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Rosa von Praunheim // © vvg
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Im Interview Rosa von Praunheim

vvg - 02.01.2018 - 08:00 Uhr

Rosa von Praunheim ist als Filmregisseur und Autor einer der bedeutendsten und streitbarsten Zeitgenossen in Deutschland. Jetzt können wir ihm endlich gratulieren. Kurz vor seinem 75. Geburtstag und der Premiere seines aktuellen Films „Überleben in Neukölln“ fand er noch Zeit für ein Interview mit uns. Lieber Rosa, alles Gute zum Geburtstag und danke, dass du in der Szene so oft auf den Tisch gehauen hast.

Ist Rosa von Praunheim eigentlich dein richtiger Name?
Praunheim ist ein Stadtteil von Frankfurt, wo ich aufgewachsen bin, Rosa ist nach dem rosa Winkel benannt, den Schwule im KZ tragen mussten.

Du feierst noch in diesem Jahr ein Super Jubiläum. Was bedeutet dir „75“? Und möchtest du noch einmal 20 sein?
Keine Ahnung, mein gefühltes Alter liegt so zwischen 8 und 9 Jahren. Wäre ich gerne noch einmal 20? Ja, gerne; ich würde jedes Alter gut finden. Meine Freundin Helene Schwarz - eine „Muse des deutschen Films“ - sagt immer, dass sie gerne noch einmal 70 Jahre alt sein möchte; inzwischen ist sie stolze 90 Jahre alt. Ich möchte aber nicht, wenn ich jünger wäre, die Erfahrung und das Wissen von heute in meinem Kopf haben; das wäre ja langweilig. Wenn man „wieder geboren“ wird, passieren ja neue, andere Sachen. Am wohlsten habe ich mich in der Zeit zwischen meinem 30. und 40. Lebensjahr gefühlt. Das war die Zeit wo ich in New York war. Da habe ich viel gedreht; das war eine sehr aufregende Zeit. Aber auch die Zeit als ich mit ca. 20 von Frankfurt nach Berlin kam, war das ebenfalls sehr aufregend.

Was machst du eigentlich, wenn du nicht filmst?
Ich schreibe viel: jeden Tag ein oder auch mehrere Gedichte. Ich male und ich freue mich, wenn ich Leute treffe, die ich ausfragen kann.

Du hast in 50 Jahren unzählige Filme gedreht, welcher ist dein persönlichster?
Ich habe 150 Filme gedreht, die habe ich aber fast alle vergessen, weil ich im Hier und Jetzt lebe. Ich hatte gerade die Premiere meines Films „Überleben in Neukölln“ und habe gerade in Weimar „Männerfreundschaften“ abgedreht, einen Film über Homoerotik in der Goethezeit und bereite schon wieder mehrere neue Filme vor. So bin ich fast immer beschäftigt und habe kaum Zeit, zurückzublicken.

Du warst „Stolz und schwul“; ohne dich wären wir nicht da, wo wir heute stehen. Hast du dir diese Entwicklung so vorgestellt?
Nein, man konnte sich damals überhaupt nichts vorstellen. Der §175 hatte sich zu Gunsten der Schwulen 1969 verändert; da waren viele Schwule noch sehr verklemmt und ängstlich und auch das gesellschaftliche Klima war dem Thema gegenüber sehr intolerant. Man hat da gar nicht über die Zukunft nachgedacht. Das war der Moment, jetzt dafür zu kämpfen, dass Schwule sich solidarisch zeigen. Wir sind ja selbst heute immer noch nicht in einer sehr befreiten Gesellschaft, weil bei uns einfach viele Leute aus anderen Ländern leben: sowohl christliche Fundamentalisten, als auch islamische, die uns das Leben schwer machen.

Bist du über die Entwicklung der Gay-Community erfreut, oder geht es mit der Szene wieder bergab?
Wir haben nicht dafür gekämpft, dass Schwule zum Militär können, dass sie Pfarrer werden und auch nicht, dass sie heiraten. Das waren nicht unsere Vorstellungen; wir hatten eine andere Gesellschaft vor Augen. Ich bin auch sehr besorgt, was das Thema Aids angeht: mit den PrEP-Geschichten und den ganzen Drogen. Ich denke, das ist eine ähnliche Kritik, wie ich sie damals in meinem schwulen Film geäußert habe. Leider sind Schwule genauso unvernünftig wie Heteros, also was soll man da sagen?   

Gibt es heute immer noch „perverse Situationen in denen der Homosexuelle lebt“?
Na ja, ich meine das ist sehr wahrscheinlich. Beim Drehen meines Filmes „Überleben in Neukölln“ habe ich arabische oder türkische Schwule und Lesben gesucht und das war sehr, sehr schwer. Die Angst vor den Eltern ist da genauso groß, wie das bei uns in den 50ern war.

Heutzutage können sich Männer via Internet wie in einem Katalog präsentieren. Wie siehst du die schöne neue Welt?
Wunderbar. Ich selbst habe dafür zwar keine Zeit, außerdem bin ich seit 10 Jahren befreundet. Aber ich finde das gut; besonders für die Leute, die auf dem Land leben. Wenn sie dadurch Kontakte knüpfen können, ist das doch sehr nützlich.

Was würdest du heute gerne noch verändern, wenn du könntest wie du wolltest?
Ich würde gerne Religion verändern - die christlichen Fundamentalisten, die Evangelikalen und den Islam - weil die der Grund allen Übels sind. Da ist es wichtig, dass die eine liberale Haltung haben. Da muss man auch die Rechte der Frauen stärken und das geht einher mit den Rechten für die Schwulen.

Nicht viele haben den Mut, andere zu outen und nur wenige, sich selbst zu outen:  warum bestehen auch 2018 noch Ängste?
Ich glaube, es ist immer noch in den Schulen sehr schwer. Wenn man hier in Berlin guckt, dass manchmal 80 - 90% ausländische Mitschüler in einer Schule sind, die halt nicht so erzogen wurden, Schwule toll zu finden und sie zu akzeptieren; Frauen ernst zu nehmen oder gleichberechtigt zu sehen, da wird ein Outing schon zum Problem. Das kann dann nämlich sowohl für den Lehrer als auch für den Schüler sehr gefährlich sein. Insofern ist das ein Indikator. Ich denke, an Gymnasien ist das leichter. Viele haben auch Angst, sich beruflich zu outen, weil sie glauben, dadurch nicht weiter zu kommen. Und last but not least sind die größten Ängste, sich den Eltern anzuvertrauen.

Man hat dich damals stark angegriffen, weil du Personen geoutet hast. Was hat dich damals dazu gebracht? Haben sich Leute bei dir dafür im Nachhinein bedankt?
Alfred Biolek und HaPe Kerkeling haben sich ein paar Jahre später bedankt; der Journalismus hat sich auch dadurch verändert. Die Medien haben über Homosexuelle nicht mehr als Problemfall berichtet, sondern als ganz normale Menschen vorgestellt. Hinzu kam, dass das Outing zeitgleich mit dem Höhepunkt der Aids-Krise zusammen fiel. Andreas Salmen, mit dem ich in Berlin „Act-up“ gegründet hatte, war gestorben und ich dachte, nun muss ich ein Fanal setzen und Solidarität einfordern.

Gerade bei Stars wird ja von den Medien immer recherchiert und gebohrt, aber es gibt doch auch im Sport-  und gerade im Fußball-Bereich Männer, von dem man es weiß, aber kein Mensch das Thema offen angeht. Wie erklärt sich das?
Ich habe keine Ahnung vom Fußball, ich bin da gar nicht drin, Fußball interessiert mich überhaupt nicht. Die Frage müsste man Thomas Hitzlsperger stellen.

Gäbe es etwas, was du heute ebenso gern „geraderücken“ würdest?
Was ich ganz wichtig finde: Dass man Leute in meinem Alter motiviert, radikal zu sein. Gerade in Zeiten von Populismus. Dass man sagt, wir haben nicht viel zu verlieren, also lass uns revolutionär sein und eine „Armee der Alten“ gründen und mal ordentlich aufräumen.

Und den jungen Leuten mal zeigen, wo es lang geht?
Es sind ja nicht nur die jungen Leute, die schlimm sind. Ich denke eher an die Leute, die AfD wählen, an die Populisten und an internationale Schwierigkeiten. Ich glaube, das täte den Älteren gut.

Rosa von Praunheim // © vvg

Was wolltest du als Kind werden?
Ich habe gestern in einer Fernsehsendung noch gesagt, ich wollte Weihnachtsmann werden. Nein, als Kind habe ich mir ehrlich gesagt, keine Gedanken drüber gemacht. Ich war sehr dumm in der Schule, ich hatte nur sehr viel Phantasie; das hat mir genügt.

Die hast du ja heute noch. Wie war denn dein eigenes Outing?
Ich habe mich praktisch durch den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers ....“ geoutet; das war auch ein bisschen mein Ziel. Vorher habe ich es meinen Eltern nicht gesagt, obwohl ich schon einen Freund hatte. Sie haben es dann aus dem Fernseher erfahren. Meine Mutter war zuerst besorgt, mein Vater war dagegen sehr aufgeschlossen. Es gab von der Seite also keine Probleme, im Gegenteil, die haben mich immer sehr unterstützt.

Wie alt warst du bei deinem ersten Freund?
Ich glaube ich war 29 – Ende der 60er habe ich Peter in London kennen gelernt, mit dem ich dann 4 Jahre zusammen war. Aber gewusst habe ich das natürlich schon vorher: Anfang der 60er, als ich nach Berlin kam, habe ich das dann richtig ausgelebt.

Für viele ist ein Outing mit Tränen verbunden, in welchen Situationen war dir zum Weinen?
Es gab einige Situationen: Ich habe viele wichtige Menschen an Aids verloren. Als ich die Aidsfilme in New York gemacht habe, habe ich das Sterben vieler politisch organisierter Menschen miterlebt; das war eine harte Zeit.

Lebst du eigentlich als Single oder führst du eine Beziehung?
Ich habe seit 10 Jahren eine Beziehung mit Oliver Sechting, dem Regisseur des Films „Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben“. Wir haben jetzt beide ein Buch herausgebracht: Oliver „Der Zahlendieb“ und ich: „Wie wird man reich und berühmt?“ 

Du hast zwei Mal geheiratet, wird es ein drittes Mal geben?
Ich habe 1969 Carla geheiratet, mit der ich 3 Kurzfilme gedreht habe. Mit unserem 2. Film „Rosa Arbeiter auf goldener Straße“ (1968) gewannen wir einige Preise. Nach der Hochzeitsnacht haben wir uns aber nie wiedergesehen. Wir hatten ein Ehestandsdarlehen bekommen, was wir aber zum Filmen verwendeten; das war der Sinn der Heirat. Und Evelyn Künneke hat sich mit mir verlobt, was ich durch die Zeitung erfuhr. Sie fand das chic, weil sie sehr pressegeil war und das sehr geschickt genutzt hat. Eine Heirat mit Oliver kommt nicht in Frage, da sind wir beide ganz klar. Wir haben notariell Vereinbarungen geregelt und das genügt.

Wenn du dir zu deinem 75. vier interessante Menschen einladen dürftest, wer wäre dabei?
Marlon Brando und Alain Delon wären gut. Dazu Lotti Huber, die leider nicht mehr unter uns weilt. Und ich wünschte mir meine Mutter Gertrud - meine zweite Mutter - die mich während des Krieges „geklaut“ und aufgezogen hat.

Gibt es denn eine große Geburtstagssause?
Ich feiere momentan ständig: Vorgestern am 19. November war ich noch in Stuttgart, gestern am 20. in Köln. Am 23. November ist meine Film-Premiere im Moviemento am Kottbusser Damm. 2 Tage später feiere ich meinen 75. im Kino Wolf; nach dem Film gibt es eine Show. Vorher am Nachmittag gibt es noch die Eröffnung meiner Bilderausstellung in der Galerie Raab. Und dann geht es nach Frankfurt am 29. November und am 03.12. nach Hamburg.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Ich habe am 21. Januar im Deutschen Theater in Berlin Premiere mit meinem autobiografischen Musical „Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht“. Im Mai steht die Ausstellung „Abfallprodukte der Liebe“ mit Werken von Werner Schröter, der Fotografin Effi Mikesch und meinen Arbeiten in der Akademie der Künste am Brandenburger Tor statt; das wird mit Sicherheit ein Highlight. Und im Sommer sowie im Winter stehen dann Drehtage für zwei neue Filme an.

Bist du als streitbarer Mensch jetzt anerkannt?
Ich habe immer Anerkennung und Unterstützung gehabt, sonst hätte ich nicht 150 Filme machen können. Es gab natürlich viele Kontroversen, aber das macht einen nur interessanter. Teilweise waren die Schwulen auch sauer auf mich: Anfangs mit meinem ersten Schwulenfilm, weil ich sie damit provoziert habe. Aber jeder, der in den Medien ist, erfährt auch, dass es immer viele Neider gibt.

Sag uns zum Schluss noch 2 Sätze zum Film „Überleben in Neukölln“.
Ich habe vor 25 Jahren „Überleben in Ney York“, meinen kommerziellsten Kinofilmgemacht gemacht. In „Überleben in Neukölln“ versuchen interessante Künstlerpersönlichkeiten, in einem Bezirk konsequent mit ihrer Kunst zu überleben, der bislang preiswertes Leben garantierte, sich jetzt aber zu einem Hotspot entwickelt. Juwelia Soraya, die Centerfigur, ist eine malende und singende Drag-Queen, die jedes Wochenende in einem Salon in der Sanderstrasse auftritt. Mein Co-Regisseur Markus Tiarks und ich haben gemeinsam recherchiert und mit Juwelia eine wunderbare Frau gefunden.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Rosa von Praunheim im Dezember 2017 geführt.

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