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LEOPOLD // © vvg

Leopold Sänger, Songschreiber, Performer und Aktivist

vvg - 11.01.2022 - 10:00 Uhr

Die erste EP hieß „Body Language", wie würdest du dich mit einem Satz beschreiben, egal in welcher Language?
Ich bin ein queerer deutscher Künstler sowie Sänger und mache queere Songs.

Wie siehst du dich: Diva, Vamp, Role-Model, Bitch, Drag-Queen?
Von allem etwas, wahrscheinlich. Aber am wenigsten bin ich Drag-Queen, da ich meine Kleidung und Make-up nicht als Kunst betrachte.

Was glaubst du, wie nehmen dich Leute wahr, die dich nicht kennen?
Als eine Erscheinung, die eine gewisse Distance verlangt. Deswegen ist mir das Erscheinen meines ersten Albums mit dem Namen "Unattrative" auch wichtig, um mehr Nähe zu schaffen und Einblicke in mein ICH und mein Leben zu ermöglichen.

Du bist inspiriert von Prince (m) und Beyonce (f) – Wie viele männliche und frauliche Anteile stecken in dir?
Mal so, mal so. Ich selbst definiere mich als genderfluid. Es gibt Tage, da fühle ich mich mal männlicher, mal weiblicher, das sind aber keine gesetzten Anteile oder Prozente. Es gibt aber auch Tage, da fühle ich mich neutral, wie eine Amöbe ­(lacht). Ich befinde mich aber in einer guten Balance.

Hast du Lieblingssänger?
Natürlich. Beyonce, Janelle Monàe, Adele, Lady Gaga und Aretha Franklin finde ich klasse.

Deine Markenzeichen sind eine hohe Stimme und die nonbinäre Ausstrahlung: von wem hast du dein musikalisches Talent und wer entwirft deine extravaganten Outfits?
Ich kaufe meine Outfits, arbeite aber auch mit Designer:innen zusammen, selber nähen kann ich leider nicht. Mein musikalisches Talent habe ich von beiden Elternteilen, beide singen im Chor, selbst meine Schwester. Aber ich bin der erste in der Familie, der die Musik zum Hauptberuf gemacht hat.

„Pink Rebel" ist die zweite Single-Auskopplung aus dem neuen Album. Du rebellierst für Gleichberechtigung, Akzeptanz und Sichtbarkeit, entstand das durch negative Erlebnisse in der Jugend?
Auf jeden Fall auch. Es sind zum Teil persönliche Erfahrungen, die ich mit homo- und transphoben Menschen im Alltag oder durch meine künstlerische Arbeit gemacht habe. Aber auch, was mir Leute aus der Community oder andere Künstler erzählt haben. Es ist erschreckend, was die Leute in der heutigen Zeit noch für Einstellungen haben. Es geht im Song darum, aus seiner Bubble zu kommen und nicht alles zu glauben, was einem vorgesetzt wird, sondern selbst zu denken. Auch die Bibel z.B. ist nur ein von Menschen geschriebenes Werk, welches ein Gerüst im Leben sein kann, aber nicht die absolute Wahrheit enthält.

Was rätst du Jugendlichen, die Mobbing erleben?
Lasst euch nicht davon unterkriegen. Umgebt euch mit Menschen, die euch guttun und unterstützen. Dazu gibt es auf dem Album den Song „Letter“ und dessen Aussage, dass man selbst in einer hoffnungslosen Situation das Licht am Ende des Tunnels sehen kann.

Du appellierst gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung: wie gehst du mit Hass und Shitstorms um?
Mein Management, meine Band und ich sind ein kleines Team und so geht es nicht umhin, dass wir alles selbst lesen und teilweise aussortieren müssen. Im ersten Moment ist es erschreckend, wie manche Menschen denken. Wir löschen manche Hasskommentare, aber ebenso kommentieren und teilen wir sie, um auf die Gefahr, die von solchen Denkweisen ausgeht, hinzuweisen. Und wir bringen die extremsten auch zur Anzeige bei der Polizei. Anonyme Accounts blockiere ich grundsätzlich.

 Deinen Endgegner nennst du das Patriarchat, wie war dein Verhältnis zu deinem Vater?
Ich hatte das große Glück, dass beide Eltern sehr offen und akzeptierend waren, mich so angenommen haben und auch wussten, dass ich anders bin als meine Geschwister. Sie lieben uns alle gleich und ich hatte keine Probleme mit meinem Vater.

Wie haben dich deine Eltern erzogen? Durftest du der Mensch sein, der du sein wolltest?
Auf jeden Fall, ich habe zu Hause Musicalaufführungen gemacht mit Requisiten, Kostüm und Bühnenbild, da hat mich meine Familie immer unterstützt. Dabei fand ich die weiblichen Rollen immer interessanter. Bei der Berufswahl kam die Stimme meiner Eltern durch: "Mach' erst mal etwas Sicheres." Künstler ist nichts Sicheres! An der weiterführenden Schule, wo ich mein Abitur machte, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, Lehrer zu werden. Aber nach drei Jahren kam die Einsicht, dass es das nicht sein wird. Ich habe zwei Jahre in einer Behinderteneinrichtung gearbeitet, bis ich den Mut gefasst habe, auf meine innere Stimme zu hören und die Musik zu meinem Beruf zu machen. Es hat zum Glück geklappt.
 

LEOPOLD // © vvg

Was war das Mutigste, das du je getan hast?
Meine Outings, das hat viel Mut und Zeit erfordert, aber auch das was ich jetzt mache und wie ich auftrete. Inzwischen empfinde ich es selbst gar nicht mehr als so mutig, aber die Leute bewundern mich und meinen Mut.

„Paradise“ war der offizielle Pridesong bei TikTok Deutschland und lief auch auf dem Global Pride im Livestream. Du bist schon sehr viel aufgetreten – u. a. in Berlin (Teddy Award), in Köln (CSD), in Hamburg (Reeperbahn-Festival) in Stuttgart (Jazzopen) aber auch in Portugal, Dänemark und Tschechien. Welcher Ort war „paradiesisch"?
Einfach da, wo LIEBE ist. Ich kann das nicht an einem bestimmten Ort festmachen, es braucht gute Leute, tolle Stimmung und Menschen, die Bock auf meine Musik haben (grinst). Das können fünf Leute sein oder neuntausend. Am meisten ging es bisher auf Madeira in Portugal ab, was sicherlich auch an der portugiesischen Kultur lag.

Adam verführte Eva mit einem Apfel: womit kann man dich verführen?
Mit gutem Essen. (lacht) Nein, Spaß, mich kann man eher mit einem guten Charakter verführen. Man merkt schon bei der ersten Begegnung am Lachen, an der Stimme oder an der Aura, ob der Charakter zum Äußeren passt.

Du hast auf TikTok 160.000 Follower – hat man da noch Zeit für eine Beziehung oder bist du das begehrte „Girlfriend“?
Ich bin Dauersingle, es hat sich nicht ergeben, aber es liegt wohl am Beruf und dem ständigen Unterwegssein, dass die Zeit fehlt, jemanden richtig kennenzulernen. In den Lockdowns habe ich mich schon allein gefühlt, aber so hatte ich auch Zeit, 2021 die Songs für das Album zu schreiben und zu produzieren. Aber ich hätte schon gern eine Beziehung und auf jeden Fall später auch Kinder.

 Auf deiner 2ten EP "FEM" heißt ein Song "Girlfriend", dazu stellen wir dir Fragen, die man nur der besten Freundin stellt. Was bringt dich zur Weißglut?
Wenn ich das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden. Wenn man mir Sachen unterstellt, die ich nie machen würde. Oder man mich falsch interpretiert über Dinge, die ich gesagt habe. Dabei mag ich auch nicht die digitale Kommunikation zur Klärung, sondern ich suche das direkte Gespräch.

Wann hast du das letzte Mal geweint – und warum?
Das letzte Mal, wo ich bewusst richtig geweint habe, war bei einer Livesession zum Album. Es hatte sich viel Druck in der Produktion aufgestaut und da ist es einfach aus mir rausgeflossen. Ich glaube auch, dass ich ein Tränenkonto habe und wenn ich eine Zeit nicht geweint habe, reicht ein kleiner trauriger oder auch ein freudiger Anlass, so dass die Tränen einfach fließen.

Wovor hast du Angst?
Vor Höhe! Die Angst kann sogar auf der Bühne auftreten, wenn ich mit meinen 18cm hohen Highheels am Bühnenrand stehe und plötzlich das Gefühl bekomme, ins Publikum zu fallen. Und ich habe Angst vor der Dunkelheit, wenn ich gerade einen Horrorfilm angesehen habe. Aber das geht wahrscheinlich den meisten so.

Wie erlebst du das Älterwerden?
Angst vor dem Altwerden habe ich nicht, eher die Angst, liebe Menschen zu verlieren. Mittlerweile habe ich realisiert, dass alles seine gewisse Zeit hat und dass man die Zeitabschnitte so gut es geht, genießen sollte – auch wenn es anstrengend sein kann. Aber man wird nie in ein jüngeres Alter zurückkehren.

In welcher Beziehung bist du ein Spießer?
Wenn es um finanzielle Dinge geht, bin ich überkorrekt bis auf den Centbetrag. Und Pünktlichkeit ist mir wichtig, aber das empfinde ich nicht als spießig.

Gerade an unserem Interviewtag erscheint dein erstes Debütalbum „Unattractive". Was kannst du uns darüber erzählen?
Bei „Unattractive“ geht es mir darum, Menschen zu ermutigen, die Person zu sein, die sie sein möchten. Man sollte mit sich im Reinen sein, eine innere Balance finden, das aussprechen können, was man denkt und das lieben, was man liebt. Dabei bedeutet unattraktiv für mich eher unbequem als ein unattraktives Äußeres. Die neun unterschiedlichen Songs spiegeln das in verschiedenen Facetten wieder. Das Album ist auf allen Streaming-Plattformen erschienen, es gibt aber auch eine limitierte physische Version als CD. Die Musik stammt von mir selbst, die meisten Texte habe ich zusammen mit meinem Produzenten Jakob Mecke alias jaako geschrieben. Ich bin mit englischsprachiger Musik aufgewachsen, fühle mich darin wohl und kann so ein internationales Publikum erreichen. Die Texte sind auch veröffentlicht, falls jemand sie mitlesen möchte.

Welchen Traum möchtest du gerne noch verwirklichen?
Ich habe mich für Deutschland beim ESC beworben und man wird sehen, was passiert. Ich würde das wirklich sehr gerne machen. Und ein Sieg beim ESC wäre schon so etwas wie mein Traum.

 Was steht noch in nächster Zeit an?
Die neue Single aus dem Album "Unattractive" mit dem Titel "James Dean" wird am 29. Dezember erscheinen und Anfang nächsten Jahres wird es noch eine tolle Überraschung geben. Zurzeit ist es schwierig, Konzerte und Festivals zu planen, aber sobald es neue Termine gibt, erfährt man es immer sofort auf meinen Social Media Kanälen und auf meiner Homepage www.leopold-music.com.

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