Direkt zum Inhalt
Tim Fischer // © vvg

Im Interview Tim Fischer

vvg - 16.10.2019 - 14:30 Uhr

„Es gibt oft Situationen, wo ich denke, wie toll es ist, das ich meinen Beruf wirklich so liebe."

Tim Fischer ist der erfolgreichste deutschsprachige Chansonnier der Jetztzeit, der in diesem Monat sein 30jähriges Bühnenjubiläum feiert. Als Schauspieler konnte und kann man ihn z.B. in der ersten und zweiten Staffel von „Berlin Babylon“ sehen und ab Februar 2020 wird er am Hamburger Hansa Theater als Conférencier im legendären Musical Cabaret zu erleben sein.

Tim, du feierst 30-jähriges Bühnenjubiläum, erinnerst du dich noch an deinen ersten Auftritt?

Das war bei einer Veranstaltung auf einem Reiterhof in Hude bei Oldenburg, wo ich aufgewachsen bin. Es gab da einen komplett gekachelten Gang zur Toilette, der eine gute Akustik hatte. Dort habe ich mich als 15-jähriger hingestellt und Zarah Leander Lieder gesungen. Meine Karriere startete sozusagen auf einem Toilettengang.

Wie hast du dich in diesen 30 Jahren verändert?

Angefangen bin ich mit „Zarah ohne Kleid“, heute trage ich Anzüge in schwarz und weiß. Ich bin älter geworden. Früher hatte ich lange Haare, aber wo heute nichts mehr ist, kann auch nichts mehr lang sein. Die Schönheit vertanzt sich zwar nach innen, aber man kann auch Freude daran haben, wenn die Geburtstagstorte einem Fackelzug gleicht. Meine Auftrittsorte haben sich verändert: vom damaligen Toilettengang habe ich mich bis hin zur Hamburger Elbphilharmonie hochgesungen,. Ich habe immer noch großen Spaß an meiner Arbeit. Früher habe ich vieles ausprobiert, heute habe ich meine Mitte gefunden. Und ich habe mein Repertoire erweitert, was ich Rainer Bielfeldt zu verdanken habe. Inzwischen schreibe ich auch Texte, so zum Beispiel zusammen mit Oliver Potratz einen Revuesong für die neue „Babylon-Staffel“.

Gab es Gute Zeiten, Schlechte Zeiten in diesen Jahren?

Natürlich, so ein Künstlerleben bewegt sich immer in Wellen. Heute bin ich nicht mehr so hilflos und verletzlich wie damals. Gerade im Umgang mit der Presse, wo nur danach gesucht wird, was man ausschlachten kann. Da wurde bei mir nur über Drogen, Strich und Probleme im Elternhaus geschrieben. Ich wurde vorgeführt und hatte keine Distanz mehr zu meiner öffentlichen Figur, die ich verkörperte, sondern war der kleine, empfindliche, zarte Timmy. Ich bin in einem Interview mal gefragt worden, über welche Themen ich nicht sprechen möchte und genau diese Themen tauchten dann auf. Das war schon Vertrauensmissbrauch.

Und was waren die Highlights?

Dass ich jetzt mit so einer großartigen Band „Die Rinnsteinprinzen“ zusammen arbeiten darf, das ist für mich ein absoluter Highlight. Außerdem: Als ich in der Sendung „50 Jahre Kriegsende“ Alfred Biolek kennenlernte; seitdem verbindet uns eine innige Freundschaft. Im Jahr 2000 war ich bei ihm in der Revue „Ein Jahrhundert an der Bar“ und jedes Mal wenn ich in Köln auftrete, besucht Alfred mich. Er hat mir im Grunde die große Welt gezeigt. Oder als mir Georg Kreisler anbot, mit ihm zu arbeiten und mir in seinem Musical „Adam Schaf hat Angst“ die Hauptrolle anbot. Und last but not least, dass ich in der Wahnsinnsserie „Babylon Berlin“ mitspielen durfte und auch in der neuen Staffel dabei bin.

Kennst du noch all deine Lieder aus drei Jahrzehnt?

Etwas fällt immer weg. Ich habe mit meinem Pianisten Thomas Dörschel vor einem Jahr mit „Die alten, schönen Lieder“ Premiere gehabt. Wir wollten die alten Lieder aber nicht aufbacken, sondern völlig neu beleuchten, was ihnen eine wahnsinnige Frische gebracht hat.

Hast du dir rückblickend so eine Karriere ausgemalt?

Nein, Es gibt oft Situationen, wo ich denke, wie toll es ist, das ich meinen Beruf wirklich so liebe. Und diese Liebe trägt einen auch dann, wenn es mal Hürden zu bewältigen gibt.

Hat sich der Mauerfall vor 30 Jahren und die Wiedervereinigung Deutschlands auf deinen künstlerischen Start ausgewirkt?

Ich war zu dem Zeitpunkt noch in Hude und musste mit dem Zug immer nach Oldenburg fahren. Eines Tages war der Zug gerammelt voll, mit Leuten, die mit wenig Sachen in die Freiheit wollten. Ich lud ein altes Pärchen, die mit viel Aufregung und ein paar Fotos zur Erinnerung praktisch in ein völlig unbekanntes Land fuhren, zu einem Kaffee ein. Die ließen alles hinter sich und glaubten an eine wirkliche Vereinigung von Ost und West. Leider wuchs das Land nicht so zusammen, wie man sich das gedacht hatte; die imaginäre Mauer blieb bestehen. Man sprach nicht dieselbe Sprache. Die Narbe, die da reingerissen wurde, verheilt schwer. Meine erste Band bestand übrigens aus „Ossis“.

Du bist in den 90er in Damaskus, Kairo, Khartoum, Paris, Montpellier, Toulouse, Bordeaux und San Francisco aufgetreten. Wie war die Reaktion auf das deutsche Chanson?

Da war ich sehr willkommen, denn die Kultur eines Friedrich Holländer oder Georg Kreisler war ja etwas Bestehendes. Bei uns ist das Chansongenre leider sehr den Bach runter gegangen. Generell ist Kulturpflege schwierig, alte Künstler werden nicht geehrt. Heute fragen mich junge Leute nach Texten und wundern sich, dass einige schon fast 70 Jahre alt sind und immer noch so aktuell.

Dein Sternzeichen steckt schon im Namen, bist du ein typischer Fisch?

Fische gelten als sensibel, ich bin aber auch sehr stark. Manchmal sogar in Extremen zu Hause, aber das vertanzt sich irgendwie. Je älter man wird, desto mehr kommt der Aszendent zum Vorschein.

Tim Fischer Cover // © Archiv

Wie bist du überhaupt zum Singen gekommen?

Ich habe permanent gesungen. Meine Oma hatte in ihrem Plattenschrank tolle Lieder. Und meine Großtante aus Norwegen sang Lili Marleen in fünf Sprachen, das Lied hat mich total fasziniert. Ich konnte meine Gefühle nicht in Worte fassen konnte, sondern nur in Liedern vermitteln. Eigentlich wollte ich Prima Ballerina werden; danach Schauspieler. Ich wollte so schnell wie möglich von der Schule weg; ich war ein Sonderling und eckte immer an. Eine Freundin von mir spielte Akkordeon und mit der bin ich dann durch die Kneipen gezogen und habe gesungen. Wir hatten auch Erfolg. Nur wurde sie dann schwanger. Als Ersatz stellte sie mir Rainer Bielfeldt vor und organisierte direkt eine Probe mit ihm. Wir haben uns dann sofort ineinander verknallt. Ich zog zu ihm nach Hamburg, trat gleich im Schmidt-Theater auf und Lilo Wanders nahm mich ins Hauptprogramm. Das war wohl der Startschuss zu meiner Karriere.

Gab es Einwände gegen deine künstlerische Laufbahn?

Natürlich, Eltern wollen ja immer, dass ihre Kinder etwas lernen, dass sie im späteren Leben finanziell absichert. Nicht um den Spaß zu verbieten, sondern aus Sorge. Aber mein Erfolg in jungen Jahren hat die Vorbehalte schnell verdrängt.

Hat das Schwulsein deine Einzigartigkeit gefördert?

Im Gegensatz zu vielen Schwulen, brauchte ich kein Coming Out. Ich wurde schon von der Gesellschaft in diese Ecke gedrängt, ehe ich mir überhaupt selbst darüber im Klaren war. Was mich störte, dass ich in so eine Schublade gezwängt wurde. Ich fand und finde es immer furchtbar, das man sich in Gruppen separiert und gleichzeitig andere Gruppen diskriminiert. Ich mag es z.B. nicht, wenn Schwule sagen, dass sie mit Frauen nichts zu tun haben wollen. Wenn man weiß, was Ausgegrenztsein heißt und selbst erlebt hat, sollte man offen sein.

Wie erlebst du das Älterwerden?

Ich bin nicht jemand, der die Uhr zurückdrehen möchte; ich bin in der Gegenwart glücklich. Und obwohl ich nicht die Sportskanone bin, fühle ich mich sowohl körperlich als auch geistig fit. Ich finde, 46 ist ein super Alter.

Wer dir näher kommt, bemerkt, dass du Hörgeräte trägst. Warum?

Ich hatte mehrere Hörstürze, die stressbedingt und durch enormen Druck hervorgerufen wurden. Auch durch mein früheres Management und meine Unerfahrenheit, überschätzt man sich eben manchmal selber. Etwas bleibt immer auf der Strecke und man lässt auch Federn. Das Wichtigste ist, nicht daran zu verzweifeln und dass man das Beste daraus macht.

Was könnten deine Fans demnächst von dir erwarten?

Ich habe mit Thomas Dörschel die Doppel-CD „Die schönen alten Lieder“ aufgenommen. Außerdem planen wir weitere gemeinsame Programme. Hinzu kommen Parallelprojekte. Ich habe in „Hundgeburt“ einem Film über Udo Lindenberg und das wilde Leben in den 70ern mitgespielt. Mit meinen „Rinnsteinprinzen“ wird es am 11. Oktober die Doppel-CD „Zeitlos“ mit 30 Songs und 108-seitigem Booklet geben und im Herbst kommt die neue Staffel von „Berlin Babylon“, für die ich den Songtext „Heut’ Nacht in Peru“ geschrieben habe. Darauf freue ich mich schon sehr. Und zu guterletzt ist Premiere von meinem neuen Programm am 17. Oktober.

Hast oder hattest du eigentlich Vorbilder?

Ich würde sagen, es waren eher künstlerische Impulse, die ich von anderen Künstlern bekommen habe. Da ich selbst einen so breit gefächerten Geschmack habe über den Chansonbereich hinaus auch in der Pop-Musik oder der Klassik, kann ich dies nicht an einzelnen Personen fest machen.

Du engagierst dich in deinen Konzerten für die lokalen Aidshilfen …

… die sich als Ziel „Kein Aids für alle bis 2020“ gesetzt hat; dafür braucht sie finanzielle Unterstützung. Wir sammeln regelmäßig und haben bei unserem letzten Kölner Konzert über 1.200 € einsammeln dürfen. Dafür möchte ich mich bei allen lieben Spendern sehr herzlich bedanken.

Und wir bedanken uns bei dir, dass wir einen so schönen Nachmittag mit dir verbringen durften.

Auch Interessant

Mario Adrion

Ein neues Bild von Männlichkeit

Wer Mario Adrion noch nicht kennt, hat etwas verpasst – das deutsche Multitalent macht seit einigen Jahren Karriere in den USA.
Ausgequetscht

Niklas Jandusch

arbeitet als Chef-Steward und wurde auf einem Flug von Heidi Klum angesprochen, ob er nicht bei der neuen Staffel von >Germany‘s Next Topmodel< ...
Dennis und Kevin

Pärchen März 2024

Kein Feuerwerk konnte so strahlen wie die Augen dieser beiden: Denn an Silvester funkte es gewaltig zwischen ihnen.
Ausgequetscht

Aaron Knappstein

ist Mitbegründer und derzeitiger Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp vun 2017 e.V.“
Fynn und Polo

Pärchen Februar 2024

Dieses Paar beweist: Liebe kennt keine (Landes-)Grenzen und keine Sprachbarrieren ...
Germanys Next Top Model

Thomas Rath

ist ein bekannter deutscher Modedesigner, Modeunternehmer und Moderator. Deutschlandweit bekannt wurde er unter anderem als Juror bei Germanys Next...
Philipp und Stefan

Pärchen Januar 2024

Auch wenn diese beiden in den entgegengesetzten Ecken der Schweiz leben, fanden sie zusammen und sind ein Herz und eine Seele...
Leonard

60 Jahre - 60 Fragen - 60 Antworten

2024 feiert Leonard seinen 60. Geburtstag. Grund genug, ihm 60 ganz persönliche und private Fragen zu stellen. Leonard kann mittlerweile auf eine ...
Ausgequetscht

Cassy Carrington

ist Sängerin, Schauspielerin, Moderatorin und Songschreiberin. Die 2.10 m große Entertainerin ist ein wahres Multitalent und was lag da näher ...