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Sophie Ellis-Bextor // © Essential Music/ Sony Music

Sophie Ellis-Bextor „Kitchen Disco“

ks - 03.03.2021 - 10:00 Uhr

Sophie Ellis-Bextor über ihre „Kitchen Disco“, die Magie von Julie Andrews, soziale Netzwerke als Ort menschlicher Wärme, die Unwichtigkeit von Ruhm in Zeiten der Pandemie und warum Disco das Genre der Krise ist.

Wenn Sophie Ellis-Bextor mit ihrem Mann, The-Feeling-Bassist Richard Jones, und ihren fünf Jungen im Alter von 1 bis 16 Jahren via Instagram zur Corona-Disco in ihre Küche einlädt, sieht alles leicht und nach jeder Menge Spaß aus. Dass die britische Sängerin, die mit Hits wie „Groovejet“ und „Murder On The Dancefloor“ zur Jahrtausend-Wende den Durchbruch schaffte, selbst ihre Probleme im Lockdown hat, erzählte sie uns im Zoom-Interview von ihrem Zuhause in London.

Ms. Ellis-Bextor, hätten Sie es geglaubt, wenn Ihnen jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass Ihre Küche und Kinder Anfang 2021 einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind?
Selbst wenn mir das Anfang März gesagt worden wäre, hätte ich die Person ungläubig angeschaut. Da war in Großbritannien immer noch business as usual angesagt. Andere Länder in Europa gingen bereits in den Lockdown, und die erste Welle rollte langsam aber bedrohlich auf uns zu. Am Anfang der Pandemie drehten wir als Familie wirklich am Rad. Die Routine unserer Leben zwischen Schule und Konzerten stoppte so abrupt. Gleichzeitig fühlte ich mich unglaublich nutzlos.

Wie kam es dann zu der Idee der „Kitchen Disco“?D
ie erste „Kitchen Disco“ war unser Weg, sich besser zu fühlen, uns abzulenken und zu verbinden. Denn Richard und ich fühlten uns so separiert von allen Menschen, die uns wichtig sind. Unsere Konzerte waren zwar abgesagt, aber wir hatten etwas gefunden, auf dass wir jede Woche hinsteuern konnten. Wir bereiteten uns eine Stunde darauf vor. Der Rest der Woche war auch für uns Lockdown-Leben pur. Und das ist nicht einfach und ziemlich stressig.

Sie entspringen einer Entertainment-Familie. Gab es keine Zweifel bei Ihnen, mit der „Kitchen Disco“ Ihr privates Refugium und Ihre Kinder der Öffentlichkeit preiszugeben?
Es waren nicht wirklich Zweifel, aber ich dachte, die Leute würden mich auslachen. Es wäre sehr einfach gewesen, sich darüber lustig zu machen, wie ich versuche, in einem glitzernden Outfit in einer Küche mit fünf Kids alles zusammenzuhalten. Denn es war so anders als das, was meinem bisherigen Image entsprach. Ich nahm wirklich an, die Leute könnten sagen: „Oh mein Gott, ist das peinlich.“

Warum haben Sie es trotzdem durchgezogen?
Für Richard und mich war es vergleichbar damit, ein alkoholfreies Bier zu trinken und dem Gehirn für ein paar Sekunden vorzugaukeln, es wäre richtiger Alkohol. Es gab uns das Gefühl, als hätten wir ein richtiges Konzert gegeben. Als dann das erste Feedback kam, Freunde und Familie zuschauten, war die Erkenntnis: Oh, das ist ja richtig schön, wie viel Freude es auch anderen Menschen bringt.

Was glauben Sie, warum sich die „Kitchen Disco“ so großer Beliebtheit erfreut?
Der Hauptgrund ist wohl, dass das, was wir in unserem Haushalt fühlen, so ziemlich die Stimmung widerspiegelt der Leute in ihrem Zuhause rund um den Globus: sich merkwürdig fühlen und gestresst sein als Reaktion auf die Regierung oder die veränderte Situation Zuhause, einen Platz zu suchen, um diese Spannungen abzubauen, den Wunsch zu haben, einfach mal wieder albern zu sein, einen Ort zu finden, an dem alle zusammen sein können – das alles treibt nicht nur unsere Familie in diesen Zeiten um.

Können soziale Netzwerke ein Ort menschlicher Wärme sein?
Ich denke schon. Immer, wenn ich ein Instagram-Live einer anderen Person verfolge, spüre ich die Wärme der Verbundenheit. Ich weiß in dem Moment: Das ist ein Live-Event. Jemand ist da. Selbst wenn die Person in einer Kunstgalerie nur ein Kunstwerk vorstellt, fühlt sich der Moment unverfälscht, süß, bekömmlich und auch unvorhersehbar an. Das dürfte ein weiterer Grund sein, warum die „Kitchen Disco“ so beliebt ist: Weil es chaotisch ist und immer die Möglichkeit besteht, dass alles schief läuft. Mit Kids sowieso: Manchmal haben sie total Lust drauf und tanzen durchs Zimmer, andere Male sitzen sie nur gelangweilt auf der Bank.

Auch Kylie Minogue, Melanie C und Dua Lipa brachten jüngst Disco-Alben heraus. Ist Disco das Genre der Pandemie?
Ich weiß nicht, ob ihre Alben auch als Reaktion auf Corona entstanden sind. Aber was sich sehr früh abzeichnete in der Krise: Zu ernsthafte Auftritte waren nicht wirklich das, was die Leute im Lockdown sehen wollten. Wer wendet sich schon Musik zu, um sich in Traurigkeit zu sudeln, wenn sich die Welt eh schon heavy anfühlt? Man will sich doch besser fühlen. „Kitchen Disco“ ist zwar kein reines Disco-Album, denn ich habe auch andere Songs untergemischt. Aber als Genre, das in der Gegenkultur seinen Anfang nahm und von den Schwulenclubs in New York aus die Welt eroberte, stand Disco-Musik schon immer für einen Ort der Umsicht und Emotionalität.

Wie meinen Sie das?
Disco hat diese Art von Katharsis. Ein Disco-Song kann einen herzzerreißenden Text haben, während der Sound total euphorisch macht. Wenn du solch einem Song lauscht, ist es so, als hätten sie dein Herz in die Mitte der Tanzfläche gelegt. Und das ist doch ein ziemlich cooler Platz, den du einnehmen kannst, obwohl du eigentlich die ganze Zeit Zuhause festhängst. Disco, Dance und Positivität können uns also durch die Welle tragen. Und in einigen Jahren werden wir dann erleben, dass heftigste Musik veröffentlicht wird, weil die Menschen das alles verarbeiten. Ich selbst will allerdings gar nicht wissen, was sich auf Lockdown reimt. Von mir wird es keine Lieder über den Lockdown geben.

Sie haben eine Coverversion von „Crying At The Discotheque“ veröffentlicht. Für das dazugehörige Video performten sie in sieben verwaisten Konzerthallen in London, um auf den Stillstand in der Kultur aufmerksam zu machen. Hat Sie das emotional mitgenommen?
Vom Kopf her bin ich ziemlich nüchtern an die Sache herangegangen. Denn es war so schwierig, im Vorwege alle Betreiber zu überzeugen, die Route festzulegen und das alles logisch an einem einzigen Drehtag hinzubekommen. Die Geschichte des Videos wäre nicht richtig erzählt, wenn wir nicht vom kleinen Club wie dem „Heaven“ bis zur „O2 Arena“ die ganze Bandbreite gezeigt hätten. Wir waren nirgends länger als eine Stunde, und es war eine ziemliche Hast. Erst zwei Tage später kamen dann die trüben, finsteren Gedanken. Ich musste an die besonderen Dinge denken, die für junge Bands und Künstler nur passieren können, wenn Menschen gemeinsam Musik hören und erleben können. Ich spürte eine große Lücke durch die Dinge, die normalerweise einfach da sind. Wie soll neue Musik erfolgreich werden, wenn niemand Assoziationen daran knüpfen kann?
 

Sophie Ellis-Bextor // © Archiv

Sie sorgen sich besonders um den musikalischen Nachwuchs?
Ja. Für einige Hoffnungsträger muss es frustrierend sein. Es wird junge Künstler geben, die etwas geplant hatten, dass zu einer erfolgreichen Karriere in der Musik geführt hätte. Aber weil sie das Zeitfenster nun verpasst haben, wird es die Richtung ihres Lebens verändern. Sie selbst werden es nie wissen, niemand wird es jemals wissen, wer diese Künstler sind. Aber so wird es sein.

Gehen Sie viel aus, wenn nicht gerade Pandemie ist?
Nicht mehr. Aber ich lebe immer noch in London und liebe es, die Gewissheit zu haben, dass da draußen das Leben tobt. Es wird irgendwann zurückkommen.

Sie selbst haben sich in der Corona-Krise ein Stück weit neu erfunden, oder?
Sagen wir so: Da ich gerade nicht mein nächstes Alben fertigstellen und auf Tour gehen kann, habe ich mir ein paar Möglichkeiten kreiert, die für Wohlbefinden in meinem Kopf sorgen: meine Podcast-Reihe „Spinning Plates“ über berufstätige Mütter zum Beispiel.

Es soll Frauen geben, die sich angegriffen fühlen, wenn man sie danach fragt, wie Sie Job und Familie unter einen Hut kriegen. Weil Männer das nun mal nie gefragt werden.
Es geht mir gar nicht um ein Statement. Ich wollte mit anderen arbeitenden Müttern sprechen, weil ich selbst eine arbeitende Mutter bin. Es geht um die Persönlichkeit und die Dinge, die durch eine Mutterschaft manchmal aus dem Fokus geraten. Wir reden darüber, wie man sich als Mutter selbst treu bleibt, sich wie sich selbst fühlt und dafür auch mal egoistisch sein muss. Wenn mein Mann Richard als berufstätiger Vater seinen eigenen Podcast haben will, geht das für mich aber auch in Ordnung.

In einem Interview von 2014 sagten Sie, Mutter zu sein hätte Ihre Karriere nicht behindert, sondern Ihnen geholfen. Würden Sie das heute nach fünf Kindern immer noch sagen?
Eine Mutterschaft zu durchleben, ist so eine große Sache – zumindest war sie das für mich. Aber es ist für jeden etwas anders. Mich hat es unglaublich geformt. Als ich Sonny bekam, meinen Ältesten, der jetzt 16 ist, hatte ich gerade mein zweites Album rausgebracht. Es war außergewöhnlich für mich, dass plötzlich diese neue Person in meinem Leben war, die gleichzeitig zur wichtigsten Person wurde und die bei all dem, womit mich Leute in Verbindung bringen, bei all den Songs, die ich gemacht habe, gar nicht dabei war. „Murder On The Dancefloor“ war plötzlich der Schnee von gestern, denn Sonny war zu der Zeit ja nicht mal existiert. Es war gut, um mein Ego im Zaum zu halten. Und es verschaffte mir Klarheit im Job.

Inwiefern?
Es verbesserte und veränderte meinen Fokus. Ich musste mich fragen: „Wie will ich weitermachen?“ Es ließ mich härter arbeiten, und es sorgte dafür, es mir nie zu bequem zu machen. Das war sehr gesund. Und jedes Mal, wenn ein weiteres Kind kommt, sage ich mir: „Blick nach vorne – was mache ich als nächstes? Wie schaffe ich es, dass ich mich weiterhin wie ich fühle, während ich meine Kinder großziehe?“ Ich kriege es nicht immer hin, aber es hat mir geholfen. Lustigerweise konnte ich auch noch um einiges höher singen, nachdem ich Kinder bekam. Was anscheinend ungewöhnlich ist, aber so war’s.

Sie haben Spaß mit Ihren Kindern, Sie machen Ihren Job mit Leidenschaft, kriegen die Balance offenbar gut hin. Sind Sie mit Ihrer Familie auch Vorbild?
Das will ich gar nicht sein. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich Leute inspiriert habe. Ich kann nicht die Dinge für mich reklamieren, die andere Leute besser fühlen lassen. Ich habe die „Kitchen Disco“ nicht erfunden, ich habe nicht die Kraft der Musik erfunden. Unsere Familie wurde einfach nur zu dem Ort, wo wir daran gemeinsam Spaß haben können. Jeder, der Lieder von Julie Andrews singt, wird sich sofort besser fühlen.

„My Favorite Things“ aus dem Musical „The Sound Of Music“ ist tatsächlich ein Highlight Ihres Albums „Kitchen Disco“. Würden Sie zusagen, wenn Ihnen im West End eine Rolle angeboten würde?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Disziplin hätte für ein Musical. Aber mir gefällt die Tatsache, dass ich mit der „Kitchen Disco“ neben meinen eigenen Songs auch ein bisschen Karaoke machen konnte und meine Lieblingssongs von Pulp bis New Order daruntermischen konnte. Karaoke ist ein bewährtes Mittel für gute Laune.

Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Karriere: Ist die Sophie, die durch die Küche tanzt, noch dieselbe Sophie aus den Anfängen?
Schon. Aber es fühlt sich so an, als hätte ich im Laufe meiner Karriere ein paar Schichten abgestreift. Anfangs war ich sehr beschützend, wenn es um mich als Person ging. Ich war ja erst 20. Es gab einige strenge Kritiken. Ich hatte mir schon etwas die Finger verbrannt an den Medien. Aber mit der Zeit bin ich entspannter geworden im Umgang damit. Ich mache mir nicht mehr zu viel Sorgen. Das ist das Schöne daran, wenn du älter wirst. Und es ist wundervoll, dass es sich so gut verwoben hat mit meiner Arbeit.

Hat sich das Verhältnis zwischen Künstlern und Fans verändert?
Generell verändert sich gerade die Verbindung der Menschen untereinander. Die Barrieren verschwinden. Nicht nur, weil wir dank Zoom nun alle die Wohnzimmer der anderen kennen. Wir alle haben gemeinsam etwas durchgemacht. Es ist außergewöhnlich, so etwas zu durchleben. Es wird einige schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Aber auf die Art, wie wir miteinander kommunizieren, hat es einen unerwartet positiven Einfluss.

Können Sie ein Beispiel geben?
Ruhm und das Celebrity-Dasein erscheinen mir total unbedeutend und irrelevant. Das sind eher klobige Bettgenossen in Zeiten der Pandemie. Das war auch ein Grund, warum es mir nichts ausmachte, fremde Leute via Kamera in mein Haus zu lassen und die Kids dabei im Hintergrund zu haben. Denn plötzlich war menschlicher Kontakt die bedeutendste Währung. Mir Sorgen zu machen, was jemand über meine Küche denkt oder ob man das Gesicht meines Fünfjährigen sieht, dafür war in meinem Kopf gar kein Platz. Mich trieb eher der Gedanke: Ich muss etwas tun, dass sich nach einer menschlichen Verbindung anfühlt.

Werden die Erfahrungen der letzten Monate sich auf Kinder auswirken?
100-prozentig! Ich habe lange über diese abstrakte Vorstellung der unsichtbaren Virus-Gefahr nachgedacht; an Keime, Bakterien, Sauberkeit und die Botschaft an Kinder, dass es ihre Großmütter krank machen kann, wenn sie ihren Mund-Nasen-Schutz nicht tragen. Selbst als Erwachsener ist es schwer, das im Kopf klar zu kriegen. Die Idee, dass ich unbeabsichtigt meine eigenen Eltern so krank machen könnte, dass sie auf der Intensivstation landen, empfinde ich als die eigentliche Grausamkeit.

Hat Sie das belastet?
Ich musste speziell im ersten Lockdown sehr vorsichtig sein, weil mein Stiefvater an Lungenkrebs erkrankt war. Er verstarb daran im Juli. Ich muss gestehen, dass sich meine Gemütsverfassung danach sehr veränderte. Denn wenn derjenige, um den du dich am meisten sorgst, stirbt, hast du das Gefühl: Nun ist es eh vorbei. Aber dann war da schon die nächste Person, um die ich mir Sorgen machen musste: meine Mutter. Gefolgt von meinem Dad, meiner Stiefmutter, Richards Eltern... Aber so geht es uns wohl allen.

Immerhin hatte 2020 mit der Abwahl von Trump und der Zulassung des Impfstoffes am Ende doch noch etwas aufgeholt.
Der Impfstoff ist eine unglaubliche Entwicklung – und das, was der twitternde Trump da gerade aufführt, ist unfassbares Theater. Es ist alles ziemlich verrückt, wenn man länger darüber nachdenkt. Es sind in jeder Hinsicht außergewöhnliche und krasse Zeiten.

Gibt es noch etwas, dass Sie sich wünschen würden?
Der Brexit ist ja nun leider passiert. Ansonsten klinge ich vermutlich sentimental, wenn ich mir wünschen würde, dass Menschen realisieren, wie wichtig Gemeinschaft ist. Ich hätte die Pandemie allerdings nicht gebraucht, um zu wissen, wie gerne ich meine Freunde sehe.

Sophie Ellis-Bextor // © Archiv

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