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Konversionsbehandlung verboten
Rubrik

Prof. Dr. Timmermanns im Gespräch "Das neue Gesetz ist ein großer Meilenstein!"

ja - 16.08.2020 - 12:00 Uhr

Im Juni diesen Jahres wurde ein Gesetz verabschiedet, welches "Konversionsbehandlungen" bei Minderjährigen gänzlich verbietet. Bei diesen sogenannten Methoden sollen LGBTI*-Personen von ihrer Sexualität bzw. ihrem Wunsch nach einer Geschlechtsanpassung "geheilt" und heterosexuell bzw. cisgeschlechtlich werden. Um das Gesetz zu verabschieden hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorab eine Fachkommission berufen, die Vorschläge für ein rechtlich wirksames Verbot der Behandlungen erarbeiten sollte. Unter den beratenden Personen war auch Prof. Dr. Stefan Timmermanns, Professor für Sexualpädagogik und Diversität in der Sozialen Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences (UAS). Im Gespräch mit SCHWULISSIMO nimmt er erneut Stellung zur Thematik und erklärt, was an dem Gesetz noch verbesserungswürdig wäre.

Herr Prof. Dr. Timmermanns, was passiert bei "Konversionsbehandlungen" genau?
Das ist ganz unterschiedlich, sie sind nicht standardisiert. Das können schlichtweg gemeinsame Gebete oder Gesprächsgruppen sein. Aber auch Methoden, die man aus dem Exorzismus kennt, können dabei zur Anwendung kommen. Oftmals sind es wirklich Dinge, bei denen man sich gar nicht vorstellen mag, dass sie in der heutigen Zeit in Deutschland passieren. Meist wird Druck auf die Teilnehmenden ausgeübt, sich nicht mehr homosexuell zu betätigen oder ihren Wunsch nach einer Geschlechtsanpassung aufzugeben.

Was sind die möglichen Folgen dieser Behandlungen?
Generell lässt sich sagen, dass mit einer höheren Belastung mit psychischen Erkrankungen bei Betroffenen zu rechnen ist, wie z.B. Angststörungen oder Nervenzusammenbrüche. Auch Hoffnungslosigkeit, Depressionen bis hin zum Suizid können die Folge sein. Und es kann ein verstärkter Substanzkonsum auftreten, um den inneren Konflikt aufgrund der "Behandlung" überhaupt auszuhalten.

Wie stehen sie zu dem neuen Gesetz?
Ich begrüße das Gesetz erstmal sehr, da es ein großer Meilenstein ist und deutlich macht, dass der Staat solche Maßnahmen auch moralisch verurteilt. Bei der Ausführung habe ich aber einige Bedenken, weil ein Teil der Betroffenen durch das aktuelle Gesetz vermutlich nicht geschützt werden kann.

Warum denn das?
Viele LGBTI*-Personen haben vor allem in ihrer Jugend sehr damit zu kämpfen, der gesellschaftlichen Hetero-Norm nicht zu entsprechen. Das Coming-out spielt sich für die meisten zwar bis zum 18. Lebensjahr ab und bis zu diesem Alter sind "Konversionsbehandlungen" auch vollständig verboten. Aus einer Studie, an der ich gerade arbeite, geht jedoch hervor, dass ca. ein Drittel erst nach dem 22. Lebensjahr das Coming-out hatte, und damit noch unsicher im Umgang mit der eigenen Homo- oder Transsexualität war. Von daher wäre es gut gewesen, das vollständige Verbot noch mindestens bis zum 27. Lebensjahr auszuweiten. Das ist das Alter, bis zu dem das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) gilt. Allerdings ist in der Diskussion mit den Juristen deutlich geworden, dass dies rechtlich schwierig ist. Mit Zigaretten ist es zum Beispiel ähnlich: Man kann einer mündigen Person sagen "Rauchen schadet deiner Gesundheit", aber verbieten kann man ihr den Konsum nicht. Ähnlich ist es auch bei diesem Gesetz. Strafbar ist eine "Konversionsbehandlung" demnach nur, wenn mündige Personen getäuscht und nicht über mögliche negative Folgen informiert werden oder Zwang ausgeübt wird.

Haben Sie tatsächlich schon mal von jemandem gehört, der solch eine "Konversionsbehandlung" wirklich von sich aus machen wollte oder gemacht hat? Das hört sich so skurril an, vor allem wenn man von diesen verrückten Methoden hört.
Da muss ich Ihnen zustimmen, das ist in der Tat eine merkwürdige Vorstellung. Natürlich wäre es denkbar, dass ein Mensch den Wunsch entwickelt, nicht homosexuell zu sein. Das würde ich als Sozialwissenschaftler jedoch immer mit gesellschaftlicher Homophobie in Verbindung bringen, die verinnerlicht wurde. Eine "Konversionsbehandlung" wäre aber keine Lösung des Problems, sondern der Abbau der negativen Einstellungen gegen LGBTI* in der Gesellschaft. Ich persönlich habe noch nie jemanden getroffen, der diesen Wunsch mir gegenüber geäußert hätte. Ich bin mir aber sicher, dass das – besonders in fundamentalistischen, religiösen Kreisen – vorkommt.

In der Theorie können Betroffene also fortan Anzeige erstatten, in der Praxis findet das aber vermutlich kaum statt. Wie sehen sie das?
Die Schwierigkeit hierbei ist, dass der Betroffene oft eine starke persönliche oder emotionale Bindung zu der Person hat, die solche "Behandlungen" durchführt oder sie dazu drängt. Betroffene Personen würden eventuell sagen, dass sie gar nicht gezwungen wurden – auch wenn das der Fall war. Es wird in der Praxis also schwer nachzuweisen, dass jemand tatsächlich Druck ausgeübt hat. Da steht dann vermutlich Aussage gegen Aussage. Diese Problematik wird bestimmt in Zukunft auch noch ein Thema für Jugendämter werden. Jugendliche befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis. Und wer zeigt seine eigenen Eltern an, wenn er dann um seine Existenz fürchten muss?

Also geht es vielmehr darum, Personen ausfindig zu machen, die solche "Behandlungen" anbieten?
Grundsätzlich ja, aber nach dem Verbot wird es nicht einfacher, Konversionsversuche aufzudecken. Denn die Anbieter werben schon seit geraumer Zeit nicht mehr öffentlich mit dem Begriff "Konversion". Sie verstecken ihre Maßnahmen hinter Veranstaltungstiteln, die keinen Verdacht wecken. Denn selbst die Werbung für solche "Therapien" ist fortan bereits strafbar. Wie sich das in Zukunft entwickelt werden wir abwarten müssen.

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