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Bahn muss non-binäre Menschen ansprechen

Bahn muss non-binäre Menschen ansprechen Deutsche Bahn muss Buchungssystem komplett umstellen und 1.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

ms - 22.06.2022 - 09:26 Uhr

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat gestern ein Urteil mit Signalwirkung gesprochen – die Deutsche Bahn muss ihr gesamtes Buchungssystem bis Ende 2022 umstellen und darf nicht-binäre Personen künftig nicht mehr mit “Herr“ oder “Frau“ ansprechen. Konkret erklärt das Oberlandesgericht: „Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit heute verkündeter Entscheidung die Vertriebstochter des größten deutschen Eisenbahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 01.01.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als ´Herr´ oder ´Frau´ angeben muss. Bezüglich der Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherter personenbezogener Daten gilt das Unterlassungsgebot ohne Umstellungsfrist sofort. Zudem hat das Unternehmen an die klagende Person eine Entschädigung in der Höhe von 1.000 € zu zahlen.“

Geklagt hatte die nicht-binäre Person René_ Rain Hornstein. Die Zuschreibung von Männlichkeit habe Hornstein als "deutliche psychische Belastung" empfunden. Das Urteil ist mit dem gestrigen Tag rechtskräftig und bestätigt die Unterlassungsansprüche aus erster Instanz. Eine Revision gegen das Urteil ist der Bahn nicht möglich. Die Deutsche Bahn muss nun bis Januar 2023 ihr Online-Buchungssystem für Fahrkarten so umstellen, dass die Angabe von männlich oder weiblich keine Pflicht mehr ist. René_ Rain Hornstein ist Diplom-Psychologe und forscht nach Eigenaussage zu Trans-Themen - er zeigte sich erfreut über das Urteil. Als nicht-binäre Person lehnt Hornstein auch die Ansprache mit "er" oder "sie" ab und wünscht sich eine Ansprache mit "em". Zu der Schadensersatzzahlung in Höhe von 1.000 Euro erklärte Hornsteins Rechtsanwältin Friederike Boll: "Die hohe Summe muss sein, auch damit deutlich wird, welche Folgen Diskriminierung haben kann. Wir haben rund 20 große Unternehmen kontaktiert und auf Diskriminierung im Kunden-Geschäft hingewiesen."

Mehrere LGBTI*-Organisationen begrüßten die richterliche Entscheidung. Die Deutsche Bahn reagierte hingehen mit Unverständnis auf das Urteil des Oberlandesgerichts. Kritik kommt auch von Seiten der LGB Alliance, eine Interessenvertretung für Schwule, Lesben und Bisexuelle: "Das Urteil des OLG Frankfurt bedeutet im Resultat, dass man für jeden Menschen die gewünschten Pronomen ohne materielle Grundlage individuell benutzen muss, um sich nicht Diskriminierungsvorwürfen und Schadensersatzansprüchen auszusetzen.
 

Es ist doch überhaupt nicht nachvollziehbar, wie deutsche Gerichte solche Urteile fällen können, die einer gefühlten Geschlechtsidentität solche Rechte einräumen; diese Gerichte aber gleichzeitig Frauen bescheinigen, sie würden nicht aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, wenn Firmen sie pauschal als "Kunde" anreden. Das objektiv feststellbare Geschlecht eines Menschen hat immerhin Grundrechtsschutz, für eine gefühlte Geschlechtsidentität dagegen gibt es keinen einzigen materiellen Beweis, lediglich die substanzlose Selbstaussage vom Kläger.“

Die LGB-A bezieht sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2018 – eine Rentnerin hatte geklagt, weil sie von ihrer Sparkasse nicht als “Kunde“ sondern als “Kundin“ angesprochen werden wollte. Sie unterlag vor Gericht. Daraufhin legte die Frau den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor, der im Juli 2020 die Verfassungsbeschwerde nicht annahm, weil sie den Begründungsanforderungen nicht genügen würde.

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