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Im Interview Georg Uecker

vvg - 19.02.2018 - 07:00 Uhr

Am 22. Februar erscheint Georg Ueckers Autobiografie mit dem Titel „Ich mach dann mal weiter", was für uns der Anlass ist, Georg erneut „auszuquetschen“.

Vor genau 18 Monaten gabst du uns ein Interview, in dem du auch ehrlich über deine HIV-Infektion sprachst. Das verursachte einigen Wirbel im deutschen Blätterwald, hast du selbst mit so einem großen Medienecho gerechnet?
Nicht ganz in dem Ausmaß, obwohl mir schon klar war, dass das vermutlich ein gewisses Aufsehen erregen würde. Ich fand es angenehm, mit euch darüber zu reden, weil es sich einfach ergab, ohne dass ich das groß geplant hatte. Es war eben ein guter Moment: Wir hatten ein Gespräch über viele Aspekte meines Lebens und da fand ich es ideal, auch darüber zu sprechen. Es war Bestandteil eines längeren Interviews, es ging eben nicht ausschließlich darum. Mir war bewusst, dass nicht nur die Boulevard-Medien das aufgreifen würden, aber die Welle, die es geschlagen hat, hat mich in Qualität und Quantität schon überrascht. Das war mehr, als ich erwartet hätte.

Hast du den Schritt irgendwann bereut?
Nein, keinen Moment. Für mich war es auch nicht so ein großer Schritt, wie es vielleicht für andere aussah. Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht. Sowohl meine Familie und Freunde als auch meine Arbeitgeber wussten, dass ich HIV-positiv bin. Ich bin damit offen, aber nicht öffentlich umgegangen. Ich hatte keine Lust auf Gerüchte, Halb- und Unwahrheiten zu reagieren. Ich habe das weder kommentiert noch dementiert.
 

Wie haben deine Freunde und Fans darauf reagiert?
Die Reaktionen waren toll. Das fing schon bei den Salzburger Festspielen an, wo ich kurz nach der Veröffentlichung zu Besuch war. Da haben mich Künstler und Kollegen angesprochen, von denen ich nie vermutet hätte, dass sie TV-Boulevard-Magazine schauen. Aber schon bei der Anreise gab es einen bewegenden Moment im Regionalzug, mit dem ich durch die bayrischen Alpen nach Salzburg fuhr. Der Zugbegleiter kam nach der Fahrscheinkontrolle und leichtem Zögern zu mir zurück, vergewisserte sich kurz, dass uns niemand hören konnte und sagte zu mir: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten verschwand er. Da hatte ich wirklich Tränen in den Augen.

Anstelle „Ich bin dann mal weg“ hast du ein Buch mit dem Titel „Ich mach dann mal weiter“ geschrieben. Stellt sich die Frage: Womit?
Der Titel selbst beschreibt meine Haltung, weiter zu machen, auch wenn es schwer fällt - weiter machen mit dem Leben, mit der Liebe, mit der Arbeit, mit der Emotionalität, mit der Lust und mit der Suche. Ich habe eine Kraft, und eine Dynamik in mir, die mich immer weiter voran treibt. Es ist schwer das zu beschreiben, aber wer das Buch liest, wird den Inhalt dieser einfachen Zeile schnell verstehen.

Was hat dich dazu bewogen die Biografie zu schreiben?
Ich habe mich schon lange mit dem Gedanken getragen, dieses Buch zu schreiben. Immer wieder wiesen mich andere Leute darauf hin, dass meine persönliche Geschichte auch ein Stück Zeitgeschichte widerspiegelt. Aber ich schob dieses Projekt lange Zeit vor mir her. Der Auslöser waren tatsächlich die ganzen Reaktionen, die mich nach unserem letzten (SCHWULISSIMO)-Interview erreicht haben. Ich bekam sehr persönliche Briefe von Leuten, die mir Mut machten, aber auch Briefe in denen Menschen ihre eigenen Geschichten erzählten. Ich bekam viele Interview-Anfragen, habe mich aber erst einmal zurückgezogen, mir Gedanken gemacht und das Buch geschrieben - die ganze Geschichte in meinen Worten. Jetzt erst gebe ich die Interviews.

Wo ist das Buch in welcher Zeit entstanden?
Überwiegend zu Hause, nachdem ich im Kopf alles sortiert hatte. Ich bin so ein Zu-Hause-Schreiber, mache das Telefon aus und arbeitete vor allem nachts. Um mich nicht zu verzetteln, habe ich mir eine Frist gesetzt: Wenn ich 20.000 Tage alt bin, sollte das Buch fertig sein. Zumindest in der ersten Fassung. Das habe ich auch geschafft. Naja, fast.. 20.000 Tage und mehr. Jetzt ist das Buch exakt 25 Jahre nach meinem persönlichen Tiefpunkt, an dem mein ganzes Leben zusammenbrach, erschienen.

Das Buch offenbart ja noch mehr Outings als vor 1 ½ Jahren in unserem Magazin. Gibt es noch mehr Geheimnisse um dich?
Ja, die gibt es. Und die bleiben auch geheim. Das Buch hat ja „nur“ 260 Seiten, nicht nur deshalb musste ich einiges weglassen. Mit Rücksicht auf Kollegen und Weggefährten kann und will ich einige Geschichten und Begegnungen nicht erzählen. Das mag in unserer skandalgeilen Mediokratie altmodisch erscheinen, aber gewisse Werte unterliegen keiner Mode. Ich wollte kein Buch schreiben, indem es permanent um andere bekannte Personen geht, sondern es sollte meine Geschichte sein, die anderen vielleicht Mut machen kann.

Warum macht man sich seelisch so „nackt“ vor dem Leser?
Wenn man kein oberflächliches Buch schreiben will, das man dann ziemlich verlogen als „wahr“ und „intim“ bezeichnet, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich weit zu öffnen. Beim Schreiben habe ich mich häufig gefragt, wo die Grenze zwischen privat, persönlich und politisch verläuft und wo, die zwischen offen und öffentlich. Es war ein nicht leichter Drahtseilakt. Ich lasse mir in die Seele blicken ohne mich ganz „nackt“ zu machen.

Du hast damals auf die Beziehungs-Frage gesagt, du hättest noch Termine frei. Immer noch?
Ja, ich habe noch Termine frei. Anschriften also bitte an Schwulissimo ?. Ich bin da entspannt und forciere das nicht. Ich bin nicht auf der Suche, nur um eine Beziehung zu haben; ich kann auch gut alleine sein. Natürlich wäre es schön, wenn ich mich mal wieder richtig verlieben würde Aber für mich als schwuler Mann über 20.000 Tage gilt: Der Anspruch steigt, aber der Marktwert sinkt ?.

Viele Menschen assoziieren mit deinem Namen immer noch den ersten schwulen Kuss in einer deutschen Fernsehserie. Hast du dir damals vorstellen können, dass heute in fast jeder Soap schwule und lesbische Figuren agieren?
Es ist ein riesiger Fortschritt, dass das heute selbstverständlich geworden ist. Wobei es ja nicht nur auf die Quantität queerer Fernsehpräsenz ankommt, sondern insbesondere auch auf die Qualität. Da wünsche ich mir mehr Vielfalt. Diversity eben und nicht nur Bilder von aufgekratzten Klischee-Tunten, die zur Belustigung durch die mediale Manege gejagt werden, oder von knackigen Twinks als genormte Werbeträger. Mir macht es Spaß, einen alleinstehenden schwulen Mann in seinem sechsten Lebensjahrzehnt zu spielen. Da ist die „Lindenstraße“ mal wieder ziemlich weit vorne. Das meine ich ganz uneitel, denn ich schreibe ja nicht die Drehbücher.

Nach deiner Krebs-Erkrankung und der völligen Genesung hast du vor allem durch Spiel- und Fernsehshows die deutsche Medienlandschaft geprägt.
Ich habe einen doppelten Balanceakt gemacht: zum einen stand ich vor als auch auf der Bühne und zum anderen sowohl vor als auch hinter der Kamera. Deswegen bezeichne ich mich als „Unterhaltungsfacharbeiter“. Die „Schillerstraße“ war dabei so was wie die Quintessenz meiner Tätigkeiten: als Spielleiter war ich eine Mischung aus Akteur, Redakteur und Regisseur - als Teil eines Teams. Dann habe ich gemeinsam mit anderen Sendungen entwickelt: „Popclub“ zusammen mit Thomas Hermanns. „Kaffeeklatsch“ mit Ralph Morgenstern und „Blond am Freitag“ als Late-Night-Variante davon. Außerdem habe ich mit engagierten Kollegen das erste bundesweite schwule Fernsehmagazin „anders Trend“ konzipiert und bei RTL moderiert. Und zusammen mit Maren Kroymann die erste CSD-Live-Übertragung kommentiert. Das war großes WDR-Kino mit einem grandiosen Finale, bei dem die damals frisch gekürte ESC-Siegerin Dana International die Massen bewegte.. Hinzu kamen Bühnenformate wie „Queer Comedy“, „Fang den Mörder“ und die „Rosa Sitzung“. Ich arbeite daran, weitere Ideen umzusetzen.

Also gemäß dem Buch-Titel „Ich mach dann mal weiter“ - Können wir uns dann auch auf unterhaltsame Lesungen mit dir freuen?
In der Tat will ich auf Grundlage des Buches eine Art Leseshow machen. Es ist in Planung, dass ich im Herbst damit auf Tour gehe. Das wird eine wilde Mischung, die zu mir paßt, und wo jeder Abend anders abläuft. Ich werde aus dem Buch lesen, aber es gibt interaktive Momente mit dem Publikum, Einspieler und einen Side-Kick. Das wird ein Spagat zwischen meiner Lebensfreude, Improvisationslust, Schlagfertigkeit und den ernsten Themen, die im Buch aufgegriffen sind.

Du hast schon früh junge, aufstrebende „Nachwuchs-Unterhalter“ wie Ralph Morgenstern, Hella von Sinnen, Dirk Bach und Thomas Hermanns kennengelernt. Was hat diese geballte Ladung bis heute großartiger Künstler und kreativ Schaffender hervorgebracht?
Da sind sich die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort begegnet. Es gab neben dem Schauspiel Köln, das zu der Zeit eins der besten Theater Deutschlands war, eine äußerst kreative Off-Theater-Szene und ein dichtes Netz von Galerien, die die Stadt zum Zentrum der zeitgenössischen bildenden Kunst machte. Da gab es viele fruchtbare Synergien. Es war noch dazu die Zeit des Umbruchs in der deutschen Fernsehlandschaft. Das Aufkommen des Privatfernsehens öffnete Nachwuchstalenten, die für das öffentlich-rechtliche TV als zu schrill galten, neue Türen. Auf ihre sehr spezielle Art taten das auch zwei schwule Film- und Theaterregisseure: um Wally Bockmayer in seiner Kölner „Filmdose“ und Rainer Werner Fassbinder in der Münchener „Deutschen Eiche“ scharten sich viele kreative Köpfe..

Wäre so etwas heute noch vorstellbar?
Das war schon eine sehr spezielle Konstellation damals. Aber ich glaube, dass so etwas immer wieder entstehen kann, wenn auch in anderer Form. Da sollte jede Generation eigene Wege finden und sich nicht von alten Säcken erzählen lassen, dass früher alles besser war.

Sind Freundschaften aus dieser Zeit geblieben?
Ja, da bin ich eine treue Seele. Cornelia Scheel, die ich schon als Bonner Abiturient vor 36 Jahren kennengelernt habe, und Hella, mit der ich schon so viel geweint und gelacht habe, sind meine Freundinnen. Seit Ralph Morgenstern in Berlin wohnt, sehe ich ihn zwar nicht mehr so oft wie früher, aber ich bleibe dran. Und Thomas Hermanns ist mein bester Freund.

Du teilst dir mit Thomas Hermanns ein Paar Stiefel von Abba-Frida. In Kürze schlüpft Thomas für RTL in Tanzschuhe? Wäre das auch was für dich?
Ich finde, das Format „Let’s dance“ sehr unterhaltsam. Aber um da mitzutanzen, musst du dir mehrere Monate frei schaufeln. Das ist ein Vollzeitjob und harte Knochenarbeit mit ganztägigem Training. Und das jeden Tag. Dafür reicht meine Tanzleidenschaft nicht aus.

Bist du deinem Wunsch, ein schriller Alter zu werden, schon näher gekommen?
Manche sagen so, andere sagen so. Das liegt im Auge des Betrachters. Für mich gibt es nach wie vor keinen Grund, sich in einem bestimmten Alter einen Lodenmantel zu kaufen, mit dem Dackel spazieren zu gehen und um 22 Uhr mit der Nachtruhe zu beginnen. Ich werde auch in Zukunft das tun, wozu ich Lust habe. Ich sage ja: „Ich mach dann mal weiter“.
 

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