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Marcella Rockefeller // © vvg
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Marcel Kaupp Das Super-Talent 2014

vvg - 06.09.2015 - 10:00 Uhr

Im großen Finale 2014 sang Marcel Kaupp alias Marcella Rockefeller den Whitney-Houston-Hit „One Moment In Time", punktete dabei als Mann sowie Frau und ging als Sieger hervor. Aktuell im September steht die Veröffentlichung der ersten Single „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“ an und im Oktober wird Marcel für seine außergewöhnlichen Leistungen in Stuttgart-Filderstadt zusammen mit dem RTL für die SendungDas Supertalent“ mit dem goldenen Künstlermagazin ausgezeichnet.

Marcel, du bist als Conchita-Wurst-Double aufgetreten. Hätte das nicht auch in die Hose gehen können?
Natürlich hatte ich Angst, ob ich mich mit ihr messen kann, denn Conchita ist schon Wahnsinn. Letztendlich wusste ich, dass ich dadurch das Medieninteresse auf mich ziehen konnte. Als Frau aufzutreten ist nämlich im Gegensatz zu unserer Szene in der Medienlandschaft sehr auffallend. Ich war ja 2010 schon mal als Lady Gaga in der Sendung. Obwohl ich da schon weiterkam, bin ich freiwillig ausgeschieden, weil ich einfach noch nicht so weit war. Ich brauchte einfach Zeit, um Marcella zu einer eigenen Figur formen zu können.

Die Jury war von dir angetan. Guido Maria Kretschmar bewunderte deinen Mut und meinte, du seist etwas Eigenes. Lena Gercke fand, dass du keinen imitieren musst. Bruce attestierte dir „großen Respekt“ und Dieter Bohlen hielt dich am ersten Abend sogar „für den bisher besten Sänger“. Du bekamst vier Mal grünes Licht, solltest aber noch einmal als Marcel auftreten. Warst du als Marcel aufgeregter?
Ich bin als Marcel wesentlich aufgeregter, weil ich da mein pures Ich zeige. Mit Make-up und Perücke kann ich mich hinter einer Fassade verstecken. Mir war es trotzdem wichtig, zu beweisen, dass hinter einer „Transe“ auch ein ganzer Kerl stecken kann; was nicht so ins Klischee passt, wie das die Medien das gerne hätten. Und mit dem Feedback „Vielen Dank für den Tritt in die homophoben Fressen“ habe ich enorm viel Zuspruch bekommen, was mich sehr gefreut hat.

Dabei musstest du von Dieter Kritik einstecken.
Er hatte offensichtlich andere Favoriten. Ihm hat meine Whitney-Houston-Nummer nicht gefallen, weil er meinte, sie sei zu groß für mich. Ich denke, er favorisierte die Pop-Sänger Andreas Hruska und die Filieri-Brüder. Bei mir wusste er wohl nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Er hat mir ja auch nicht zu meinem Sieg gratuliert.

Was ging dir im Moment deines Sieges durch den Kopf?
„Das ist jetzt nicht wahr!“ Es dauerte zwei Monate, bis ich begriffen habe, was an dem Abend passiert war. Ich hatte mit Platz 2 oder 3 gerechnet, zumal ich wegen der Aufregung mit meiner stimmlichen Leistung selber nicht zufrieden war.

Guido machte dir mit den Worten „Ach, der könnte mein Freund werden“ ein Kompliment. Seid ihr inzwischen Freunde?
Nicht wirklich, aber ich habe guten Kontakt zu seinem näheren Umfeld und er lässt immer Grüße ausrichten.

Will nach so einem Titel nicht generell jeder dein Freund sein?
Ich habe schon vor dem Super-Talent für mich einen gewissen Bruch in meinem Bekanntenkreis gemacht, um zu sehen, wer meine wirklichen Freunde sind. Ich kenne viele, mit denen ich abfeiern kann. Aber Freunde sind für mich diejenigen, die auch da sind, wenn man Probleme hat, es einem schlecht geht; zu denen man Vertrauen hat und auf die man sich verlassen kann. Ich merke relativ schnell, wenn es jemandem nur um das Super-Talent und nicht um Marcel geht.

In der „Hall of Supertalent“ stehen bisher Ricardo Marinello (2007) und Freddy Sahin-Scholl (2010) mit klassischem Gesang. Michael Hirte, der Junge mit der Mundharmonika (2008), Leo Rojas mit der Panflöte (2011) und Sänger Jean-Michel Aweh mit dem Klavier (2012) sowie Yvo Antoni (2009) und Lukas Pratschker (2013), die Dank ihrer Hunde gewannen. Übrigens wie du – alles Männer. Bis auf Michael Hirte ist es um die anderen doch eher ruhig geworden. Wie stellst du dir deinen Weg als Künstler vor?
Durch den Sieg kann ich mein Ziel verwirklichen: weiter in der Musik Fuß zu fassen. Die Bühne ist einfach mein Leben. Im März durfte ich in Las Vegas im Tropicana Hotel in der Show von Zauberer Jan Rouven auftreten. Das war schon ein Erlebnis. Wichtig war auch, dass ich dort Kontakt mit Produzenten knüpfen konnte. Ich wollte mir allerdings erst Zeit lassen und keine 08/15 Sache-im Dieter-Bohlen-Stil herausbringen. Das bin nicht ich.

Hast du Vorbilder?
Vom Menschlichen her Lady Gaga, weil sie sich nicht darum kümmert, was die Gesellschaft vorschreibt. Sie ist so wandelbar und hat wahnsinniges Talent. Sie hat mir sehr viel Kraft gegeben, weiterzumachen und mir gelehrt, dass alles in Ordnung ist, so wie man ist. Und Pink, deren Namen ich auf meinem Arm tätowiert habe.

Im September 2012 – also vor deiner Supertalent-Zeit – kritisierte Jürgen Domian in seiner Talk-Sendung die Show als „Dreckssendung“. Kann so ein Casting noch Sprungbrett für eine Karriere sein?
Es ist mir bewusst, dass man als Casting-Gewinner bei RTL nicht gerade den besten Ruf hat. Aber ob das, was er im Radio macht, jetzt viel besser ist, sei mal dahingestellt. Ich sehe das nicht als Casting-Show, sondern als Sprungbrett, das mir ermöglicht, meine Ziele zu erreichen. Darauf möchte ich aufbauen.

Wie gehen deine Eltern mit dem Wechselspiel von Mann zu Frau und deinem Sieg um?
Ich habe ja noch Brüder und meine Mutter sagte mal, mit mir habe sie auch noch eine wunderschöne Tochter. Sie sagte mir schon als kleiner Junge, dass ich mal Travestie machen sollte. Meine Eltern sind superstolz auf mich, sie waren ja live bei den Auftritten dabei. Allerdings hatte sie gehofft, dass ich Zweiter werden würde; aus Angst, weil sie weiß, dass die Gewinner schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Und diese Angst zeigt mir, wie sehr sie mich liebt.

Im Gegensatz zum Abschminken, wie lange braucht Marcel um Marcella zu werden?
Ich mache das jetzt mittlerweile lange genug und auch nur – wie Guido sagte – als „Hommage an die Frau“. Von daher brauche ich etwa eine Stunde. Das Schlimmste ist das Rasieren. Ich bin ja nicht wie Olivia Jones, die immer eine riesige Show macht, womit sie letztendlich aber auch sehr erfolgreich ist.
 

Marcel // © vvg

Wie kam es zum Namen Rockefeller?
Da gibt es mittlerweile hundert Schreibweisen, weil Facebook ja alles blockiert. Ich saß mit meinem Kollegenfreund Chris zusammen und wir witzelten, wie wir wohl heißen würden, falls wir als Frauen auftreten würden. Wir haben unsere Vornamen in die weibliche Form gebracht und zu Christina kam dann Onassis, abgeleitet vom reichen griechischem Reeder, der Jacki Kennedy heiratete. Dazu passte der Name Rockefeller. Dabei bin ich gar nicht so eine High Fashion Frau; ich laufe auch gerne leger und locker angezogen herum.

Wann war dir bewusst, dass Marcel auch eine weibliche Seite hat?
Ich habe mir schon als Vierjähriger immer einen Schal auf den Kopf gelegt und zog das Tütü meiner Mutter an. So habe ich mich mit Kopfhörern und Mikrophon auf den Balkon gestellt und gesungen. Ich habe als Kind auch mit Puppen gespielt, was für mich normal war. Die Gesellschaft sieht das sicherlich anders.

Hattest du nie Probleme damit?
Doch, es gab in der Schule immer ein paar Wichser, die mich mit „Schwuchtel“ oder Sätzen wie „Was hat deine Mutter da nur auf die Welt gebracht?“ beleidigten. Ich ließ das nie an mich ran. Ich hab mich zwar nie geprügelt, aber habe zum Glück das Talent, eine ziemlich große Klappe zu haben, um die anderen schnell einzuschüchtern und platt zu machen. Außerdem habe ich mich immer für Schwächere eingesetzt und war immer den Mädels nah, auf die die Jungen abfuhren.

Wolltest du denn an die Mädels ran?
Natürlich, meine erste Freundin hatte ich mit 14, meine letzte, als ich 18 war. Also ich kenne mich auch mit Frauen aus und war auch damals in Mädchen verliebt.

Das musst du uns jetzt erklären...
Ich glaube, dass man schwul geboren wird, aber als Kind bekommt man von der Gesellschaft ja vorgelebt, dass Mann und Frau zusammen gehören.

Wann war dann das „Erste Mal“ mit einem Mann?
Das war in der Berufsschule, als mich ein Junge, den ich sehr toll fand, einfach küsste. Da wurde mir klar, dass es nicht nur Frauen in meinem Leben gibt. Wobei es wirklich nur ein Kuss war, das war wohl seine Masche. Wenig später lernte ich ein weiteres „Opfer“ von ihm kennen, der dann mein erster Freund wurde.

Hattest du sofort den Mut, dich zu outen?
Nein, ich habe zuerst bei der Telefonseelsorge angerufen, um zu fragen, wie ich mich am besten bei meiner Familie outen könnte. Mein Freund, der 20 km von uns entfernt wohnte und bei dem ich immer die Wochenenden verbrachte, wollte auch mein Zuhause kennenlernen und natürlich bei mir übernachten. Da ich ehrlich sein wollte, musste ich meiner Mutter schweren Herzens mitteilen, dass es nicht nur Mädchen in meinem Leben gibt. Sie reagierte aber super, denn sie sagte: „Da muss ich aber noch etwas zum Essen einkaufen“. Im Nachhinein stellte ich fest, ich hätte mir nie Angst machen müssen. Ich kenne allerdings auch andere Reaktionen anderer Eltern.

Du bist im Kulturschock großgeworden...
...der eine gute Starthilfe für mich war, weil ich da gelernt habe, mit dem Publikum umzugehen. Anfangs war ich so schüchtern, dass ich mich nicht einmal nach meinem Auftritt verbeugte, weil ich nicht wusste, was ich den Leuten sagen sollte. Cassandra Anabolika, die leider dieses Jahr jung sterben musste, hat mir da sehr geholfen. Ich bin ihr unendlich dankbar.

Ist die Travestieszene nicht in die Jahre gekommen?
Die erlebt, glaube ich, zurzeit einen starken Wandel: Heute wird mehr auf Weiblichkeit gesetzt, dass man als Frau rüberkommt. Natürlich kann es zwischendurch auch mal trashig sein; wir gucken ja auch alle die Dschungel-Sendungen, weil sie so trashig sind.

Wurdest du schon nach Australien in den Dschungel eingeladen?
Das kam bei mir noch nicht an. Ich schau mir das aber gerne an, auch wenn alle darüber hetzen. Das ist wie mit Mac Donald: Niemand geht hin, aber die Läden sind immer voll.

Oder wie bei Dieter Bohlen: Keiner kauft seine Platten, aber die erreichen immer Spitzenpositionen.
Genau. Ich glaube, letztendlich würde ich schon im Dschungel mitmachen. Was habe ich schon zu verlieren? Das ist so eine Art Selbstfindung, bei der man sehr viel über sich selbst herausfindet. Und man hat keine Chance, dem Publikum irgendetwas vorzumachen. Aber ob ich da auf Hoden rumkauen würde...?

Du hast einen guten Freund, der dir schon ein Kleid geschenkt hat. Der kann dich doch zu Promi Shopping Queen einladen?
Ich würde da erst mitmachen, wenn ich etwas zum Präsentieren habe. Guido bekommt aber persönlich meine erste Single überreicht; er war einfach mein Herzblatt.

Wie sind deine Träume für die Zukunft?
Ich möchte einfach nur von meiner Musik leben können, sodass ich meine Miete bezahlen kann und was zu Essen habe. Geld ist mir gar nicht so wichtig. Viele träumen vom roten Teppich und von Blitzlichtgewitter; ich fühle mich schon wohl, wenn ich mit meinen Freunden abends am Rhein sitzen und Chips von Aldi knabbern kann.

Und deine Kleider schenkt dir der liebe Guido. 

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Marcel im September 2015 geführt.

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