Drag-Queen „Deere“ Eine Königin in der Twitch-Gamer-Szene
Streaming war dieses Jahr für die LGBTI*-Community ein großes Thema, gerade mit Blick auf die Online-CSDs. Allerdings war ein Teil der farbenfrohen Gemeinschaft bereits vor Corona beim Live-Streaming angekommen: Die Drag-Queens. Mit ihrer Kunst sowie „Let’s Plays“ begeistern sie die Zuschauer auf Twitch. Eine von ihnen ist Deere. Sie ist inzwischen Partner der Streaming-Plattform und hat ein Team gegründet: Stream Queens. Was es damit auf sich hat, hat SCHWULISSIMO mit ihr bequatscht.
Du hast 2016 auf Twitch angefangen zu streamen. Inzwischen hast du ein Team aufgebaut und bist Twitch-Partner und Botschafter für die TwitchCon geworden. Wie hat das alles angefangen?
Ich habe aus reiner Neugierde angefangen zu streamen, aufgrund meiner beiden Leidenschaften: Make-up und Videospiele. Ich fragte mich wie es wohl wäre, diese Interessen zu kombinieren - in extravagantem Make-up und Kostümen Videospiele zu streamen. Es hörte sich nach etwas an, das ich gerne gesehen hätte, was es aber zu dieser Zeit noch nicht gab. Also habe ich es einfach gemacht.
Was macht das Streaming auf Twitch für dich so besonders?
Ich liebe es, mich mit der Community zu verbinden. Es ist etwas Besonderes, so viele Zuschauer zu finden, die Drag & Videospiele gleichzeitig zelebrieren. Die Leute sagen mir ständig, dass sie meinen Kanal und meine Präsenz bei Twitch wertschätzen. Ich bin so glücklich darüber.
Erfährst du auch Hass? Wie schwer war es für dich am Anfang?
Ich bekomme die ganze Zeit Trolle und unhöfliche Kommentare. Es ist irgendwie lustig, weil ich streame, um Spaß zu haben und Kunst zu schaffen. Wenn dann Leute einschalten, um mir das zu verderben, interessiert mich das gar nicht mehr. Inzwischen habe ich immer Menschen an meiner Seite, die hinter mir stehen und mich anfeuern. Das macht es leichter, die Unhöflichen nicht zu bemerken.
Gaming war/ist ein großes Cis-Mann-Geschäft. Frauen werden in „Gamergirls“ stereotypisiert und Cosplayer sind nur Sexobjekte. Gegen welche Vorurteile kämpfst du?
Jeder, der kein traditionell männlicher, heterosexueller weißer cis-Mann ist, kann auf die eine oder andere Weise schlecht behandelt werden - im Leben, nicht nur online. Als verweichlichter homosexueller Mann hatte ich, seit ich mich erinnern kann, mit Negativität zu kämpfen und musste mir ein dickes Fell antrainieren. Ich mag die sexistische, rassistische, transphobe und homophobe Seite von Spielen und Streaming nicht. Ich glaube ich tue etwas, um die Landschaft abwechslungsreicher zu gestalten, indem ich in meiner Kunst auf Twitch unentschuldigt schwul bin. Am häufigsten werde ich von Trollen belästigt, die nicht verstehen, dass das, was ich mache, ein Kostüm und Kunst ist. Ich bekomme so viele transphobische Kommentare. Persönlich gesprochen ist dies ein Kostüm. Es geht ab. „Deere“ ist mein Alter Ego. Aber diejenigen, die Transphobie in sich tragen, sind auf meinem Kanal nicht willkommen. Oft wird mir auch vorgeworfen, dass ich das ja nur tue, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ja, tatsächlich tue ich es für die Aufmerksamkeit! Warum sonst sollte ich so viel Make-up, Haare und Kleidung auflegen? Aber ich glaube wirklich, dass jeder Streamer es für die Aufmerksamkeit tut.
Kannst du davon leben?
Ich streame seit 2016 und mache das seit März 2020 hauptberuflich - und liebe jede Minute davon. Ich kann mich selbst versorgen indem ich tue, was ich liebe, und von wunderbaren Followern unterstützt werde, die meinen Erfolg sehen wollen.
Hast du jemals gedacht, mit Streaming erfolgreich zu sein?
Zu der Zeit im Jahr 2016 wusste ich, dass es ein besonderes Interesse am Drag & Gaming-Konzept geben würde, weil ich selbst dieses Interesse stets hatte. Ich glaube daran etwas, was man in der Welt sehen will, zu manifestieren. Ich wusste jedoch nicht, dass es so gut ankommen würde. Ich habe Tausende von Menschen, die lieben, was ich tue. Mittlerweile gibt es so viele Menschen, die Drag & Gaming jetzt auf Twitch machen. Ich sah dieses neue Zeitalter des Drags aufblühen. Deshalb habe ich „Team Stream Queens“ gegründet: eine Gruppe von Autoren mit Inhalten auf Twitch - darunter Könige, Königinnen, Charaktere und Kreaturen.
Wir haben mehr als 40+ Mitglieder aus der ganzen Welt. So ist die meiste Zeit fast garantiert, dass es eine Handvoll Streams gibt. Bei Twitch gibt es jetzt immer etwas zu entdecken.
Wer kann diesem Team beitreten?
Das Team ist offen für jeden, der in seinem Twitch-Kanal als Hauptbestandteil Drag hat. Wir nehmen Bewerbungen entgegen und nehmen Leute in kleinen Wellen und in der Reihenfolge ihrer Einreichung an Bord. Die beste Möglichkeit, entdeckt zu werden, sind das Abhängen und Verbinden der Mitglieder in den Chats sowie die Verwendung des „Drag-Tags“. (Twitch-Tool) Bewerben kann man sich bei apply.streamqueens.net
Hast du dir das Schminken selbst auf YouTube beigebracht, oder hast du Berufserfahrung als Make-up-Artist?
Ich habe etwa 15 Jahre Erfahrung als Make-up-Artist. Ich liebe Make-up. Es hat mich inspiriert, in die Welt des Drag-Make-up einzusteigen. Ich habe es mir selbst beigebracht, als ich ein Teenager war, indem ich Anzeigen aus Modezeitschriften herausriss und die Arbeit an mir selbst oder meinen Freunden nachahmte. Als ich jünger war, war YouTube noch nicht, wie man es heute kennt. (lacht) Also musste ich es auf andere Weise erlernen. Ich glaube, dass jeder durch Hingabe und Übung zum Make-up-Artist werden kann, aber Qualitätsprodukte machen definitiv einen Unterschied!
Bestärkst du deine Zuschauer mit deinem guten Beispiel?
Ich flehe jeden, der meinen Kanal besucht, an, sein bestes Leben so authentisch wie möglich zu leben. Leider haben nicht alle diesen Luxus. Ich sage immer: „Sei du selbst! Aber nur, wenn du sicher bist, dies zu tun.“ Manchmal bringt uns das Leben in Situationen, in denen unsere Sicherheit gefährdet ist, wenn wir Pride zeigen. Aber wenn man die richtigen Unterstützungssysteme um sich herum hat wie Arbeitsplatz- und Wohnungssicherheit, dann sei du selbst! Ich bekomme ständig Kommentare von Menschen aus anderen Ländern oder in Situationen des Privatlebens, in denen sie nicht in der Lage sind, sich auszudrücken. Selbst in diesen Situationen bin ich stolz darauf, einen Online-Raum zu schaffen, in dem meine Freunde und Fans sie selbst sein können. Auch wenn es nur für die Momente ist, die wir zusammen haben. Wenn sie sich selbst treu sind, werden sie so viel glücklicher leben. Und ich denke, dass wir gemeinsam durch die Bedeutung der Black Lives Matter Bewegung und durch Kampagnen für die Rechte der queeren Menschen die Welt in Zukunft zu einem besseren und sichereren Ort machen können.
Animal Crossing und Horrorspiele sind deine Favoriten. Das ist eine seltsame Mischung.
Horror ist mein absoluter Favorit! Ich glaube es ist die Tatsache, dass man Anspannung und Angst verspürt, ohne tatsächlich in Gefahr zu sein. Ich liebe den Nervenkitzel und das Mysterium nicht zu wissen, was hinter der nächsten Ecke wartet. Ich stelle mir auch gerne vor, dass ich das letzte Mädchen bin, das am Ende den Bösewicht schlagen muss.
Animal Crossing ist aber einfach hinreißend. Ich liebe es, wie viel Individualisierung möglich ist. Ich selbst habe eine etwas gruselige Stadt geschaffen.
Was hältst du von der Darstellung von LGBTI* in Videospielen?
Im Laufe der Zeit gibt es immer mehr Repräsentationen. Ich denke, innerhalb eines vernünftigen Rahmens sollten Spiele in gewisser Weise das Leben widerspiegeln. Es gibt LGBTI*-Personen - warum also keine Spiele, in denen sie vorkommen? Ich war in diesem Sommer an einer Veranstaltung namens "Summer of Pride" beteiligt, die von MidBoss organisiert wurde. Da zeigten sie den ganzen Juni lang queere Streamer, die Spiele mit stark queeren Geschichten spielten!
Wenn du ein Spiel entwickeln könntest, wie würde es aussehen?
Ich habe Kampfspiele schon immer geliebt, deshalb würde ich gerne an der Entwicklung von übertrieben dramatischen Charakteren mitwirken! Aber wenn ich wirklich alles Geld der Welt hätte, würde ich eine Fortsetzung von „Alien: Isolation & Lollipop Chainsaw“ finanzieren. Der Stil in diesen Spielen geht durch die Decke!
