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Zu wenig Pflegeplätze Enden wir alle in einer Turnhalle?

js - 05.07.2018 - 07:00 Uhr

Erneut beschäftigen wir uns mit dem Thema Alten- und Regenbogenpflege und mit Einrichtungen, die den Regenbogenschlüssel tragen. Seit unserem letzten Interview mit dem Frankfurter Verband ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. SCHWULISSIMO möchte wissen, was sich seit dem getan hat. Sind noch mehr Pflegeheime mit dem Qualitätssiegel ausgezeichnet worden? Was muss sich noch verbessern? Christopher Erdmann, Repräsentant des Regenbogenschlüssels in Deutschland, hat uns diese Fragen beantwortet und uns erklärt, was der Regenbogenschlüssel für ihn persönlich bedeutet.

Was ist der Regenbogenschlüssel?
Der Regenbogenschlüssel ist ein Qualitätssiegel in der Gesundheitsvorsorge für LGBT*, welches darauf hinweist, dass diese Institution die Regeln der Diversität befolgt und die Menschen aus der queeren Gemeinde nicht diskriminiert. Sie achten auch darauf, dass in ihrer Institution allgemein keine Diskriminierung stattfindet. Dazu zählen nicht nur Pflegeheime, sondern auch Krankenhäuser und Pflegedienste. Die Menschen sollen sich in diesen Einrichtungen angstfrei bewegen und leben können.

Du bist Repräsentant des Regenbogenschlüssels in Deutschland. Was bedeutet das für dich persönlich?
Ich bin selbst 62 Jahre alt, wenn ich persönlich an meine Zukunft denke oder darüber rede, dann ist man schnell bei einem Angst-Thema: Pflegeheim. Dieser Regenbogenschlüssel soll erstmal die Angst nehmen, die wir alle bekommen, wenn wir an Zustände in Pflegeheimen denken. Wenn ich diese Angst in meinem Kopf schon mal abgehakt habe, dann gibt es mir im Kopf die Freiheit mich intensiver damit zu beschäftigen, was ich davor mache. Also mir die Frage zu stellen: Was kann ich vorher dafür tun, ein Pflegeheim so lange wie möglich zu vermeiden. Es gibt ja zum Beispiel Studien, dass ältere schwule Männer nicht von Frauen betreut werden wollen. Also kann man sich vorher erkundigen, welche Möglichkeiten eines schwulen Pflegedienstes es gibt. Es geht darum, sich aktiv mit dem Alter zu beschäftigen und dadurch auch die Fähigkeit neue Leute kennenzulernen nicht zu verlieren. Außerdem bietet der Regenbogenschlüssel eine Art Tool-Kit für die Freizeitgestaltung der Senioren an. Ich habe erlebt, dass viele Pflegekräfte sehr dankbar dafür sind, damit sie ihre Pflegebedürftigen auch adäquat bespaßen können. Und das alles unter dem Motto Regenbogen und Diversity.

Was hat sich seit unserem letzten Interview mit dem Frankfurter Verband im November 2017 getan? Sind weitere Pflegeeinrichtungen ausgezeichnet worden?
Es gab zwei Audits, die aber leider nicht erfolgreich waren, weil die Zustände in den beiden Einrichtungen leider nicht für die Auszeichnung mit dem Regenbogenschlüssel ausgereicht haben. Es gibt aber weitere Pflegeeinrichtungen, die sich aktuell intensiv mit dem Thema beschäftigen. Einrichtungen können sich gerne von mir beraten lassen, was sie dafür tun können, den Regenbogenschlüssel möglichst erfolgreich zu implementieren.

Also gibt es in Deutschland im Moment weiterhin nur zwei Einrichtungen, die den Regenbogenschlüssel tragen, das Julie-Roger-Haus und das Sozial- und Rehazentrum West in Frankfurt?
Ja leider. Wie gesagt, hätte es zwei neue gegeben, aber da wurde die Entscheidung ausgesetzt, weil es eben noch nicht gereicht hat. Ich stehe aber auch noch in Kontakt mit anderen Häusern. Ich denke da wird sich in absehbarer Zeit etwas tun.

Bekommt ihr auch Feedback zu den ausgezeichneten Einrichtungen? Von den Bewohnern oder Angehörigen?
Ja, es gibt ein Qualitäts- und auch ein Beschwerdemanagement. Das wird in den beiden Einrichtungen regelmäßig kontrolliert und auch umgesetzt.

Wie und wo können sich LGBT*-Senioren und ihre Familien über hinzukommende Einrichtungen in Deutschland informieren?
Das müssen wir mit den Häusern dann noch absprechen, ob wir die Einrichtungen dann auf www.regenbogenschluessel.de auflisten.

Das Sozial- und Rehazentrum West hat sogar einen eigenen Wohnbereich für Menschen mit HIV. Diese Menschen litten meist auch unter jahrelanger Diskriminierung. Sollte das vielleicht auch ein Kriterium für den Regenbogenschlüssel sein?
Hierbei sollte man sich überlegen, ob so ein extra Bereich nicht eher eine Ausgrenzung darstellt. Für mich ist es sinnvoller, dass die HIV-Betroffenen normal unter den anderen leben. Eigentlich sind hier eher die AIDS-Hilfen gefordert, in die Pflegeheime zu gehen und dort die Bewohner aufzuklären, darüber, dass HIV-positive Menschen nicht ansteckend sind und so auch die Diskriminierung zu mindern. Allerdings hängen da Kosten dran, weshalb die AIDS-Hilfen in diesem Bereich hinterher hängen. Aufklärung ist jedenfalls besser, als separate Stationen einzurichten.

Was muss sich in der Altenpflege und speziell in der Regenbogenpflege noch verbessern?
Wir brauchen mehr Leute und mehr Zeit. Dann gibt es diese Unterschiede. Die privaten Heime sind sehr edel und komfortabel. Und dann gibt es die Wohlfahrtsverbände, teilweise ist die Ausstattung dort etwas schlechter, jedoch haben diese Einrichtungen nicht diesen enormen Druck zu wirtschaften, wie es die privaten haben, deshalb sind sie dort meist etwas menschlicher. Diese Häuser sind auch eher dem Regenbogenschlüssel zugewandt. Es gibt dort mehr Personal und deshalb haben sie mehr Zeit, mit den Pflegebedürftigen die Freizeit zu gestalten. Wir müssen uns aber generell fragen, ob die nächste Generation der Pflegebedürftigen überhaupt noch einen Platz in einem Pflegeheim bekommt, oder ob wir nicht alle in einer Turnhalle enden, weil der Bedarf wesentlich größer, als das Angebot ist. Außerdem verdienen Pflegekräfte für die Arbeit, die sie leisten einfach zu wenig Geld. Deshalb möchte das keiner mehr machen.
Wart ihr mal in so einer Altentagesstätte? Wenn man dort reinkommt, möchte man den Architekten an den Haaren nehmen und ihn selbst ein Jahr dort wohnen lassen. Ein ganz hässlicher Rauputz an den Wänden, der möglichst pflegeleicht ist. An der Decke hängen Neon-Lichter, das Licht ist sowas von kalt. Dazu noch diesen ganz grusligen Linoleum-Boden, quadratische Tische mit Tapete „alte Buche“ drauf. Da fühlt sich doch kein Mensch wohl. Das sind teilweise so simple Dinge, die man dort machen könnte. Aber zuerst müsste man eben mal schauen, dass man genügend Personal bekommt.


Was möchtest du unseren Lesern noch sagen?
Man sollte sich früh genug mit seinem eigenen Alter beschäftigen, desto einfach wird man auch alt. Man hat weniger Angst und deshalb mehr Spaß.

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