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Andrea Portale

Andrea Portale „Früher habe ich versucht besonders männlich zu sein, um meine Sexualität zu verstecken“

km - 09.07.2021 - 10:00 Uhr

Andrea Portale leitet den stationären Kundenservice in einem der größten Outlets Deutschlands. Mit Anfang zwanzig fing er mit dem Modeln an und trotz seinem guten Gefühl für Mode, passen seine Schuhe laut eigner Aussage nie zum restlichen Outfit. Er hat sich wie 6.000 andere Männer zur GQ Gentleman-Wahl 2021 beworben und hat es als erster offen Schwuler auf das Treppchen geschafft. Der dritte Platz ist eine schöne Botschaft gegen das veraltete Männerbild und ein Zeichen dafür, dass das Konzept Mann endlich neu gedacht wird. SCHWULISSIMO sprach mit dem 34-jährigen Andrea Portale über Schönheit, was es bedeutet ein Gentleman zu sein, seine Familie aus Sizilien und vieles mehr.
 

Was bedeutet Schönheit für dich?
Es bedeutet nicht, dass du besonders hübsch, sondern extrem authentisch bist und soziale Skills hast.

Man kann Schönheit also „lernen“?
Ja, genau. Zudem ist Schönheit sehr individuell. Was ich schön finde, kannst du wiederrum extrem hässlich finden und umgekehrt. Das Bild von Schönheit hat sich auch mit der Zeit gewandelt. Dieses typische Modelgesicht musst du gar nicht mehr haben. Es ist inzwischen breiter gefächert. Selbst bei Modelagenturen gibt es eine Rubrik, die sich „New Faces“ nennt und da können auch Menschen aufgenommen werden, die üblicherweise nicht in die Norm reinpassen würden. Schönheit hat heutzutage auch gesellschaftlich viele Facetten.

Wie stehst du zum Thema Eitelkeit?
Ich bin schon relativ eitel. Den Müll trage ich zwar schon mal raus ohne meine Haare gemacht zu haben, aber einkaufen würde ich so nicht.

Nicht mal nach einem Jahr Corona?
Erst recht nicht nach einem Jahr Corona, schließlich ist der Weg zum Supermarkt das absolute Highlight geworden. (lacht) Ich muss ganz ehrlich sagen, als eitler Mensch fehlt dir auch etwas. Man leidet wirklich darunter, wenn man sich nicht schick machen und seine Eitelkeit quasi ausleben kann.

Macht das auch was mit deiner Spontanität?
Kommt drauf an wo man hingeht, aber eigentlich bin ich relativ entspannt. Aber eine Grund-Eitelkeit haben wir alle, würde ich behaupten. Allerdings ist es mir dann wiederum egal wie mein Gegenüber aussieht, ich urteile da nicht oder achte bei meinen Freunden drauf. Das ist mir dann relativ egal.

Glaubst du in der LGBTI*-Community ist es auch relativ egal oder wird sich da auf Äußerlichkeiten fokussiert?
Ich glaube schon, dass in der Community auf Äußerlichkeit gesetzt wird. Je erfolgreicher und hübscher, desto angesehener bist du. Das ist ziemlich traurig.

Du hast als Fashion-Stylist gearbeitet – was macht für dich einen guten Style aus?
Auf jeden Fall sollte er deine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und dabei ist weniger manchmal mehr. Und ganz wichtig – egal wie die Trends aussehen, trag das, auf was du Bock hast und sei authentisch.

Was macht für dich einen Gentleman aus?
Hetero oder schwuler Gentleman?

Da differenzierst du schon?
Ja. Ich habe das für mich selbst festgemacht, was den schwulen Gentleman von heute ausmacht.

Okay, was macht für dich einen schwulen Gentleman aus?
Ein schwuler Gentleman müsste in meinen Augen zu seiner Sexualität stehen. Das ist das A und O. Außerdem sollte er mutig durchs Leben gehen und auf sein Herz hören, das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Er folgt keinen Idealen, sondern löst sich davon, ist authentisch und steht zu sich selbst. Und das Wichtigste überhaupt: Sich bei allem was man tut nicht zu ernst zu nehmen. Das ist meine Devise, sonst geht viel Humor verloren.

Was unterscheidet dich vom typischen Gentleman?
Ich bin nicht so muskulös, habe weder Frau noch Kind zu Hause oder überhaupt ein eigenes Haus. Außerdem habe ich ein anderes Weltbild bzw. Ziele als der klassische Gentleman von früher. Deshalb wollte ich mich anfangs auch gar nicht bewerben bei GQ Gentleman 2021. Man hat eben ein typisches Männerbild im Kopf und da passte ich meiner Meinung nicht rein. Ich habe meine Teilnahme immer aufgeschoben. Bis dann der Chefredakteur von GQ einen Beitrag von mir auf Instagram geliked hat. Das war einen Tag vor Bewerbungsschluss und ich habe alles noch fertiggemacht und hatte relativ zügig die Rückmeldung. Ich habe es aber wirklich nicht gedacht.

Andrea Portale © instagram.com/andreaportale

Du hast verschiedene Challenges gemacht, wie lief das ab?
Das war alles durchgetaktet. Vor Ort in Baden Baden unter strengen Hygienemaßnahmen wurde uns in einem Briefing mitgeteilt, das es acht Challenges geben wird, aber wir wussten nicht wie die aussehen werden. Dann wurde sich zu einer bestimmten Uhrzeit getroffen und verkündet: „Challenge XY findet jetzt statt“.
Die schlimmste Aufgabe involvierte ein Trampolin, die musste ich nach über zwei Minuten abbrechen. Das war wirklich unangenehm, aber ein echter Gentleman steht auch zu seinen Schwächen (lacht).

Was war die coolste Challenge?
Innerhalb von 90 Sekunden bist du als Beifahrer durch einen Rennparcour gerast und musstest Fragen beantworten, während du dir ein Hemd anziehst und eine Krawatte bindest. Da habe ich sogar gewonnen und das Witzige dabei ist, dass ich noch am Vorabend gelernt habe, wie man eine Krawatte bindet. Ich dachte mir, ich kann doch hier nicht antreten und nicht wissen wie das geht.

Wie empfindest du die Diversität bei diesem Event und passiert hier ein Wandel, da du bereits gesagt hast, dass der klassische Gentleman ein ganz anderer ist.
Mittlerweile gab es einen schönen Wandel, was wiederum für mehr Sichtbarkeit unserer Community sorgt. Das ist eine tolle Entwicklung in die richtige Richtung. Dadurch, dass es eben auch nicht nur einer in die Auswahl geschafft hat als „Quotenschwuler“ und ich es bis auf das Treppchen geschafft habe, zeigt man ernsthaftes Interesse.

Das ist auch wichtig, da solche Events auch eine gewisse Vorbildfunktion erfüllen sollten und es nicht mehr dieses eindimensionale Bild eines Mannes gibt. Vielleicht habe ich durch den dritten Platz auch wieder Männer inspiriert, sich nicht zu verstecken oder sich sogar für nächstes Jahr zu bewerben?

Was macht dieses toxische Männerbild mit einem?
Man versteckt sich. Ich habe vor meinem Outing mit 20 auch nur eine Rolle gespielt, damit man eben nicht auffällt. Und sobald ich mich davon losgelöst habe und 100 Prozent zu mir stand, war ich der Mensch der ich wirklich bin. Es ist ein veraltetes Konzept und doch muss man immer wieder darauf hinweisen.
In den Kommentaren zu einem Interview von der Stuttgarter Zeitung habe ich Dinge gelesen wie: „Warum berichtet man darüber? Sowas ist doch selbstverständlich.“ Für die Person und deren Umkreis vielleicht, aber für so viele Menschen eben nicht und deshalb ist Sichtbarkeit immer wichtig. Zudem wird in TV Produktionen immer der Klischee-Schwule abgebildet, da ist Vielfalt und ein anderer Blick immer gut.

Andrea Portale

In der Jury von GQ war unter anderem Ex-Fußballer Hans Sarpei. Fußball und Homosexualität ist ja auch so ein Thema. Hast du dich mit ihm darüber ausgetauscht?
Ich hatte mit ihm kaum Berührungspunkte. Aber ich komme aus einer Fußball-Familie und ich hatte daher Angst mich zu outen, da wirklich alle gekickt haben. Der Sport ist leider nicht bekannt für eine Offenheit gegenüber Homosexualität. Es wird sich vermutlich aus gutem Grund erst nach der Karriere oder gar nicht geoutet, was ich persönlich sehr schade finde, da Fußballer eine große Reichweite haben. Meine Karriere als Torwart habe ich mit 11 Jahren beendet, nachdem ich mir durch einen harten Schuss beide Daumen gebrochen habe. Mein Outing war zum Glück nicht so schlimm und schmerzhaft (lacht).

Schön, dass dein Outing anders als deine Fußball-Karriere positiv verlaufen ist.
Ja, meine Eltern haben sich am Anfang auch gefragt, ob ich mich jetzt schminke oder eine Perücke trage, aber sie haben zu der Zeit auch gar nicht mehr in Deutschland gelebt. Die Nähe hat dann natürlich etwas gefehlt, aber ich habe viel mit ihnen gesprochen und klar gemacht, dass ich mich nicht verändert habe. Sie haben das dann auch schnell akzeptiert, was nichts selbstverständlich ist bei einer sizilianischen Fußballfamilie. Die katholische Kirche hat einen großen Einfluss und prägt dort schon sehr das Bild von Homosexuellen. Früher hat mein Vater einmal gesagt: „Gott sei Dank haben wir keine Schwulen in der Familie.“ Das hat extremen Druck auf mich ausgeübt und ich habe versucht besonders männlich zu sein, um meine Sexualität zu verstecken. Umso schöner, dass er mich heute akzeptiert.

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