah

js - 08.03.2018 - 07:00 Uhr

Der Moment des Outings ist ein echter Befreiungsschlag für sich selbst. Doch was bedeutet es für die Eltern und andere Angehörige? Für sie ist die Situation nicht immer so leicht. Wir haben mit Gesine Scheunemann, Ansprechpartnerin für die Gruppe befah, über Ängste und Probleme der Familie gesprochen.

Was ist „befah“ und für was steht die Abkürzung?
Befah steht für „Bündnis der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen“. Mittlerweile bezeichnen wir uns aber als Eltern von queeren Kindern. Entstanden ist befah in den 80er Jahren und es gab bis 2016 auch einen Bundesverband, der sich allerdings aufgelöst hat. Es gibt aber noch eine ganze Reihe regionaler Gruppen.

Also gibt es befah noch in jeder größeren Stadt?
Ja, in Hannover, Paderborn, Stuttgart, Dresden und viele mehr. Es gibt eine ganze Reihe von regionalen Gruppen.

Wer kann zu euch kommen?
Zu uns können alle kommen, die Fragen haben. Im Grunde genommen haben wir zwei Standbeine. Das Wichtigste ist die „Erste Hilfe“ beim Outing des Kindes, weil es doch durchaus immer noch zu Irritationen führt. Gefühlschaos. Entweder „Ich habe gar nichts bemerkt“ oder „Ich werde plötzlich mit meiner eigenen Homophobie konfrontiert“. Wir sind alle nur Menschen und Spiegel der Gesellschaft. Wir haben ganz viele Fragen und Ängste, deshalb ist es das Wichtigste diese „Erste Hilfe“ und einen Austausch zu haben. Die Geschichte erzählen zu können und die Geschichte von anderen Eltern oder Angehörigen zu hören. Für die Eltern ist es schön zu hören, dass nicht nur sie selbst rumgeheult haben. Das kann ich auch von mir sagen. Ich habe am Anfang auch geheult und wusste gar nicht warum. Dann ist es auch so ein doppelter Konflikt. Auf der einen Seite die Irritation aufgrund des Outings, wenn es unerwartet kam und dann wird man mit diesen „negativen Gefühlen“ konfrontiert und hat dann auch noch ein schlechtes Gewissen. Das ist eine Summation und wenn man sich darüber einfach mal in der Gruppe austauschen kann, ist das gut. Manchmal helfen auch ein oder zwei Telefonate.

Das zweite Standbein ist: Sichtbar werden und die gesamte Community zu unterstützen. Wenn von der ganzen LGBT-Community nur ein Angehöriger aktiv werden würde, könnten wir eine ganze Menge mehr bewegen. Wir laufen beim CSD mit, wir sind im mhc durchaus aktiv und sind auf Tagungen. Als die „Demo für alle“ war, haben wir gesprochen. Die Bermuda-Inseln wollen die Ehe für alle schon wieder abschaffen. Das heißt, wir müssen einfach dran bleiben und unseren Kindern den Rücken stärken.


Gibt es bei den Treffen dann bestimmte Themen, über die geredet wird oder erzählt jeder, was ihn beschäftigt?
Nein, es stehen keine Themen fest. Wenn zum Beispiel neue Eltern da sind, dann gibt es erstmal eine Vorstellungsrunde, wo ich dann auch schaue, dass die neuen Eltern sich als Letzte vorstellen, damit die gleich ein bisschen mehr Zeit haben. Wir sind eine simple Selbsthilfegruppe im Austausch. Ich moderiere das eben ein wenig, aber darum geht es. Es geht ums Zuhören.

Welche sind die ersten Fragen, die Eltern stellen, wenn sie zu euch kommen?
Das ist sehr unterschiedlich. Es wird davon erzählt, dass ein Kind vor dem Outing lange krank gewesen ist. Bei den Jungs ist es nach wie vor die Angst vor HIV. Tatsächlich auch immer wieder: „Ich bekomme keine Enkelkinder“, wobei das bei Heterosexuellen genau so unsicher ist. Dann gab es mal eine Mutter, die voll und ganz hinter ihrer Tochter stand, aber als die Tochter zum ersten Mal bei ihrer Freundin übernachtet hat, ging es ihr plötzlich ganz schlecht, auch körperlich. Hat auf jeden Fall viel mit Gefühl zu tun.

Wie reagierst du dann und versuchst die Eltern zu beruhigen?
Was die Gefühle betrifft: Es wirklich zulassen. Es geht darum Geduld zu haben, denn das Kind hat sich nicht geändert, sondern nur die Brille, durch die man das Kind betrachtet. Das muss man erstmal verstehen, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Und auch, dass das Kind ja schon einen Weg gegangen ist. Wenn wir jetzt mal diesen Fall nehmen, dass ich als Mutter überhaupt nichts geahnt habe, dann kann es ja auch sein, dass ich plötzlich ein schlechtes Gewissen habe, „Warum habe ich nichts gemerkt?“ Das ist erstmal ein Gefühl der großen Verunsicherung, wenn ich plötzlich feststelle, mein Kind hat wohlmöglich Jahre lang damit gekämpft und ich schnall das einfach nicht. In unserem Kreis ist das möglich. Diese Gefühle sind nun mal da und müssen auch ausgesprochen werden.


Hattest du schon mal Eltern, die damit gar nicht klar kamen und vielleicht auch den Kontakt abgebrochen haben?
Nein, weil diese Eltern nicht zu uns kommen. Die sollten mal kommen. Wir hatten schon Eltern, die über einen langen Zeitraum gekommen sind und wirklich lange gebraucht haben, bis sie das wirklich so annehmen konnten. Verstand und Bauch ist ja zweierlei. Das wirklich auch emotional anzunehmen, da brauchen manche einfach länger. Ich kann mich auch an eine Mutter erinnern, die nicht mehr in die Gruppe kommt, die es aber bis zum Schluss auf keinen Fall wollte, dass ihr Sohn sein Outing öffentlich macht. Das war ein wenig die katholische Ecke. Ich habe schon auf Bundesebene gehört, dass manche Eltern in den Konflikt, Kirchengemeinde oder Kind kommen. Es wäre gut, wenn diese Eltern zu uns kommen würden. Hier in Hamburg hatten wir tatsächlich mal einen Besucher, der uns davon überzeugen wollte, dass unsere Kinder „geheilt“ werden können. Ihm haben wir auch gesagt, dass wir kein Interesse haben und nicht wollen, dass er wieder kommt.

Hattet ihr auch schon Eltern von Transgendern in der Gruppe?
Ja hatten wir, nicht besonders häufig, aber ist schon vorgekommen. Wenn Eltern mich anrufen, deren Kinder noch klein sind, also noch nicht in der Pubertät, dann verweise ich sie ans mhc, weil es dort eine professionelle Trans-Beratung gibt. Aber für den Austausch so, stehen wir natürlich zur Verfügung.

Hatten diese Eltern andere Bedenken, als die von Schwulen und Lesben?
Ja, das ist nochmal ein Unterschied, weil Transgender es in der Gesellschaft einfach viel schlimmer haben. Und es ist nochmal etwas anderes, wenn ich meinen Sohn fünfzehn oder zwanzig Jahre lang als Sohn gesehen habe und plötzlich soll es klick machen. Auch hier ist das Kind ja schon wieder einen langen Weg gegangen und dann steht man da plötzlich. Das fällt den Eltern schon teilweise nochmal schwerer. Ich glaube aber, wenn die Kinder noch sehr jung sind, ist es nochmal etwas anderes.

Hörst du von den Eltern, mit was die Kinder immer wieder zu kämpfen haben?
Meistens eher, dass die Kinder vor dem Outing tatsächlich krank waren. Wir hatten einen Fall mit Magersucht. Psychische und Physische Krankheiten bis hin zu Herzproblemen. Diese Mutter ist von einem Arzt zum Anderen gerannt mit ihrem Kind. Durch das Outing ist dann bei dem Kind aber ein Knoten geplatzt. Oftmals ist auch dieses Halb-Outing ein Thema. Mutter weiß es schon, Vater noch nicht. Die Oma ist schon so alt, soll sie es erfahren? Der eine Onkel weiß es, der andere nicht. Das ist auch nicht ganz einfach. Aber von dem Moment an, wenn sich das Kind vor dem ersten Familienmitglied outet, wird wirklich etwas losgelöst.

Möchtest du unseren Lesern noch etwas sagen? Hast du einen Tipp?
Was die Leser*innen betrifft: Durchaus auf uns aufmerksam machen. Uns einfach mal empfehlen und sagen „Hör dir das mal an“. Und allen Eltern und Angehörigen möchte ich sagen: Internet ist schön und gut, da bekommt man ganz viel, aber der persönliche Austausch ist immer nochmal etwas anderes.

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