Direkt zum Inhalt
Abschiebung von LGBTI* durch die Hintertür // © nito100

Abschiebung von LGBTI* durch Hintertür „Jede Berührung und jeder Kuss ist mit Angst um Leib und Leben verbunden.“

ms - 03.05.2022 - 11:45 Uhr

Die SPD Queer hat jetzt in einem queerpolitischen Grundsatzpapier gefordert, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schnellstmöglich und ersatzlos das sogenannte Diskretionsgebot bei der Einschätzung von queeren Flüchtlingen nicht mehr anwendet. Grundsätzlich ist die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität ein anerkannter Asylgrund in der Europäischen Union und auch Deutschland.

In der Realität werden queere Flüchtlinge trotzdem oftmals in ihre Heimatländer zurückgeschickt, hierbei greift oftmals das Diskretionsgebot. Zum einen müssen queere Flüchtlinge erst einmal glaubhaft dem BAMF vermitteln, queer zu sein. Zum anderen muss erwiesen sein, dass LGBTI*-Flüchtlingen tatsächlich Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in ihrer Heimat droht. Asylanträge wurden in der Vergangenheit immer wieder abgewiesen, weil queeren Menschen nahegelegt wurde, ihre LGBTI*-Zugehörigkeit einfach zu verbergen. Mit diesem „diskreten Verhalten“ könnten sie eine erneute Verfolgung vermeiden. Aufgrund dieser Einschätzung werden queere Flüchtlinge dann in ihre Heimat zurückgeschickt.

 

Die SPD Queer verurteilt dieses Vorgehen scharf: „Eine queere Orientierung/Geschlechtsidentität muss vorbehaltlos als Asylgrund in Deutschland anerkannt werden. Es ist unserer Meinung nach ein absolut menschenverachtender Zustand, dass queere Menschen beispielsweise in Staaten abgeschoben werden, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht – mit der Begründung, die Person müsse ihre Homosexualität ja nicht öffentlich leben.“ Zudem sei es wichtig, so die SPD Queer weiter, dass Mitarbeiter des BAMF für die Thematik sensibilisiert werden und explizite Lehrgänge und Fortbildungen absolvieren müssten. 

 

Ähnlich empört über die geläufige Praxis des BAMF zeigte sich auch Patrick Dörr, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD): „Die menschenverachtende, europarechts- und verfassungswidrige Anwendung des Diskretionsgebots bei queeren Geflüchteten muss endlich ein Ende finden. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr für queere Verfolgte zu überprüfen. Wir fordern die SPD-Innenministerin Faeser auf, die Richtlinien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge entsprechend und zügig anzupassen, damit die offensichtlich rechtswidrigen Verhaltensprognosen bei queeren Geflüchteten endlich ein Ende haben.“

 

Bereits 2013 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass nicht erwartet werden kann, dass Antragstellende ihre sexuelle Orientierung geheim halten oder Zurückhaltung beim Ausleben üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden. Dörr dazu weiter: „Das BAMF tut jedoch alles, um die höchstrichterliche Rechtsprechung zu unterlaufen, und beruft sich hierbei auf ältere deutsche Rechtsprechung, die jedoch nach dem EuGH-Urteil längst überholt ist. Der häufig genutzte Begriff der Diskretion ist dabei ohnehin ein Euphemismus. Tatsächlich verdammt das BAMF queere Menschen zu einem lebenslangen und lebensgefährlichen Doppelleben, einem Leben voller Lügen, in dem nur das Gerücht schwul oder lesbisch zu sein, die Ermordung bedeuten kann. An eine gelebte Partnerschaft ist nicht zu denken, jede Nachricht, jeder Eintrag im Handy-Adressbuch, jedes Treffen, jede Berührung und jeder Kuss ist mit Angst um Leib und Leben verbunden. Das Diskretionsgebot untergräbt den verfassungsrechtlich garantierten Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung.“

 

Der LSVD nennt exemplarisch den jüngsten Fall der Abschiebung eines schwulen Mannes, der mit seinem Partner vor Verfolgung geflohen war. Da er sich anfangs aus Angst und Unkenntnis über die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen in Deutschland nicht beim BAMF als schwul geoutet hatte, wurde sein Asylantrag abgewiesen, er wurde von seinem Partner getrennt und zurück in seine Heimat gebracht – Homosexuellen droht dort die Todesstrafe.

Die Begründung des BAMF: Sein spätes Outing vor der Behörde sei ein „grobes Verschulden“ und überzeuge nicht. Der LSVD spricht von einer „skandalösen Abschiebung“ und forderte Anfang April Innenministerin Faeser auf, den jungen Mann unverzüglich zurück nach Deutschland zu holen.

Auch Interessant

Konversionstherapien

Scheitert das Reformvorhaben?

Die Ampel-Koalition wollte das Verbot von Konversionstherapien in Deutschland nachbessern. Scheitert das Vorhaben? Die FDP lehnt einzelne Ideen ab.
Machtkampf in Australien

Religion vs. LGBTI*-Menschenrechte

Klare Kante: Ein Ende der LGBTI*-Diskriminierung an religiösen Schulen fordert jetzt die australische Reformkommission. Gelingt das der Regierung?