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Andreas Barth // © vvg

Im Interview Andreas Barth

vvg - 12.12.2020 - 09:00 Uhr

„Kann sein, dass mir meine Homosexualität hier und da im Wege stand. Aber getratscht wird sowieso immer und über alles.“

Andreas Barth ist als klassischer Sänger, Schauspieler, Musik- und Klavierpädagoge vorrangig im deutschsprachigen Raum unterwegs. Als einer der „12 Tenöre“ war er auf Europatournee und in China. An der Berliner Komödie am Kurfürstendamm spielte er den „Ari“ bei den Comedien Harmonist.

Du hast nach deinem Abitur 20 Monate Zivildienst im Krankenhaus absolviert. Wäre ein sozialer Beruf eine Alternative gewesen? Vor allem jetzt in der Corona-Zeit?
Ich hatte während meines Zivildienstes tatsächlich vergessen, dass ich ursprünglich Musik studieren wollte. Ich war erst Pfleger, danach neun Monate „Springer“ im OP und dann noch drei Monate in der Behindertenpflege. Ich habe gerne mit Menschen zu tun. Ja, es wäre eine Alternative gewesen, aber ich glaube, die Musik hätte mir doch sehr gefehlt.

Apropos Corona: Du probst momentan in Eggenfelden für ein Weihnachtsstück. Wie läuft so etwas zurzeit ab?
Aufführungen finden im November keine statt. Wir hoffen, dass unser Weihnachtsstück am 4. Dezember aber seine Premiere haben kann! Momentan müssen wir uns für die Regie und den Ablauf der Proben neue Konzepte einfallen lassen. Der Abstand muss gewahrt sein und die Proberäume bleiben für die jeweiligen Ensembles und Produktionen reserviert. Szenen mit Umarmungen oder Ähnlichem müssen anders gelöst werden.

Was steht denn Weihnachten auf der Bühne an? Und welche Rolle übernimmst du?
Unser Stück heißt – etwas in die Irre führend – „Historische Weihnacht“. Für die beiden Protagonisten, also meine Schwester und mich als ihr Bruder, ist das Erlebte tatsächlich historisch: Sie räumen kurz vor Weihnachten die Wohnung der verstorbenen Mutter aus. Beide sind sich über viele Jahre fremd geworden. Ich darf zwar noch keine Details verraten, aber das, was sie in der fast leeren Wohnung finden hilft ihnen, neu zueinanderzufinden. Texte, Zitate, u.a. von Guy de Maupassant, Nikolaus Lenau, Adalbert Stifter, Peter Rosegger, Charles Dickens, Karl Valentin, Jorge Bucay, Ludwig Thoma, sowie Briefe und Zeitungsartikel erwärmen die kalte Wohnung zudem mit einem Hauch von Weihnachten und Freundschaft.

Heißt das, du feierst Weihnachten nicht im Kreis deiner Familie?
Doch, das Stück läuft nur bis einschließlich 20. Dezember. Dann fahre ich nach Hause zu meinem Mann Jonny. Seine Kneipe ist Weihnachten zu, also machen wir es uns gemütlich oder fahren zu Freunden oder Verwandten.

Du bist Sänger, Schauspieler und auch Dozent, betreust einen Lehrauftrag und bist zuständig für die stimmliche Betreuung von Choristen. Kannst du in deiner Freizeit überhaupt noch Musik hören?
Nein! - Kleiner Scherz... Doch natürlich, aber in Maßen. Ich gehe zudem viel mit unseren zwei Hunden spazieren. Nicht so weit wie im Sommer, aber immerhin wenigstens dreimal am Tag ein paar Kilometer. Wir haben wunderschöne Wald- und Feldwege.

Du hast in Ulm und um Ulm, in Würzburg, München und Berlin gewohnt und gearbeitet. Wo genau fühlst du dich denn heimisch?
Ich fühle mich an vielen Orten wohl. Am Schönsten fand ich Berlin und Zürich. Aber ein Häuschen mitten in einer Kleinstadt wie Mayen zu haben ist auch nicht schlecht. Kein Vermieter und direkter Nachbar, der einen gängelt...

Du bist ständig unterwegs und führst ein stressiges Leben. Wie und womit kannst du dich am besten entspannen?
Mit den Hunden, meinem Klavier und Kochen.

 

Andreas Barth // © vvg

Du warst der 1. Tenor bei den Comedian Harmonists und bist seit 2014 auch Mitglied des Trios Palazzo.
Ausgerechnet in Berlin den Ari in Comedian Harmonist zu geben - mit Tourneen im deutschsprachigen Raum - das war eine wunderbare Zeit. Ich wohnte am Adenauerplatz und brauchte zum Spielen nur den Kurfürstendamm entlang gehen. Wären zwei Kollegen nach nahezu 500 Vorstellungen nicht abgesprungen, hätte ich es noch viele Jahre weitermachen wollen. Jetzt wäre ich aber zu alt für die Rolle.

Das tolle am Trio P! ist, dass Uwe, Jonathan und ich alles selbst entscheiden und uns wahnsinnig mögen. Wir sind unabhängig. Jeder besetzt eine andere Position im Ensemble: Pianist Uwe arrangiert und komponiert, Trompeter Jonathan ist daneben fürs Internet zuständig. Ich singe, mache die Conference und die Texte. Das Trio läuft allerdings bei uns allen Dreien quasi nebenbei.

Wie denkst du als Musiker über Casting-Formate wie „The Voice of Germany“ und „DSDS“, wo sich besonders Jugendliche den Lebenstraum als Sänger erträumen?
Es gibt dort große Talente, aber noch viel mehr, die schrecklich veräppelt werden. Es geht nichts über die professionelle Meinung echter Künstler, die hören und fühlen wie die Stimme in Einheit mit dem Körper funktioniert und wie man sie behutsam von Fehlfunktionen/Verspannungen befreit und aufbaut.

Du hast den Kaiser von China in „Jim Knopf" gespielt, den Herodes in „Jesus Christ Superstar" und warst in "Michel in der Suppenschüssel" als Polizist und Pastor sogar doppelt besetzt. Alles Charaktere, die Macht auf Menschen ausüben. Bist du auch im wirklichen Leben ein Machtmensch?
Nein, dann wäre ich nicht so entspannt. Das waren Chargen, Komödianten. Die sind mir aber lieber als Prinzen. Okay, Herodes ist jetzt wirklich kein Schätzchen.
Privat bin ich extrem liebes- und harmoniebedürftig. Ich kann freundlichen Menschen allen Alters gerne alles zwanzig Mal erklären. Vorausgesetzt, dass sie eben freundlich sind.

Du bist mit deinem Mann Jonny verheiratet. Wie habt ihr euch kennengelernt? Und gab es in deinem Metier darüber Getratsche?
Wir sind schon fast neun Jahre verheiratet. Kennengelernt haben wir uns 2010 in einem schwulen Café in München, wo wir zufällig am selben Tisch saßen. 
In meinem beruflichen Umfeld bin ich schon seit meinem Studium geoutet. Kann sein, dass mir meine Homosexualität hier und da im Wege stand. Mir war’s „wurscht“. Getratscht wird immer und über alles.

Wann hast du gemerkt, dass dich neben der Musik auch Männer interessieren?
Die Männer haben mich lange vor der Musik interessiert! Ich glaube, ich war sieben. Ab der Pubertät hatte ich die eine oder andere „Sache“ mit Mädchen. Aber ich fand Männer körperlich immer prickelnder. Außerdem: Schwule haben immer beste Freundinnen!

Was hast du mit deinem Sternkreiszeichen Jungfrau gemeinsam?
Genauigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Fantasie. Die Bühne betreffend gibt es bei Jungfrauen scheinbar sehr viele brauchbare Eigenschaften – viele Regisseure, Schauspieler, Sänger und andere Kreative dieses Zeichens haben etwas unerhört Gewinnendes, waren und sind sehr erfolgreich. 

Erinnerst du dich an dein „Erstes Mal“?
Ich erinnere mich gut. Mein „richtiges“ erstes Mal war mit 17 und mündete in meine erste wirkliche Beziehung. Helmuth war Musiklehrer und Dirigent, 13 Jahre älter und wir lernten uns bei einer Freilichtproduktion von Webers „Freischütz“ auf einer Burg kennen. Er sang wie ich im Chor. Er stand auf der Bühne immer dicht hinter mir. Und ich schwöre – das war so nicht inszeniert! Seine auffallend elegante Kleidung und viel Witz machten mich neugierig. Zwar hatte ich zu dieser Zeit noch ein Techtelmechtel mit Dorothea, die vier Jahre älter war als ich. Aber Helmuth brauchte nicht lange, um mich für sich zu gewinnen. Ich war bei der Gartenarbeit im elterlichen Garten, als er  völlig überraschend nachmittags vor mir stand.

Wie war dein Outing?
Bis 13 war ich Messdiener und meine Mutter viel zu katholisch, um über Sexualität zu sprechen. Zudem war ich Nachzügler und hatte ziemlich alte Eltern. Meine Schwester war 18, mein Bruder 14 Jahre älter. Als ich 19 Jahre alt und bereits zwei Jahre mit Helmuth zusammen war, wollten meine Eltern am Esstisch ein ernstes Wort mit mir sprechen. Ich musste schrecklich lachen und habe darauf hingewiesen, dass ich schon zwei Jahre mit einem Mann lebe und folglich vermutlich schwul sei. Das war nicht wirklich sensibel für eine Generation, die unter Adolf aufgewachsen ist. Eigentlich hätten sie psychologische Unterstützung gebraucht. Ich habe das Gespräch sehr unsensibel abgebrochen. Mutter holte sich Rat bei ihrem Pfarrer, mein Bruder und dessen Frau halfen, wo sie konnten. Vater vermied das Thema am Liebsten ganz. Ich habe nie erfahren, ob er über einschlägige Erfahrungen verfügte. Vielleicht als Jugendlicher oder im Krieg?

Kannst du dich mit der LGBTI*-Community identifizieren?
Ja, keinem von uns muss alles gefallen. Wir sind Teil dieser Welt und die Welt ist bunt. Egal ob LGBTI*, Hautfarbe, Nationalität, Beeinträchtigung: Minderheiten, Benachteiligte oder Unmündige können gar nicht genug auf sich aufmerksam machen, um wahrgenommen zu werden.

Die Community erlebt momentan viel Gegenwind. Machst du dir Sorgen?
Sich sorgen heißt, sich zu kümmern. Natürlich bekommen wir dank unserer Veranlagung immer noch Prügel zwischen die Beine. Obwohl die Mehrzahl von uns sich meiner Erfahrung nach ihren Mitmenschen gegenüber viel sozialer verhalten, als unsere Hetero-Brüder und -Schwestern.

Was bringt dich aus dem Takt?
Mich ärgert, dass Europa nicht besser und schneller zusammenfindet und es überall einen spürbaren Rechtsruck gegeben hat. Was die aktuelle Krise betrifft, wünschte ich mir, dass wir Kunstschaffenden besser gepflegt werden. August Everding, ehemaliger Generalintendant in München, sagte sehr richtig: „Kunst kann man nicht subventionieren, Kunst leistet man sich. Sonst ist man kein Kulturland. Dann wäre es ehrlicher, den Laden dicht zu machen.“

Was macht dir Angst?
In Europa etablieren sich mittlerweile „Quasi-Diktaturen“, das darf der freie Rest Europas nicht dulden.

Was steht 2021 auf dem Plan?
Eigentlich die dieses Jahr verschobene Gräfin-Mariza-Produktion in Österreich. Viele Trio P! Auftritte sowie Theater-Vorstellungen und Konzerte. Dass ich meine Gesangsschüler hoffentlich wieder in einem Raum anstatt via Skype unterrichten kann. Das funktioniert genau genommen lediglich in Bayern gerade ganz leidlich, da dort mein Unterrichtsraum groß genug ist. Und ich wünsche mir wieder ein fröhliches, ungezwungenes Miteinander mit denen, nach deren Umgang und Nähe ich mich seit Monaten sehne.

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