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Kiss-Legende Paul Stanley // © Universal Music
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Kiss-Legende Paul Stanley „Verletzlichkeit zu zeigen, beweist besonders viel Stärke“

ks - 31.03.2021 - 10:00 Uhr

Kein Make-up, kein Glitter und keine Gitarre mehr? Paul Stanley (69), Sänger der Hard-Rock-Legende KISS, will sich in der Rockrente nicht langweilen. Deshalb hat das „Starchild“ bis zu 17 MusikerInnen um sich versammelt und unter dem Namen Soul Station das Album „Then And Now“ aufgenommen. Mit Coverversionen alter Motown-Stücke und fünf Original-Songs begibt er sich auf die Spuren von Smokey Robinson, The Temptations und anderer Soul-Legenden. Wie sehr das Liedgut die Laune hebt, kann man sich mit der Ohrwurm-Single „O-o-h Child“ zu Gemüte führen. Beim Zoom-Interview sitzt Stanley im kurzärmligen schwarzen Hemd vor einem mit Familienporträts dekorierten Kaminsims und spricht leidenschaftlich über seine Soul-Wurzeln, das baldige Ende von KISS, seine feminine Seite und vieles mehr.

Mr. Stanley, wie geht es Ihnen?
Mir geht’s prima. Ich bin zuhause. Meine Familie ist sicher. Covid ist in Los Angeles der absolute Albtraum, aber wir sind übervorsichtig. Ich habe gerade meine zweite Biontech-Impfdosis bekommen – ohne Nebenwirkungen. Ich betrachte mich als sehr glücklich.

Auf welches Wiedersehen freuen Sie sich am meisten?
Mit meinem Vater! Es fühlt sich an, als sei es erst gestern gewesen, dass er 100 Jahre alt wurde und ich nicht bei ihm sein konnte. Aber jetzt kann ich ihn wieder besuchen, denn er hat seine Impfung auch bekommen. Und das Tollste ist: Mein Dad – Gott schütze ihn – ist mit seinen fast 101 Jahren immer noch so scharfsinnig wie früher. Es war nicht sein Ziel, so alt zu werden. Bei ihm sind es die Gene. Ich hoffe, ich komme da ganz nach ihm. Denn ich möchte sehr gerne 101 Jahre alt werden!

Was ist einfacher am Laufen zu halten: eine gute Ehe oder eine Band wie KISS?
Das hängt davon ab, mit wem du verheiratet bist! Meine Ehe, es ist die zweite für mich, ist fabelhaft. Sie währt seit 15 Jahren und ich habe ein gutes Gefühl, dass es so bleibt. Aber es ist nicht so viel anders wie mit Bandmitgliedern: Wenn du dieselben Fehler immer und immer wieder machst, dann bist du ein Idiot, wenn du denkst, dass du ein anderes Ergebnis erhältst. Mein Tipp für funktionierende Ehen und Beziehungen: Finde heraus, was du nicht willst, um zu finden, was du finden willst!

Sie zeigen viel Herzblut mit Ihrer neuen Band Soul Station. Sie scheinen im Einklang mit Ihrer sanften, femininen Seite stehen.
Ich glaube nicht daran, dass maskulin zu sein bedeutet, permanent die Muskeln spielen zu lassen. Testosteron zu haben ist nicht gleichbedeutend damit, ständig ruppig und rau zu sein. Ich habe jedenfalls keine Angst vor meinen Gefühlen. Bei Soul Station singe ich viel mit meiner softeren Stimme. Aber ich finde gerade dadurch, dass ich Verletzlichkeit zeige, zeige ich besonders viel Stärke. Im Bezug auf Musik war das immer meine Einstellung. Letzten Endes ist es das, was ich immer an den alten Motown-Songs liebte: Smokey Robinson singt über Beziehungen, über den Schmerz, den er fühlt und darüber, jemanden zu brauchen. Das lässt ihn aber nicht schwächlich dastehen, es macht ihn nur noch stärker.

Viele Leute haben es trotzdem anfangs für einen Witz gehalten, dass der KISS-Frontmann nun eine Soul-Band unterhält.
Es mag einige überrascht haben, ich selbst habe mich allerdings nicht überrascht. Und die Menschen, die mir am nächsten stehen, auch nicht. Es sind die Songs, die ich singe, wenn ich Zuhause bin und das schon seit über 30 Jahren. Ich habe es nur nicht auf der Bühne getan. Manche fragen: „Versuchst du dich neu zu erfinden?“ Nein, das bin ich – das war immer ich! Manche raten mir: „Schuster bleib bei deinen Leisten!“ Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist: Aber egal, ob ich auf dem Freeway unterwegs bin oder der deutschen Autobahn – ich will Gas geben und dabei immer mal wieder die Spur wechseln.

Wie viele Spuren hat Ihre Autobahn?
Auf jeden Fall mehr als zwei. Denn es ist auch nicht zutreffend, dass ich nur zwei Seiten habe – ich habe 100 Seiten! Die erste Musik, die ich als Kind hörte, war Klassik. Ich wuchs mit Beethoven, Maler, Mozart und Schubert auf. Broadway und Theater war immer Teil meiner Musik. Irgendwann kam der Rock’n’Roll dazu. Die Liste ist lang. Kein Mensch sollte anhand eines einzigen Aspekts in seinem Leben definiert werden.

Sind Sie mit einem kulturellen Verständnis aufgewachsen?
Meine Mutter wurde in Berlin geboren, mein Dad gehörte zur ersten Generation im unabhängigen Polen. Als ich Kind war, wohnten wir in der Nähe des Broadways in einem Viertel mit jüdischen Immigranten. In Europa sehen die Menschen die Künste viel mehr als Teil des Lebens. Anders ist es in Amerika, wo es eher einer Fußnote gleichkommt. Ich wuchs auf mit dem Selbstverständnis, dass man in Museen geht, sich bildende Kunst anschaut, das Theater besucht und die Künste erlebt. Das ist Teil meiner Persönlichkeit.
 

Kiss live // © Universal Music

Ihre Mutter war Jüdin und floh aus Deutschland vor den Nazis. Hat Sie die Familiengeschichte geprägt?
Nun, ich bin umgeben von Leuten aufgewachsen, die Nummern auf ihrem Arm tätowiert hatten. Das war der Kreis von Menschen, zu dem wir gehörten. Aber natürlich gab es über sechs Millionen andere, die es nicht aus Deutschland rausgeschafft hatten – der Gedanke war immer präsent. Meine Mutter war eine stolze Deutsche, eine stolze Berlinerin und sie war fassungslos, dass man sie dort umbringen wollte.

Hatten Sie Vorbehalte gegenüber Deutschland, als Sie das erste Mal hier auf Tour gehen sollten?
Ja, das hatte ich. Absolut. Ich wusste, was die Deutschen und die Nazis getan hatten. Und es war für mich unvorstellbar, unbegreiflich, unbeschreiblich schrecklich und irgendwie auch verrückt. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, wo Deutschland als Ort der Angst, des Todes und des Bösen betrachtet wurde – verständlicherweise. Es war kein Vorurteil, es war die Wahrheit! Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, hatte ich nichts als schlechte Gefühle und Magenschmerzen. Ich fühlte mich sehr unwohl.

Aber das konnten Sie ablegen?
Es brauchte einige Besuche, bis sich das einstellte. Heute weiß ich: Da sind jede Menge wundervolle Menschen in Deutschland. Und klar, die Situation hat sich im Vergleich zu damals geändert. Aber lass uns ehrlich sein: Es ist offensichtlich, dass sich da wieder was zusammenbraut. Du kannst sie Neonazis nennen – aber warum nennen wir sie nicht gleich Nazis? Sie sind nichts Anderes!

Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?
Schon! Ich habe genug gelesen, um zu wissen, dass sich unter der Oberfläche eine antisemitistische Strömung zusammenbraut. Die haben offensichtlich nichts gelernt. Und ich hinterfrage die deutsche Regierung, die das nicht im Keim erstickt, bevor sich solches Gedankengut weiter ausbreitet.

Ihre neue Band ist ethnisch und auch sonst recht gemischt, Ihre Soul-Musik ist positiv und hoffnungsvoll. Ist das auch als Statement gegen Rassismus und die Spaltung der Gesellschaft zu verstehen?
Rassismus und Spaltung waren noch nie gut. Doch anstatt über Politik zu singen oder das, was uns trennt, beschäftige ich mich lieber mit dem, was uns verbindet und was wir alle gemeinsam haben. „O-o-h Child“ ist ein R&B-Song über Hoffnung, das war er aber schon, als The Five Stairsteps ihn 1970 rausbrachten. Er verspricht, dass die Dinge besser werden. Diese Band hat sich zur Aufgabe gemacht, Freude zu verbreiten. Musik, Videos, Live-Auftritte – alles ist so leidenschaftlich, dass es ansteckend wirkt.

Wird die „End Of The Road“-Tour wirklich die letzte Welttournee für KISS sein?
Ja, absolut. Daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt nun mal bestimmte Realitäten: Du kannst eine gewisse Zeit gegen die Uhr anspielen, aber letztendlich gewinnt immer die Uhr. Wenn ich so, wie ich jetzt gerade angezogen bin, die KISS-Shows spielen würde, könnte ich das bis 80 oder sogar 90 machen – wenn ich nach meinem Vater komme. Aber das zu tun, was wir mit KISS machen, macht das leider unmöglich – neue Hüften habe ich ja schon. Die Band klingt großartig, die Show ist unglaublich, es ist besser, sich so zu verabschieden und den Fans zu sagen: „Lasst uns eine großartige Nacht haben, in der wir unsere Verbindung mit euch feiern und die erinnerungswürdigste Show, die wir jemals gemacht haben auf die Bühne bringen. Und dann können wir alle mit Stolz und Freude zurückblicken.“ Eine Zukunft für KISS gibt es nicht.

Könnten Sie sich vorstellen, mit Soul Station die KISS-Konzerte zu eröffnen?
Einen Song wie „O-o-h Child“ in KISS-Make-up zu singen, das wäre nicht gut. (lacht) Ich kann auch nur eine bestimmte Anzahl von Stunden singen. Aber wir hatten ernsthaft in Erwägung gezogen, auf der KISS-Cruise zu spielen. Doch es ist einfach zu herausfordernd, auf so viel Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Ich vermute jedoch, dass Soul Station noch vor KISS die Möglichkeit haben werden, zu spielen.

Inwiefern?
Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bevor 10.000 oder 100.000 Leute in einer Arena wieder Schulter an Schulter stehen können. Und nur so funktionieren KISS-Konzerte eben.

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