Direkt zum Inhalt
© Archiv

CSD Lübeck Früher Straßenschlachten – heute laut, schrill und bunt

js - 03.08.2018 - 07:00 Uhr

Christopher Street Day: Mehr als an jedem anderen Tag im Jahr bekennt sich die LGBT*-Community zu ihrer Homosexualität, zur Vielfalt und zum Anderssein. Eine riesige Party in fast jeder Großstadt auf dieser Welt. Auch in Lübeck wird gefeiert und demonstriert, und zwar am 17. und 18. August. Christian Till ist erster Vorsitzender des Vorstands des Lübecker CSD e.V. Christian hat sich Zeit genommen, um mit uns über die gesellschaftliche und politische Lage, seine Wünsche und Vorstellungen und über die Community in Lübeck zu sprechen und mit uns einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Im letzten Jahr wurde die Ehe geöffnet und das Adoptionsrecht angeglichen. Ist es deiner Meinung nach überhaupt noch nötig, dass die Community auf die Straße geht und demonstriert?
Wir sind der Meinung, dass es trotz all dem weiterhin notwendig ist für gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen. Zum Beispiel ist ein Coming Out mit der Ehe für alle nicht automatisch einfacher und da reden wir auch über ein Coming Out am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Schule oder im Sportverein. Dort hat sich in den Köpfen mit der Entscheidung des Bundestages ja nicht so viel getan. Die Entscheidung im Bundestag war sicherlich ein großer Schritt, es macht deutlich, dass der Staat nicht länger gleichgeschlechtliche Paare diskriminiert, aber das ist natürlich noch lange nicht in der Gesellschaft angekommen.

Wie hoch ist die queere Sichtbarkeit in Lübeck? Und wie würdest du die Community in der Hansestadt beschreiben?
Ganz schwieriges Thema. Das beschäftigt uns seit Jahren. Gibt es überhaupt eine queere Community in Lübeck, oder gibt es nur wenige Akteure, die versuchen Schwule, Lesben, Bisexuelle und trans* anzusprechen? Ich möchte fast behaupten, dass es entweder keine oder nur eine kleine Community gibt. Die war sicherlich einmal größer, aber mit dem Wegbrechen der Angebote in der Stadt, also Bars oder Cafés, hat sich das viel ins Private zurückgezogen. Darunter hat natürlich auch die Sichtbarkeit gelitten. Wir als Lübecker CSD e.V. wir richten ja nicht nur den Christopher Street Day hier in Lübeck aus, sondern versuchen das auch ein Stück weit zu ändern mit der geringen Sichtbarkeit und probieren hier und da einen Fuß in das Stadtgeschehen zu setzen und damit auch wieder Sichtbarkeit herzustellen. Dort schauen wir, dass wir bei Sachen, wie beispielsweise der Ehrenamts-Messe oder bei kleineren Festen, einen Stand organisiert zu bekommen oder auch etwas in der gastronomischen Richtung. Wir bemühen uns auch, Spieleabende zu organisieren. Im Winter haben wir zudem unsere ganz erfolgreiche Queer-Cinema-Reihe, wo wir verschiedene Filme zeigen. So versuchen wir Sichtbarkeit herzustellen und auch den Zusammenhalt weiterhin sicherzustellen.

Was bedeutet das Motto #LebtLiebe für euch? Was hat euch dazu inspiriert?
Wir hatten ja im letzten Jahr das Motto „Achtung“, mit Sicht auf Respekt und Haltung und da haben wir uns gefragt, was „Achtung“ noch toppen kann, also der Achtung vor dem Nächsten. Das war eine lange Diskussion, bevor wir dann zu #LebtLiebe gekommen sind, denn letztendlich ist es das. Die Steigerung, der bloßen Achtung vor jemandem ist natürlich dann schon Verständnis, Zuneigung und Akzeptanz. Außerdem stehen wir auf diese romantischen Slogans hier in der Stadt. Daraus ist am Ende die Aufforderung #LebtLiebe geworden. Den Hashtag haben wir davor gesetzt, um ein wenig fortschrittlich auszusehen. Der CSD findet ja nicht nur auf der Straße statt, sondern auch viel in den Medien und vor allem in den sozialen Medien und da ist der Hashtag natürlich ein gängiges Mittel, um sich miteinander zu verbinden und Botschaften miteinander zu teilen. Das funktioniert auch ganz gut, wenn wir uns Facebook, Twitter und Instagram anschauen.

Bezüglich der Organisation: Liegt ihr gut im Zeitplan?
Wir ziehen ja mit unserem Straßenfest um. Wir packen Zelte, Stände und Bühnen ein und ziehen von der Obertrave auf den Marktplatz um. Der ist ein bisschen größer, hat auch was Sicherheit angeht, nicht so viele Anforderungen. Der ist gut abgeschirmt, es gibt keine Wasserkante und so gab es das Übereinkommen, dass wir von der Obertrave, wo wir 10 Jahre lang zu Hause waren mit dem CSD, mit Sack und Pack auf den Marktplatz umziehen. Auch die Demo wird auf dem Marktplatz starten und dort wieder enden. Wir sind das aber gut und rechtzeitig angegangen und ich möchte behaupten, dass wir sehr gut im Zeitplan liegen.

Die Demonstration, beginnend mit der Auftaktkundgebung, startet auf dem Marktplatz. Von dort führt der historische Marsch durch die Holstenstraße und führt vorbei am Holstentor zum Lindenplatz, zurück durch die Innenstadt, über die Verkehrsknotenpunkte Lübecks und endet wieder auf dem Marktplatz mit dem Polit-Talk und dem CSD-Straßenfest.

Gibt es im Vergleich zum Vorjahr andere Herausforderungen zu bewältigen?
Die Stadt hat immer höhere Anforderungen an uns gestellt, was die Sicherheit betrifft, aber dem sind wir ja mit dem Umzug auf den Marktplatz schon nachgekommen. Ansonsten gibt es keine neuen Herausforderungen.

Was sind die Highlights beim CSD in diesem Jahr?
Also meine persönlichen Highlights sind in diesem Jahr die Lesung mit Johannes Kamm „Ich habe nichts gegen Schwule, aber…“. Im Willy-Brand-Haus kommen schwul-lesbisches Engagement und politische Bildung zusammen. Und auch das Straßenfest auf dem Marktplatz ist für mich ein Highlight.

Wie groß ist das Team, das hinter Lübeck Pride steckt?
Wir haben über 80 Vereinsmitglieder. Den harten Kern möchte ich so mit 20 Personen aufzählen. Da sind dann ganz viele Leute dabei, die sich da beim CSD auch einen Hut aufsetzen und sagen „hier bin ich verantwortlich“. Das teilt sich auf Demo, Straßenfest, Backstage-Bereich und Abschlussparty auf. Dann kommen da nochmal 30 bis 40 Leute hinzu, die uns unterstützen.

Mit wie vielen Besuchern rechnet ihr?
Das ist schwierig zu benennen. Das einzige, was wirklich gut gezählt wird, ist die Demo, welche ja auch von der Polizei begleitet wird. Mit 2000 aktiven Teilnehmern rechnen wir bei der Demonstration.

Gibt es in Lübeck Menschen oder Organisationen, die gegen die Pride sind?
Nein, haben wir noch nicht erlebt. Es gibt immer mal wieder solche Bemerkungen am Rande der Demonstration, aber sonst bemerkt man da nichts.

Wenn die Menschen nach dem CSD nach Hause gehen, welches Fazit sollen sie dann ziehen, wenn du es dir wünschen könntest?
Dass sie sich sagen: Ich warte und freue mich schon auf 2019. Dass sie wirklich begeistert gehen und dass sie ein nachhaltiges Erlebnis hatten, an das sie gerne zurückdenken. Aber auch, dass sie sagen: Ich habe etwas getan und mich engagiert. Das fängt an mit: Ich habe wenigstens mal ein Fähnchen dabei. Und geht über: Ich bin so wütend, ich habe ein Schild gemalt. Es ist eben eine Demonstration und ich glaube jeder von uns hat eine Meinung zur Gesellschaft oder zur Politik.

Nervt es dich, dass bei manchen Paraden und Demonstrationen das Feiern, statt einer politischen Botschaft im Vordergrund steht?
Ja, schon. Ich sage meist bei der Auftaktkundgebung: „Lasst den Sekt im Rucksack und holt die Regenbogenflagge raus“. Ich glaube, dass das so ein bisschen das Bild verfälscht, weshalb wir eigentlich da sind. Ich glaube schon, dass so eine Demonstration nicht total ernst sein muss, die kann fröhlich sein, vielleicht hat man vorher auch einen Sekt getrunken, aber ich denke, es gibt triftige Gründe, warum wir auf die Straße gehen. Und es gibt ja auch genügend Gelegenheiten nach der Demo zu feiern. Es gibt ja auch so diese Aussage, dass die kleineren CSDs immer die politischeren sind und ich glaube da ist etwas Wahres dran.

Was muss sich deiner Meinung nach gesellschaftlich und politisch noch ändern?
Die Themen Regenbogen-Familie und schwul-lesbische Partnerschaft müssen noch tiefer in der Gesellschaft verankert werden. Es muss den Leuten gleichgültig sein, ob das Gegenüber schwul ist, aber das ist es noch nicht. Es gibt noch viel zu viel Ablehnung und viel zu viele Vorurteile. Das Thema Regenbogen-Familie muss einfach in die Bildungspläne an Schulen aufgenommen werden. Meinetwegen kann das auch schon im Kindergarten starten.

Für gesellschaftliche Anerkennung kämpfen ist das Ziel der Community heute. Doch wer hat uns überhaupt so weit gebracht? Wir erinnern uns an Persönlichkeiten, die vor ein paar Jahren noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hatten. Manfred Bruns war bis 1994 Bundesanwalt am Bundesgerichtshof. Für ihn war es aufgrund des §175 nicht möglich, ein offen schwules Leben zu führen, er vertrat als Bundesanwalt jahrelang den Rechtsstaat, der ihm genau diese Freiheit nahm. Die Opfer wurden mittlerweile teilweise rehabilitiert, doch „die verkorksten Lebensläufe, die Chancen, die man diesen Menschen genommen hat, das wird nicht wiedergutgemacht“, sagte Manfred Bruns in einem Interview mit Schwulissimo im November 2017.

Bruns gilt als Vater zur Abschaffung des §175. Zusammen mit Volker Beck und Günter Dworek kämpfte er für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften. Bruns, Beck und Dworek haben wir es zu verdanken, dass die Community heute händchenhaltend auf der Straße spazieren gehen kann, ohne festgenommen zu werden.

Für den unglaublichen Zusammenhalt der LGBT*-Community, steht mehr als alles andere der Stonewall Aufstand, der in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 den Grundstein für den heutigen CSD legte. Die anwesenden Gäste der Schwulenbar in Greenwich Village, lehnten sich gewaltsam gegen die Beleidigungen und willkürlichen Diskriminierungen der Polizei auf. Zahlreiche Heteros solidarisierten sich dabei mit den Homosexuellen. Auch in den Tagen darauf war die Gemeinschaft spürbar, denn in Greenwich Village gingen die Aufstände gegen die Schikanen der Polizei weiter. Seit diesen Straßenschlachten mit der Polizei wird in New York der letzte Samstag im Juli als Gedenken an die Ereignisse genutzt. Das Fest ist bis heute das Vorbild für alle Christopher Street Days.

Rund zehn Jahre nach den Ereignissen in der Stonewall Bar gingen zum ersten Mal auch deutsche Männer und Frauen auf die Straße. In Bremen und Berlin begannen die ersten Christopher Street Days. Schätzungsweise gingen im ersten Jahr 400 Teilnehmer auf die Straße, um für die Rechte von Homosexuellen zu demonstrieren. Das damalige Motto lautete „Gay Pride“, also „Stolz aufs Schwulsein“

Die Entwicklung des Christopher Street Days zeigt, dass das gesellschaftliche Motiv teilweise in den Hintergrund gerückt ist. Aus den Aufständen ist eine große und schillernde Party entstanden. Auch der Mut sich zu inszenieren ist größer geworden. Schrille Kostüme und extravagante Outfits sind von den heutigen Paraden kaum noch wegzudenken. „CSD und Prides waren und sind ein wichtiger Ort des Kampfes für Respekt und gleiche Rechte. Die Debatten und Probleme ändern sich, aber das Streiten für Respekt steht im Mittelpunkt (…)“, sagte Volker Beck, „Vater der Ehe für alle“ in einem Interview mit Schwulissimo im August 2017. Auch meinte er, dass „unser Einsatz für Menschenrechte und gegen Diskriminierung weitergehen muss“.

Der gleichen Meinung, wie Christian Till, ist auch Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen Hamburg), der gegenüber Schwulissimo sagt: „Weil Gesetze auch nicht automatisch gesellschaftliche Einstellungen ändern, müssen wir uns weiterhin um Homophobie kümmern. Wir müssen den Gedanken von Vielfalt möglichst früh in der Schule etablieren, denn Toleranz wird nun mal nicht angeboren. Das muss jede Generation immer wieder neu erkämpfen.“
Wenn das mal kein Grund ist, bei deiner CSD-Demonstration Flagge zu zeigen. Wie Christian Till bei seiner Auftaktkundgebung sagt: „Holt die Regenbogenflagge raus.“

Auch Interessant

Im Interview

Diego Breittmayer

Der in Chile geborene Künstler kam vor 10 Jahren nach Deutschland. Hier konnte er endlich seinen Lebens-Traum verwirklichen, von Kunst zu leben.
Horst und Manuel

Pärchen April 2024

Dieses Paar fand sich auf Anhieb eigentlich nicht so toll und ist inzwischen das perfekte Traum-Familien-Glück samt harmonischem Landleben.
Mario Adrion

Ein neues Bild von Männlichkeit

Wer Mario Adrion noch nicht kennt, hat etwas verpasst – das deutsche Multitalent macht seit einigen Jahren Karriere in den USA.
Ausgequetscht

Niklas Jandusch

arbeitet als Chef-Steward und wurde auf einem Flug von Heidi Klum angesprochen, ob er nicht bei der neuen Staffel von >Germany‘s Next Topmodel< ...
Dennis und Kevin

Pärchen März 2024

Kein Feuerwerk konnte so strahlen wie die Augen dieser beiden: Denn an Silvester funkte es gewaltig zwischen ihnen.
Ausgequetscht

Aaron Knappstein

ist Mitbegründer und derzeitiger Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp vun 2017 e.V.“
Fynn und Polo

Pärchen Februar 2024

Dieses Paar beweist: Liebe kennt keine (Landes-)Grenzen und keine Sprachbarrieren ...