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Phenix Kühnert

Phenix Kühnert Bevor ich mir selbst eingestanden habe trans* zu sein, habe ich eine Weile keine Zukunft für mich gesehen

km - 09.12.2021 - 10:00 Uhr

Die Aktivistin Phenix Kühnert setzt sich besonders für die Sichtbarkeit und Rechte von trans* Menschen ein. Sie war 2020 in den ZEIT Campus 30 unter 30 und unter den “100 Frauen des Jahres” vom Focus Magazin. Außerdem modelt sie und hat ihren eigenen Podcast: Freitagabend. Eigentlich kommt sie aus dem Norden, doch hat sie in Berlin ein Zuhause und ihren Namen gefunden, denn ein Dönerverkäufer am Kottbusser Tor schrieb damals bei einer Bestellung von ihr „Phenix“ auf die Alufolie. Auf ihrem Instagramkanal „thisisphenix“ lässt die elegante Schönheit mit französischem Charme ihre Follower an ihrem Leben als Trans*person teilhaben und betreibt Aufklärungsarbeit. Mit SCHWULISSIMO sprach sie über ihre aktivistische Arbeit, Social Media, Sprache, ihren Podcast, Queerpolitik, mentale Gesundheit und vieles mehr.

 

Was macht für dich eine*n gute*n Aktivist*in aus?
Ich weiß nicht, ob man Aktivist*innen in gut und schlecht unterteilen kann. Meine Arbeit bezeichne ich auch lieber als aktivistisch, als mich selbst als Aktivistin. Manchmal habe ich das Gefühl, um wirklich „Aktivistin“ sein zu können, müsste ich mehr bewegen, Petitionen ins Leben rufen und Gesetzte umschreiben. Wichtig ist meiner Meinung nach bei aktivistischer Arbeit, dass die Person oder Organisation ehrlich hinter dem Thema steht und es nicht nur performativ als Marketingstrategie verwendet.

Wie wichtig ist Social Media für den Aktivismus geworden?
Ein wichtiger Faktor für die Relevanz von Social Media ist, dass wir nirgends so schnell so viele Menschen erreichen können. Vor allem auch die, die nicht unbedingt in unserem eigenen Umfeld unterwegs sind. Und wir können uns unsere eigene Bühne schaffen. Kein Meeting in einem großen womöglich konservativen, rein auf Reichweite bedachten Medienhaus, segnet ab, was ich wann wie in welche Kamera spreche. Hinzukommt, dass diese Art von Medien heute so viel konsumiert werden.

© thisisphenix
© thisisphenix

Wie wichtig ist Sprache bei Aktivismus und worauf sollte man beim Thema Trans* sprachlich besonders beachten?
Im Bezug auf queere Themen ist sicher auch die Sprache ein wichtiges Thema. Oft habe ich in den letzten Monaten das Gefühl, dass der Kampf um Sprachveränderungen vor allem vom Lager derer, die darin eine Bedrohung sehen, aufrechterhalten wird. Die Menschen, die eine inklusivere Sprache begrüßen, nutzen diese mittlerweile einfach. Natürlich haben wir hier noch einen Weg vor uns, aber der Stein ist ins Rollen gekommen. Besonders relevante Themen sind Pronomen und auch zu hinterfragen, welche Worte lange Zeit genutzt wurden und werden, die eventuell trans* Menschen oder andere ausschließen.

Auch Aktivist*innen machen Fehler. Wie gehst du mit Fehlern um?
Entschuldigen, reflektieren, verstehen, weitermachen.

Wie kam es zu deinem Podcast? Wie bist du auf das Konzept und auf den Namen gekommen?
Auf privaten Partys findet man mich oft in der Küche sitzend, während ich mit irgendwelchen spannenden Menschen spreche. Oder auch ganz ohne Party lade ich mir super gern meine engen Vertrauten in meine Küche ein und wir quatschen die ganze Nacht. Und das am liebsten am Freitagabend, wenn die Arbeitswoche bei den meisten vorbei ist. Irgendwann hatte ich dann den Impuls dies auch öffentlich zu teilen. Mittlerweile lade ich mir zahlreiche Expert*innen, Prominente und Influencer*innen ein und wir haben sowohl eine gute als auch informative Zeit. Der Horizont ist nach einer Folge immer wieder ein Stückchen erweitert.

© @thisisphenix
© @thisisphenix

Nach welchen Kriterien lädst du deinen Gast oder deine Gästin ein?
Ganz ehrlich? Ich mache einfach. Die Vielfalt der Themen und Gäst*innen ist genau das, was meine Folgen ausmacht. Oder ich nutze meinen Podcast auch, um einen Grund zu haben mit besonders tollen Menschen mal ein entspanntes Gespräch zu führen. Meine Freundschaft mit Tarik Tesfu ist zum Beispiel so entstanden.

Wie kommst du auf die Themen in den jeweiligen Folgen?
Meistens schießt es mir irgendwann einfach in den Kopf und ich mache mir eine Handynotiz. Und dort habe ich dann eine kleine Liste, die ich nach und nach abarbeite. Wichtig ist mir immer wieder zu queeren Themen aufzuklären, aber auch das trans* Sein eher als etwas „normales“ als außergewöhnliches darzustellen. Weil es genau das ist.

Gibt es eine Person (auch international) die du unbedingt noch mal in deinem Podcast haben würdest und was wäre das Thema, über das ihr sprechen würdet?
Oooh da fallen mir einige ein. Ich bin riesiger Fan von Kim Petras, mit ihr würde ich unglaublich gern mal sprechen oder mit Gigi Gorgeous.

© Delia Baum
© Delia Baum

Wie zufrieden oder enttäuscht bist du über die Sondierungspapiere? In Punkt acht steht nichts von einem Gesetz zur Selbstbestimmung, lediglich von einer Anpassung des TSG.
Die wunderbare Hana Corrales hat sich vor wenigen Wochen von Olaf Scholz in einer Talk Show die Bestätigung abgeholt, dass er das TSG in einer Regierung unter ihm abschaffen wird. Dafür, dass daraus ein Selbstbestimmungsgesetz wird, werden die Community und unsere Allys weiterkämpfen.

Wie viel Hoffnung hast du für die Koalitionsverhandlungen in puncto LGBTI*? Im Wahlkampf hatte Scholz versprochen, dass er als Kanzler eben nicht nur das TSG abschaffen wird, sondern auch ein Gesetz zur Selbstbestimmung verabschieden möchte. Glaubst du, das war nur Wahlkampf-Geplauder?
Politik ist so eine Sache. Vieles passiert hier sehr performativ und nicht um emotional belegte, diskriminierende Themen nachhaltig zu verändern. Bereits im Mai 2021 wurde das TSG und die mögliche Abschaffung im Machtkampf kurz vor den Wahlen instrumentalisiert. Ich glaube nicht, dass sich solche Verhaltensmuster in unserem aktuellen Politikbetrieb zeitnah ändern werden.

Die Politik ist queerer geworden und begrüßt mit Nyke und Tessa die ersten offenen trans* Frauen im Bundestag. Doch in der Politik herrscht ebenfalls Transphobie und so waren die beiden nach dem Wahlsieg mit Diffamierungen konfrontiert. Was würdest du als eine der Top 100 Frauen 2020 (Focus), Menschen sagen die trans* Frauen nicht als Frauen ansehen?
Ich freue mich unglaublich, dass Nyke und Tessa nun Mitglieder des deutschen Bundestages sind. Was ich Menschen, die uns drei nicht als Frauen verstehen, raten würde, ist sich mit der eigenen Transphobie auseinanderzusetzen. Sonst aber nicht mehr viel. Das sehe ich nicht als meine Aufgabe. Ich nehme auch nicht mehr an Diskussionsformaten bezüglich Transidentität teil, wenn Menschen vor Ort sind, die mir die Identität absprechen, denn sobald ich einer solchen Diskussion Raum gebe, erwecke ich den Eindruck, es sei ein Thema, dass diskutierbar ist.

© Bastian Ramoser
© Bastian Ramoser

Wie groß ist die Akzeptanz von Trans*-Menschen innerhalb der LGBTI*-Community? Ist da noch viel zu tun?
Wir als Community entwickeln uns hoffentlich aktuell in eine gute Richtung, die akzeptierender und weniger ausgrenzend ist. Wichtig zu verstehen ist, dass die queere Community auch Allys für die sind, die in der breiten Gesellschaft noch nicht so viel Akzeptanz und Repräsentation erhalten. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass weiße cis, schwule Männer in vielen Bereichen angekommen scheinen. Wir haben noch mehr Facetten und alle diese bedürfen Aufmerksamkeit. Beispielsweise lesbische Sichtbarkeit ist oft nicht ansatzweise im gleichen Maßstab gegeben.

Welche Erfahrungen hast du mit der LGBTI*-Community in Berlin gemacht?
Meine persönlichen Erfahrungen sind doch sehr positiv. Ohne die queeren Menschen, die ich seit fast einem Jahrzehnt hier in Berlin um mich habe, wäre ich wohl nicht die Person, die ich heute bin. Sie haben mir gezeigt, was alles möglich ist, was ich mich trauen kann. Und auch, was ich nicht will. Vor allem zu sehen, dass es hier doch ein paar von uns gibt und ich ganz und gar nicht allein bin, hat mir sehr geholfen meinen eigenen Weg gehen zu können.

Du bist ja eigentlich ein Nordlicht – was hat dich nach Berlin gebracht?
Genau die angesprochene Offenheit hier in Berlin, die manchmal auch mehr Schein als Sein ist, hat mich hergelockt. Ebenso berufliche Möglichkeiten. Wo, wenn nicht in Berlin kann ich in den deutschen Medien einen Fuß in die Tür setzen und für queere Repräsentation einstehen.

Du hast es eben bereits angesprochen: Homosexualität scheint mehr und mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Wie sieht es beim Thema Trans* aus? Wo sind noch die größten Probleme? (Dating, Gesetze, Gesellschaft, Bildung usw.)
Meiner Meinung nach ist das größte Problem, dass viele Menschen in letzter Konsequenz trans* Frauen als Frauen und trans* Männer als Männer verstehen. Und dann gibt es sogar cis hetero Personen, die ganze Bücher darüber schreiben, dass trans* sein krank ist. Verlegt wird das dann auch noch von einem sehr bekannten Verlag. Da muss ich wohl gar nicht mehr viel mehr sagen, wo wir grade im Bezug auf trans* Menschen stehen.

© Delia Baum

 

Was ist für dich momentan das größte Problem/Herausforderung im Alltag, welches du nur hast, weil du queer bist?
Für mich persönlich ist das TSG aktuell ein sehr akutes Thema. Auf der einen Seite möchte sich die Aktivistin in mir diesem menschenverachtenden Verfahren nicht beugen, auf der anderen Seite wird der Leidensdruck von mir als Privatperson immer größer. Zu verreisen und schwitzend am Flughafen ankommen, weil ich nicht weiß, wem ich gegenüberstehen werde und wie das Ganze ablaufen wird, sollte weder für mich noch für andere Lebensrealität sein.

Du arbeitest auch als Model – was liebst du an dieser Arbeit?
Ich liebe es vor allem in den letzten Monaten, in denen ich mehr oder weniger als Model gebucht werde wie eine cis Frau: Als trans* Frau erfüllte ich trotzdem die (absurden) Schönheitsideale der Mehrheitsgesellschaft. Und das ist doch irgendwie klasse. Andererseits bin ich mir natürlich dem bewusst, dass ich oft wohl nicht gebucht werden würde, wäre ich nicht trans*. Aber wäre ich nicht trans* wäre mein Leben eh ein ziemlich anderes. Wer weiß, wo ich dann wäre.

Hast du als Model schon schlechte Erfahrungen gemacht, z.B. aufgrund deiner geschlechtlichen Identität?
Im Modelbusiness ist jedes Model Teil einer Vision und eines Produkts. Es wird mit der Zeit immer besser und umgänglicher. Die Models werden immer mehr Charaktere. Aber ich wurde an Sets schon „extra männlich“ gestylt, damit ich besonders androgyn oder auch maskulin aussehe. Für mich war das in Phasen, in denen ich sehr mit meiner eigenen Geschlechtsidentität Probleme hatte, alles andere als ideal. Als Person sollte man in seinem Körper einigermaßen gefestigt sein, um so auf das Äußere reduziert zu werden.

© Delia Baum



Mental Health ist ein wichtiges Thema und besonders in der Community – da kommt es häufiger zu Depression oder sogar Suizid als bei heterosexuellen-cis-Menschen. LGBTI* werden ausgeschlossen oder schlecht behandelt und das schwächt die mentale Gesundheit.
Hattest du ähnliche Gedanken oder Probleme in deinem Leben? Was hat dir geholfen?

Bevor ich mir selbst eingestanden habe trans* zu sein, habe ich eine Weile keine Zukunft für mich gesehen. Ich hatte keine konkreten Selbstmordgedanken, dennoch sah ich wortwörtlich nur schwarz, wenn ich an meine Zukunft dachte. In meinem Kopf war trans* sein damals kein Weg, den ich gehen könnte. Ich stand dann vor der Entscheidung: Gar nicht mehr oder trans* sein. Ich hatte große Angst davor. Stück für Stück habe ich Dinge in meinem Leben geändert, zu dem wie ich heute bin und mich präsentiere. Das kann ich sehr empfehlen: Schritt für Schritt und nicht zu viel von einem selbst erwarten.

Was sollte beim Thema Therapie verbessert werden?
Grundsätzlich sollte es in der gesamten Gesellschaft überhaupt kein Tabuthema sein und mehr Psychotherapieplätze brauchen wir auch dringend. Für die LGBTI* brauchen wir mehr Therapeut:innen, die sich mit modernen Ansichten mit queeren Lebensrealitäten auseinander setzen. Wir sind Menschen und können gar nichts 100% sein, das muss auch noch in der Psychotherapie flächendeckend ankommen. Dass das TSG dringend abgeschafft gehört, muss ich nicht nochmal betonen, oder?

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