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Lydie Auvray // © vvg

Lydie Auvray „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal von der Musik leben kann.“

vvg - 10.02.2021 - 10:00 Uhr

Lydie Auvray ist die "Grande Dame des Akkordeons". Die in Frankreich geborene Musikerin ist ebenso Komponistin und Sängerin. Ihre Karriere begann als Begleitmusikerin vieler bekannter Sänger wie Hannes Wader, Klaus Hoffmann, Reinhard May, Peter Maffay oder Senta Berger.

Wie hast du die Corona-Zeit genutzt?
Ich hatte Glück im Unglück, das Album „Mon Voyage“ kam Anfang 2020 heraus und die Tournee endete am 15. März; wir konnten also alle Auftritte durchführen. Aber alle weiteren Konzerte wurden abgesagt. Es blieben von August bis Oktober nur fünf Aufführungen übrig. Aber ich kenne keine Langeweile: Ich starte morgens mit Sport, lerne Spanisch und Klavier, spiele täglich Akkordeon und habe einen Garten am Haus. Ich habe auch versucht, kreativ zu sein, aber dafür fehlte oft der Input. Helmut Zerlett fragte mich im September, ob ich für den Film von Detlef Buck „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ Musik einspielen könnte. Das war eine schöne Arbeit und hat gutgetan.

„Mon Voyage“ ist dein 23. Album, gibt es ein Lieblingsalbum?
Immer das Aktuelle. (lacht) Aber besonders „Triangle" und das letzte „Mon Voyage“, weil ich mich da in meinen Kompositionen breiter aufgestellt habe.

Du bist in der Normandie geboren, wolltest du als Kind schon Musikerin werden?
Ganz klein wollte ich zuerst Friseurin werden, (lacht) Danach Lehrerin - wie viele kleine Mädchen.

Da ich sehr gut in der Schule war, musste ich die schwersten Sprachen Deutsch, Russisch und Latein lernen; ich machte in meinem Jahrgang das beste Abitur der Stadt. Mein Ziel war es, Sprache oder Literatur zu studieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal von der Musik leben kann.

Das Akkordeon ist ein volkstümliches, aber aus der Mode gekommenes Instrument. Wie entstand deine Liebe zum Akkordeon?
Eigentlich wollte ich Ballerina werden. Aber da waren alles Mädchen aus der Hautevolee, ich kam aus einer Arbeiterfamilie. Durch meine Schwester, die mit Akkordeon anfing, bin auch ich zur Musik gewechselt und habe sofort gespürt, das ist meine Welt. Dazu hatte ich eine ganz tolle Lehrerin.

Hat das Akkordeon in Frankreich einen anderen Stellenwert als in Germany?
Oui, das alte Musette ist typisch Französisch, volksverbunden, eine ehrliche Musik und das Musette-Akkordeon, also das Knopfakkordeon, war im Chanson durch Jacques Brel, Juliette Greco oder Edith Piaf sehr stark vertreten. In meiner Jugend entwickelte sich die Musettemusik allerdings von populär zu populös. Da habe ich oft verschämt lieber zur Gitarre gegriffen. In Deutschland war es fast nur in der Volksmusik vertreten, hat sich aber - auch durch meinen Einfluss - in der Liedermacherszene etabliert.

Wie hat es dich nach Deutschland verschlagen?
Mit 15 war ich zum Schüleraustausch in Deutschland, um mein Deutsch zu verbessern. Das hat mir gefallen und ich bin jedes Jahr wiedergekommen. Mit 17 habe ich mich verliebt und da mein Freund nicht zur Bundeswehr wollte, sind wir nach West-Berlin gezogen. Hier hatte man noch nie ein Knopfakkordeon gesehen. Man kannte es einfach nicht - auch nicht die Musette. Ich war eine Exotin. Viele bekannte Musiker wollten mich in ihrer Musik haben. Das war eine günstige Fügung.

Du bist damit u. a. in Dänemark, Schweden, Brasilien, Russland, Frankreich und in der Karibik gewesen – kommst du momentan nicht um vor Fernweh?
Mich zieht es nicht mehr so weit weg. Außerdem fliege ich nicht mehr gern und da auch Europa sehr viel zu bieten hat, werde ich bevorzugt auf diesem Kontinent bleiben. Ich habe die letzten Jahre die Schönheit Spaniens entdeckt und es gibt unendlich viele schöne Gegenden und freundliche Menschen in Europa.

2014 hattest du eine Zwangspause durch einen gebrochenen Arm. Ist die Corona-Pause jetzt schwieriger?
Ich hatte noch drei weitere Pausen: eine Virus-Erkrankung und eine Babypause mit meiner Tochter. Die Jetzige finde ich am schwierigsten. Bei den drei anderen war nur ich allein eingeschränkt, Corona schränkt aber die Kultur und das ganze soziale und künstlerische Leben ein.

Mittlerweile stehst du seit 44 Jahren auf der Bühne - hast du als Baby angefangen? Wie hat sich im Laufe der Zeit deine Musik verändert?
Das war die lange Reise einer jungen Französin, die einfach nur Akkordeon spielt, aber keine Ahnung hat von irgendetwas. Ich konnte Noten gerade mal lesen, habe empirisch gelernt, indem ich mit anderen zusammengespielt habe, habe ausprobiert und improvisiert. Als ich 1974 begann, Musik zu machen, war ich mit dem Akkordeon allein in der deutschen Musikszene, man kannte weder brasilianische Akkordeon-Musik, ganz zu schweigen von Astor Piazzola. Dadurch, dass man das Akkordeon überall mitnehmen kann, hat es sich über die Welt verbreitet. Jetzt kennt man Akkordeonmusik aus Russland, Afrika, Südamerika oder Blues und Cajun aus Nordamerika. Das kannte ich damals alles nicht und musste selbst herausfinden und entdecken, was ich alles mit diesem Instrument spielen kann. Das war eine abenteuerliche Reise.

Du hast Top-Stars der Musikszene begleitet, warst bei Klaus Hoffmanns „Live-Doppel-LP“ und „Westend“ dabei. Darauf singt er: „Wenn ich sing… “ Geht es dir ähnlich?
Auf jeden Fall. Das beschreibt genau das, was uns Künstlern gegenwärtig fehlt - Musik für und vor Menschen zu spielen.

Hannes Wader hast du bei der LP „Es ist an der Zeit“ und seiner Tournee begleitet. Woran ist es gegenwärtig an der Zeit?
Zum neuen Jahr hat mir eine Freundin einen lieben Gruß gesandt, den ich ungefähr so wiedergeben kann: „Es ist an der Zeit, dass CORONA wieder nur ein Bier ist, das Tests in der Schule geschrieben werden und Donald nur eine Ente ist."
 

Lydie Auvray // © vvg

Stephan Remmler unterstützt du bei „Lotto“. Glaubst du an das Glück und forderst du es heraus?
Ich mache selten Glücksspiele, hab auch noch nie etwas gewonnen. An dieses Glück glaube ich nicht, aber ich habe im Leben viel Glück gehabt. Mein Motto ist wie das der Piaf: Je ne regrette rien - ich bereue nichts. Ich habe im Leben meistens die richtigen Entscheidungen getroffen und auch wenn es z. B. in Beziehungen schmerzhafte gab, überwog doch der positive Teil. Ich glaube daran, dass jeder - zumindest zum großen Teil - seines Glückes Schmied ist.

Für die Musik-Videos von „Lotto" waren wir in Brasilien und haben in London zusammen mit Status Quo ein Video gedreht.

Bei Peter Maffay hieß die Tour „Lange Schatten“. Wann hattest du in deinem Leben lange Schatten?
Wenn man lange Zeit selbstständig ist, hat man immer wieder Existenzängste. Meine Karriere begann nicht mit einem Blitzstart, es ging eher wellenförmig nach oben. Es gab Zeiten, wo es nicht so lief, wo man an dem, was man macht, zweifelt. Aber ich lasse mich nicht lange nach unten ziehen, sondern raffe mich auf und mache weiter. Meine erste Ehe war ziemlich schattig, aber dadurch bin ich nach Deutschland und in die Musikszene gekommen. Die zweite Beziehung hielt 19 Jahre, das war die Zeit, wo ich viel in der Karibik war und aus dieser Ehe stammt meine wunderbare Tochter.

Wodurch bekam deine Musik in den 80ern karibische Einflüsse?
Ich hatte Freunde auf Martinique und habe dort meinen zweiten Mann Frank kennengelernt. Ich war viele Jahre danach oft und lange auf der Insel. Ich hatte aber immer eine Affinität mit südamerikanischer und karibischer Musik.

Warum bist du erst 2012 auf Solotournee gegangen?
Weil ich mir das vorher nicht zugetraut habe und ich immer gern mit anderen Musikern zusammengespielt habe. Und letzten Endes konnte ich so als Solistin auch in kleineren Häusern Gast sein, was sonst kostentechnisch für diese nicht finanzierbar gewesen wäre.

Bist du als Künstlerin in Frankreich und in der Karibik ebenso bekannt wie in Germany?
Viel weniger, das liegt daran, weil ich in Deutschland meine Karriere begonnen habe. Durch meine Liedermacher kennt man mich und ich wurde im TV und Radio engagiert. Dazu habe ich hier meine Plattenfirma, die mich ebenfalls unterstützt. In Frankreich hätte ich noch mal von vorne anfangen müssen, um diese Bekanntheit zu erreichen. Obwohl ich viel positive Resonanz aus Frankreich bekomme und es Akkordeonkünstler mit meiner Art so nicht gibt, finde ich dort keine große mediale Unterstützung.

1990 hast du die Musik für die Serie „Mannsbilder“ gemacht. - Was ist dein ideales Mannsbild?
Ich habe immer einen Partner auf Augenhöhe gesucht, aber nie bekommen. Männer sehen in mir die starke Frau und fürchten sich vielleicht dadurch vor der Kontaktaufnahme. Es gibt wenige Männer, die damit umgehen und das aushalten können. Ich möchte mich aber auch gern an eine Schulter anlehnen können und nicht immer die sein, die alles tut und macht.

Wie viele echte Freunde hast du im Unterhaltungs-Haifischbecken?
Die Liedermacherszene ist nicht so das Haifischbecken. Ganz anders in der Schlagerszene, ich war oft Gast in einer TV-Sendung mit Schlagersängern. Was da abgeht …

Aber es gibt Ausnahmen: Mary Roos ist so ein Schatz, oder Gitte.

Deine erste Heimat in Deutschland war Berlin, wie bist du nach Köln gekommen?
Ich liebe Köln und möchte nirgendwo anders mehr sein. Irgendwann war ich in Köln bei einem Filmdreh für einen guten Freund. Ich habe 10 Tage bei einer Freundin gewohnt und habe mich hier so wohl gefühlt, dass ich nach Köln gezogen bin.

Kommen wir noch mal auf „Westend“ zurück. Klaus Hoffmann besingt mit „Salambo“ und „Sie nennen mich Tunte“ die schwule Welt. Welche Berührungspunkte hast du zur Gay-Community?
Als ich nach Köln zog, war meine erste Wohnung in der Kasinostraße, also mitten im Zentrum der schwulen Szene. Es gab den Teddytreff, das „Chains“ und den Kiosk meiner Freundin Ingeborg. Ich habe viele schwulen Freunde gehabt, was leider in den 80ern mit AIDS sehr traurig und schmerzhaft wurde. Klaus alias Lola Lametta hat mich dann gefragt, ob ich mit Benefiz die Aidshilfe unterstützen möchte und so kam ich durch seine Galas noch mehr in die Szene.

Du hast Reinhard May auf seiner LP „Immer weiter“ begleitet, wohin soll dich deine musikalische Reise noch führen?
Ich weiß es nicht und auch meine Fans und Freunde muss ich auf meine Homepage vertrösten, weil es keine verbindlichen Termine gibt. Derzeit arbeite ich an einer Winterplatte, also keine Weihnachtsplatte, sondern Musik zur Jahreszeit, also so „ein Viertel Vivaldi“, bei der man sich mit Glühwein vor dem Kamin kuschelt.

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