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Giovanni Arvaneh // © vvg

Im Interview Giovanni Arvaneh

vvg - 06.08.2021 - 10:00 Uhr

Giovanni Arvaneh ist ein deutscher Schauspieler, der vor allem durch seine Rolle des Türken Sülö in der Serie „Marienhof“ bekannt wurde. Er gehört zu den 185 Erstunterzeichnern der Aktion #actout.

Du hast in 240 Folgen den Türken Sülö Özgentürk im „Marienhof" gespielt, gab es Momente, wo du überlegen musstest, wer du bist?
Ein einziges Mal: in der Zeit, wo die Serie von weekly auf daily umgestellt wurde, gab es viel Stress. Als Sülö abgeschoben werden sollte, wurde ich morgens wach und dachte, ich müsste Deutschland verlassen. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um in die Realität zurück zu finden. Ich habe oft sehr intensive Träume.

Du bist international einsetzbar, zumindest nach deinen Rollennamen: Sülö, Erol, Fabrizio, Orlando, Harold, Carlos, Gani und Charles?
Das stimmt, ich spiele die Ausländer auf dieser Welt. Manchmal war das schon verletzend, weil sich viele Caster alleine vom Namen ein Urteil über einen Menschen bildeten. Das kostet oft Diskussionen und ich muss mich oft verteidigen.

In der Türkei hast du die türkische Sprache gelernt, bist du ein Sprachgenie?
Ich spreche deutsch, italienisch, englisch und türkisch, früher konnte ich noch rätoromanisch/ladinisch: ist man deswegen ein Sprachgenie?

Du hast einen persischen Vater und eine italienische Mutter, wo liegen deine Wurzeln?
Ich bin in Deutschland, in München geboren. Als junger Mensch hatte ich eine Identitätskrise, ich wusste wirklich nicht, wohin ich gehöre. Ich konnte mich weder mit dem Moslem, dem Italiener noch mit dem Deutschen identifizieren. Irgendwann habe ich für mich generiert: Ich bin ein Weltenbürger.

Du kommst aus Bayern, lebst und wohnst in Berlin, Frankfurt und Düsseldorf. Wo ist dein Zuhause?
Zuhause ist da, wo ich selbst meinen Frieden finde. Das kann überall sein. Da ich viel unterwegs bin, ist mein Zuhause in mir selbst, ansonsten hätte ich ja ständig Heimweh.

Sind dir Theater- oder Filmproduktionen lieber?
Ich mag beides: Beim Film spielt man bestimmte Szenen, aus denen dann ein Ganzes wird, während man im Theater ein Stück von Anfang bis zum Ende durchspielt. Und im Theater erlebt man direktes Feedback vom Publikum.

Wenn du dir eine Rolle auf den Leib schreiben könntest, welche wäre das?
Mich würden Stücke reizen, die das Thema Demenz behandeln. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich reifere Väter spiele. Im nächsten Stück spiele ich eben einen solchen Vater, daran werde ich meine Freude haben.

Du spielst aktuell in Wuppertal im Stück „Extrawurst“. Bist du ein Mensch mit „Extrawürsten“?
Nein! Im Gegenteil, ich brauche nie Extrawürste. Ich bin ein Teamplayer, der sich als Einzelperson immer gerne zurücknimmt. Ich tu mich in der Tat schwer, Forderungen zu stellen.

Als Kind hast du Gewalt und psychischen Druck erlebt, was waren deine größten Ängste?
Ich wusste mit zehn Jahren, dass ich schwul bin und mit elf hatte ich meine ersten Sexerfahrungen. Als meine Mutter das erfuhr, wollte sie mich – um mich zu schützen – sogar ins Gefängnis sperren lassen. Mein Vater hat von meinem Schwulsein erst kurz vor seinem Tod erfahren. Allerdings hat er mich mal ertappt, als ich bei unserem Nachbarn, dem Fleischer ein Charlestonkleid in der Mülltonne gefunden und angezogen hatte. Ich bekam Prügel, dass das Blut nur so spritzte – und es war nicht das Blut in der Fleischerei. Mit 11 ½ und mit 15 habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen, weil ich niemanden hatte, mit dem ich über mein Schwulsein reden konnte.

Hattest du als Kind schon Ziele vor Augen?
Ich wollte immer nur frei sein. Nach meinem Vater sollte ich Kaufmann werden, was ich aber nicht wollte. Mit siebzehn habe ich ein Pflegepraktikum gemacht, worauf er mir ins Gesicht spuckte und tobte: „Anderen Leuten den Arsch abputzen, dafür bist du gut genug. Du bist einfach nur Sch...!“ Ironischerweise lag er vier Jahre im Krankenhaus und brauchte Menschen, die das für ihn erledigten. Life is a Bitch.

Mit 17 bin ich von zu Hause abgehauen, seit dieser Zeit war ich frei und musste lernen, mit Freiheit umzugehen. Ich hatte immer gute Engel, die mich begleitet haben. Mit 15 hatte ich meinen ersten Freund, einen Arzt, der 35 Jahre älter war. Sicherlich war er mein Mentor, aber für mich jemand, der mich einfach nur in den Arm nahm. Dienstags wurde gevögelt und donnerstags gelernt. Durch ihn wurde ich innerhalb eines Jahres vom 5er-Schüler zum 1er-Schüler.

Wenn dir was gegen den Strich läuft, wie lässt du Luft ab?
Das kommt auf mein Gegenüber an: Bei meinem Lebenspartner bin ich sehr direkt, da kommt mein persisches Temperament durch. Bei Fremden kann ich mich höllisch zusammenreißen, da bin ich eher der „Schlucker“, denn das war ich ja von zu Hause aus gewohnt.

Klaus Nierhoff – ein ehemaliger Schauspiel-Kollege – lässt dich grüßen und fragt, was dein Geheimnis ist, dass du so unverschämt gut aussiehst?
Oh, danke! Das kann ich direkt an ihn zurückgeben. Vielleicht hat es mit meinem inneren Frieden zu tun.
 

Giovanni Arvaneh // © vvg

Hattest du jemals „Groupies“?
Mich hat in der "Marienhof-Zeit" ein Stalker eine zeitlang verfolgt. Damals war ich noch sehr naiv, so dass ich gar nicht registrierte, dass der mir nur an die Wäsche wollte.

Du hast dich mit 180 anderen Filmschaffenden unter #actout geoutet. Was war schwieriger: dein privates Outing oder das große in der Öffentlichkeit?
Definitiv das private. Das war ein seelischer Todeskampf. Auch weil ich dadurch meine Familie verlassen musste. Ich musste alles aufgeben und von vorne anfangen. Und je weniger Kämpfe ich in mir hatte oder im Außen führen musste, desto weniger wurde ich angreifbar.

#actout war einfacher, denn ich habe schon immer frei gelebt, war bei jedem CSD dabei, habe schwule Kneipen besucht und jeder, der mit mir gearbeitet hat, wusste, dass ich schwul bin. Ich habe nur nie begriffen, warum ich mir ein Schild umhängen muss. Bei #actout sollte lediglich auch der letzte Idiot kapieren, dass wir so viele sind. Die interessanteste Reaktion war, dass mir Schwule sagten, sie hätten gedacht, ich sei hetero. Ich finde die ganze Diskussion inzwischen lächerlich, auch das mit dem gendern. Solange in den Köpfen der Entscheidungsträger nichts passiert, können wir mit Worten spielen wie die Blöden.

Du hast in der Türkei im preisgekrönten Spielfim „Zenne Dancer" mitgemacht – eine Outinggeschichte, angeregt durch den ersten Ehrenmord an einem Schwulen – wie war es da?
Wenn du nicht tuntig bist, keine Show aus deiner Veranlagung machst und einfach ein ganz normaler Mensch bist, würde der Türke nie auf die Idee kommen, dich blöde anzumachen. Es sei denn man provoziert es.

Welchen Bezug hast du zur Community und was geht dir – innerhalb der Community – auf die Nerven?
Früher bin ich gerne ausgegangen und habe so meinen Spaß gehabt, mittlerweile gehe ich wenig aus, das liegt wohl am Alter. Was mich nervt ist, dass sich alle gegenseitig bekämpfen. Wir sind doch alle durch den gleichen Tunnel gegangen, da hätten wir doch Gemeinsamkeiten. Wir wollen da draußen etwas erreichen und wir wollen akzeptiert werden, aber wenn wir schon untereinander respektlos miteinander umgehen, brauchen wir uns auch nicht wundern, dass wir von außen nicht akzeptiert werden.

Hattest du schon mal eine schwule Rolle auf der Bühne oder im TV?
Als Sülo war ich im Marienhof der erste schwule Türke, das war damals schon ein Riesenaufschrei: der große heterosexuelle Türke interessiert sich für Männer. Und in „Zenne Dancer“ die Rolle des Daniels war auch schwul.

Du bezeichnest dich als einen hochsensiblen Menschen?
Das ist Fluch und Segen zugleich. Der Segen ist, dass ich relativ schnell spüren kann, wie jemand drauf ist und was für Energie im Raum herrscht. Es kann aber ebenso ein Fluch sein, wenn ich spüre, dass sich alles seelisch verschließt, wo es doch offen sein sollte. Wenn ich coache ist es natürlich ein großer Zugewinn.

Ich hatte viel in meinem Leben aufzuräumen, da ich schon als Kind so eine heftige Prägung bekam. So wie mir meine Eltern die Welt erklärt haben, konnte sie nicht sein und so habe ich mich auf die Suche begeben und eine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie gemacht. Ich habe mich sozusagen selbsttherapiert und in der Folge mit einem Kommilitonen eine Praxis gegründet. Heute bin ich mit meinen empathischen Fähigkeiten immer gern bei Gesprächen dabei.

Warum hast du erst mit 23 Jahren dein Schauspielstudium begonnen?
Als mich mein 50-jähiger Freund mit 16 Jahren zu einer Travestieshow mitnahm, war ich total begeistert. Das wollte ich auch und schon wenige Monate später stand ich auf der Bühne und habe 10 Jahre Travestie gemacht. Ich war sozusagen der Beginner und das Urgestein im Münchner „Misses Henderson“. Das hat Riesenspaß gemacht, aber: ich wollte nie eine Frau sein. Dann fragte mich jemand, ob ich mein Leben lang als Trine herumspringen wollte, so landete ich auf der Musicalschule und wechselte danach zur Schauspielschule. Ich wusste durch mein Elternhaus nicht, dass ich überhaupt etwas konnte.

Welche Projekte stehen demnächst an?
Im November stehe ich in Fürth auf der Theaterbühne und spiele im Stück „Ungeduld des Herzens", danach spiele ich zusammen mit Tanja Schumann in „Schiff Ahoi". Und im Fernsehen bin ich im "Fichtelgebirgskrimi" dabei. Ich hoffe, dass es jetzt nach der endlos langen Corona-Auszeit endlich wieder losgeht und wir alle neu durchstarten können.

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