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Leserumfrage Unfreiwilliges Outing - Wie sag ich`s meinen Eltern?

vvg - 05.01.2015 - 09:30 Uhr

2001 habe ich meiner Mutter während eines Spaziergangs mit dem Hund beiläufig gesagt „Ach übrigens, ich glaube, ich stehe auf Männer!“ Sie hatte immer angenommen, eine gute Bekannte von mir, sei auch meine Freundin. Diese zeigte auch starkes Interesse an mir und ich habe es auch probiert, aber schon beim 1. Kuss festgestellt, dass das nicht mein Ding ist. Die Reaktion meiner Mutter beim Spaziergang war gleich Null; hinter verschlossener Tür zu Hause hat sie dann vier Tage lang geheult. Gut 2 Jahre später bot sie mir sogar eine volle Million an „wenn ich mich anders entscheiden würde.“ Ansonsten wurde das Thema nie angesprochen, bzw. irgendwie mal nachgefragt. 2002 habe ich den Mann meines Lebens kennen gelernt, den ich exakt 10 Jahre später geheiratet habe. Dazu habe ich meine Eltern nicht eingeladen, weil ich den vermeintlichen Ärger umgehen wollte. Dummerweise habe ich ihnen mit meinem Smartphone eine belangslose E-Mail geschickt - wir hatten ja weiterhin normalen Kontakt. Mein Smartphone hat auf Grund einer Aktualisierung der E-Mail-App aber die E-Mail-Accounts getauscht und so erhielten sie eine Mail mit der für die Hochzeit eingerichtete Adresse.

Als meine Mutter mich darauf 2 Wochen später ansprach, lautete meine Antwort, dass wir schon geheiratet hätten. Ich hatte ja damit gerechnet, dass beide damit nicht umgehen konnten. Erstaunlicherweise war die Reaktion aber vollkommen anders - und zwar positiv spooky! Wir wurden spontan zum bevorstehenden Weihnachtsfest eingeladen; zusammen. Und meine Mutter bereitete uns sogar persönlich das gemeinsame Bett. Heute fragt sie ständig und explizit nach, wie es meinem Mann geht und wann wir sie endlich wieder besuchen kämen. So kann ein unfreiwilliges Outing auch ausgehen.
Michael Haas, Lörringen
 

Michael Haas // © vvg

Ich habe mit 23 Jahren noch zu Hause gewohnt, obwohl ich die meiste Zeit bei meinem damaligen Freund in Bochum war. Meine Eltern stellten sich dann die Frage, wo ich meine Nächte verbringen würde. Irgendwann ist meine Schwägerin mir nachgefahren, also ich wurde richtig kontrolliert. Ich fuhr also zu meinem Freund und sie hinter mir her, um mich sozusagen zu beschatten; was ich allerdings nicht bemerkte. Sie hat viel Ausdauer bewiesen und so lange im Wagen ausgeharrt, bis wir aus dem Hause kamen, um Essen zu gehen.

Ich weiß nicht, ob meine Eltern es vielleicht geahnt haben, schließlich wusste ich schon mit 6 Jahren, wo ich hinwollte. Ich hatte da schon viel Spaß mit meinem Cousin!! 

Als ich Tage später meine Tante besuchte (die übrigens ebenso wie meine Oma über mich Bescheid wusste) bekam ich den Anruf. Allerdings sollte ich ins Hause zu Freunden meiner Eltern kommen. Meine Mutter konnte mir zu dem Zeitpunkt nicht in die Augen schauen. Sie war wohl enttäuscht, dass ihre Seifenblase geplatzt war und heulte ein paar Tage. Mein Vater, ein Macho, meinte, ich solle die rosarote Brille abnehmen, dann wäre ich auch irgendwann wieder gesund. Irgendwann kehrte aber wieder Normalität ins Leben. Zwar ist seitdem das Verhältnis zur Schwägerin nicht mehr so, wie es früher zwischen uns war, aber meine Mutter akzeptierte meine Entscheidung. Ich glaube allerdings, dass sie bis heute nicht weiß, dass meine Tante und die Oma schon vor ihr Bescheid wussten. Als ich nach meiner Zivildienstzeit auch noch als Travestiekünstlerin anfing, erlebten sie (kurzweilig) den 2. Schock. Mein Vater sagte damals: „Oh Gott, jetzt kommt das auch noch.“ Aber schon 2 ½ Jahre später wollte er mich managen. Heute ist die Welt wieder in Ordnung und selbst die Tatsache, dass mein Cousin ebenfalls schwul ist, ist kein Thema mehr.
Miss Monique, bekannt aus dem Hamburger Pulverfass
 

Miss Monique // © vvg

Ich bin und arbeite seit 2 Monaten in Deutschland. Davor habe ich 3 Jahre in Zagreb gelebt und davor 4 ½ Jahre in Montreal. Meine Familie lebt in Osijek, der viertgrößten Stadt Kroatiens. Mein Outing kam durch einen Zufall: ich hatte einen Freund in Mexiko, mit dem ich, als ich noch zu Hause wohnte, über das Internet kommunizierte. Wir hatten nur einen Computer und ich war eigentlich der einzige, der ihn benutzte. Mein Stiefvater wollte irgendwann wohl mal daran und fand meine Mails, die er dann las. Er hat mich aber sehr nett darauf angesprochen; dass er nun wüsste, dass ich schwul sei und dass das überhaupt kein Problem für ihn wäre. Er gab mir allerdings den Rat, es der Mutter nicht zu sagen, da sie mit Sicherheit sehr traurig wäre. Als ich im Sommer meinen mexikanischen Freund besuchen wollte, stellte sie mir dann die entscheidende Frage. Ich habe erst mit „Nein“ geantwortet, weil ich sie nicht aufregen wollte. Sie bohrte aber nach und ich gab es zu. Natürlich hat sie auch geweint, weil sie meinte, ich würde in meinem Leben nie eine Frau haben und dadurch sicherlich ein schweres Leben führen müssen. Mit der Zeit hat sie es aber akzeptiert. Dass es schwer für sie war, ist nachvollziehbar: Da wo sie lebt, gibt es keine Schwule und wenn dann nur versteckt. Die, die sich geoutet haben, sind nach Zagreb gezogen, wo das Leben einfacher ist. So war ich der 1. Schwule mit dem sie überhaupt Kontakt hatte, heute weiß sie, dass ich nicht der Einzige bin. Früher hätte sie auch nie mit ihren Freundinnen darüber gesprochen; heute ist sie selbstbewusst; sie verteidigt die Schwulen und unterstützt sie sogar. In meinem Job im Krankenhaus habe ich mich noch nicht geoutet. Ich habe aber keine Angst, denn wenn einer dieses Interview liest, ist er mit Sicherheit selbst schwul.
Tomislav, Kroatien
 

Tomislav // © vvg

Gemerkt, dass ich Männern zugeneigt bin, habe ich schon in meiner Schulzeit. Die ersten Erfahrungen mit Gleichaltrigen kamen in der Zeit der Pubertät, allerdings waren das mehr Spielereien. Irgendwann gehörte es dazu, dass man eine Freundin haben musste. Das hielt bei mir aber nie lange, denn wenn es ernst wurde, habe ich mich immer zurückgezogen. Da ist also nie etwas passiert, so dass ich auf dem Gebiet noch „Jungfrau“ bin.

Das 1. Mal dass ich mit einem Mann eingeschlafen bin, hatte ich mit 25; ich bin auf dem Gebiet ein Spätzünder. Das dauerte dann auch nur ein paar Monate. Mein 2. Freund war schon geoutet und verlangte von mir, dass ich das auch tun sollte; was ich ihm auch versprach. Meine Eltern merkten meine Nervosität und als es endlich raus war, fielen sie aus allen Wolken. Sie glaubten anfangs, dass ich meine politische und berufliche Karriere aufgeben würde. Als sie bemerkten, dass sich aber in meinem Leben nicht groß etwas veränderte - ich zog ja keine Frauenkleider an! - respektierten sie das. Ich habe mich dann nach und nach bei den Personen geoutet, die mir nahe standen.

Irgendwann wollte ich aber auch beruflich „frei“ sein und keine Glaubwürdigkeitslücken in meinem Leben haben. Ich outete mich in einem Interview mit Torsten Bless für die monatlich erscheinende „queer“ und Torsten fragte direkt, ob er das auch so schreiben dürfe. Gleichzeitig habe ich es einem Klatschkolumnist der Bild-Zeitung gesagt, die das natürlich auch sehr heiß fand. Wir einigten uns, dass sie erst an dem Erscheinungstag der „queer“ drucken dürften und so wurde der 28. Juli 2000 zu einem richtigen Paukenschlag. Die Bild brachte dann eine ½ Seite mit meinem Foto und den Worten „Ja, ich bin schwul!“ Witzigerweise bekam ich aber überall nur positives Feedback. Heute lebe ich mit meinem türkischstämmigen Freund offen zusammen. Der 28. Juli wird aber sozusagen als mein 2. Geburtstag gefeiert; denn es ist eine enorme Befreiung, wenn man geoutet ist und sein Leben frei leben kann.
Ralph Sterck, Fraktionsvorsitz der Kölner FDP
 

Ralph Sterck // © vvg

Ich habe 1989 geheiratet und zwei erwachsene Kinder. Als Kind habe ich mit Puppen gespielt und die High-Heels und Röcke meiner Mutter getragen, wofür es immer Schelte gab; als Teenager habe ich andere Jungen grundlos bewundert. Als ich mir 42jährig nach einer Skatboardtour mit meinem Sohn ein Knie brach und dadurch gehbehindert war, habe ich die schwulen Seiten entdeckt. Nach erstem Chatten habe ich mich entschlossen, es mal sexuell mit einem Mann auszuprobieren - bis dahin lebte ich in einer monogamen Beziehung mit meiner Frau. Mein „Erstes Mal“ war gleich ein Dreier, was so entspannend war, dass mein Umfeld mit „Dir geht es aber gut!“ reagierte. Einen Monat später, im Februar 2007, fuhr ich mit Frau, Kindern und einem schlechten Gewissen in den Skiurlaub. Nach 7 Tagen ging es mir körperlich schlecht, ich kam mit Blaulicht und Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus, was sich später als Herzmuskelentzündung entpuppte. Bei der Enduntersuchung im April meinte der Arzt, ich wäre für so eine Krankheit eigentlich körperlich zu fit, es müsste noch etwas seelisches sein, was mich bedrücke. Meine Antwort darauf: „Ich glaube, ich weiß, was es ist. Aber ich möchte nicht darüber reden.“ Der Arzt entgegnete: „Okay, ich habe den ganzen Tag für sie Zeit; ich entlasse sie erst, wenn sie mit mir gesprochen haben.“ Stunden später habe ich das Wort „schwul“ offen ausgesprochen, worauf er antwortete: „Das könnte die Ursache allen Übels sein.“ Ich habe das sofort meiner Frau und den Kindern erzählt, weil ich nicht wollte, dass sie das von anderen erfahren sollten. Meine Frau hat geweint, mich aber mit den Worten „Man kann das nicht selbst entscheiden“ in den Arm genommen. Meiner Tochter war es angeblich schon länger klar. Heute bin ich froh, im Reinen zu sein, denn seit der offenen Aussprache geht es mir wunderbar.
Hans Leutwyler, Schweiz
 

Hans Leutwyler // © vvg

Als ich noch in Kiel studierte und mich meine Eltern aus Süddeutschland besuchten, habe ich denen aus gegebenem Anlass das Buch „Hilfe, mein Sohn ist schwul“ geschenkt. Meine Mutter war ein wenig konsterniert, es wurde aber nicht weiter thematisiert, allerdings kam irgendwann mal im Nebensatz die berühmte Frage einer Mutter: „Was habe ich nur falsch gemacht?“. Mein Vater versicherte mir nach einer Stunde In-sich-gehens, dass er mich trotzdem lieb hat. Damit war das Thema zunächst vom Tisch und bei meinen Gegenbesuchen bei ihnen konnte ich ohne irgendwelche Probleme meinen Freund mitbringen. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie sich die beiden an ihrem Wohnort mit mir/uns geoutet haben. Und das Buch habe ich auch nie wieder gesehen.

Interessanter ist unser Outing im kleinen Seelendorf Neuenbrook, wo mein Mann - mit dem ich jetzt seit 17 Jahren zusammen bin - geboren wurde und wo wir zusammen wohnen. Wir sind dort gemeinsam beim Feuerwehrball auf die Tanzfläche zum Tanzen gegangen und haben damit unsere Beziehung sofort für alle sichtbar dargestellt. Das war so, als wäre es eine Selbstverständlichkeit und außer ein paar Fragen interessierter älterer Leute, warum das denn so wäre, war das nie ein Thema. Wir haben uns dort auch verpartnert und kirchlich segnen lassen, und das halbe Dorf war anwesend; zumindest zum Gucken. Und bei unserem Polterabend hat uns der Männergesangsverein musikalisch begleitet. Andere schwule Männer in unserem Dorf sind nicht sichtbar; vielleicht sind einige in größere Städte gezogen. So sind und bleiben wir zunächst das einzige Männerpaar im Ort. Ich fahre zum Arbeiten in die Großstadt und zwar nach Hamburg, wo man als schwuler Mann aber auch kein Problem haben dürfte. Diejenigen, die mit dem Thema nichts zu tun haben wollen, halten sich zurück. Der Rest weiß, was er an uns hat. Man kann und will aber auch nicht mit jedem gut Freund sein.
Joachim Ahrends, Itzehoe
 

Joachim Ahrends // © vvg

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