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Diese Themen sind der neuen Frau an der Grünen-Spitze wichtig?

Erste bisexuelle Parteivorsitzende Diese Themen sind der neuen Frau an der Grünen-Spitze wichtig

ms - 28.01.2022 - 14:30 Uhr

Ein starkes Signal für die LGBTI*-Community geht an diesem Wochenende vom Bundesparteitag der Grünen aus: Die neue Parteispitze wird dann ab sofort und für mindestens zwei Jahre von dem Iraner Omid Nouripour sowie von der bisexuellen Feministin Ricarda Lang besetzt werden. Nachdem Lang wegen ihrer aktuellen Corona-Erkrankung gerade wieder Mittelpunkt von Hetze und Anfeindung im Netz ist, verschieben sich medial einmal mehr die Koordinaten. Die 28-jährige Frau macht sich für die Impfpflicht stark und steht deswegen im Fokus von Impfgegnern, die in der Not auch einmal gerne ihr Aussehen zum Ziel von Häme machen.

Abseits des tagesaktuellen Shitstorms stellt sich aber die Frage, wie sehr LGBTI*-Themen für Lang im Mittelpunkt ihrer künftigen politischen Arbeit stehen werden. Was können wir von der bisexuellen jungen Frau erwarten? Eines fällt sofort auf: Immer wieder setzt sie sich gerade auch aufgrund ihres eigenen Gewichts für die Body-Positivity-Bewegung ein und möchte die oftmals verzerrte Körperwahrnehmung von Frauen und jungen Menschen verändern – ein Thema, das gerade auch innerhalb der LGBTI*-Community omnipräsent ist, in der Jugendwahn und Körperkult bis heute stark ausgeprägt sind.

Seit ihrem Einzug in den neuen Bundestag wurde auch immer wieder klargestellt, dass Lang die erste offene bisexuelle Abgeordnete ist – eine Tatsache, die zukünftig laut Lang nicht mehr wichtig sein sollte. Irgendwann sollte es keine Rolle mehr spielen, dass queere Menschen in Parlamenten sitzen, so die Politikerin gegenüber dem Tagesspiegel. Solange dies allerdings noch nicht so ist, sei eine Sichtbarkeit von LGBTI*-Menschen besonders wichtig. Die ersten positiven Feedbacks queerer Menschen seit ihrem Amtsantritt geben ihr da recht.

© SolStock
© SolStock

Kritisch äußert sie sich zum Standpunkt der Bisexuellen an sich, die auch innerhalb der Community immer noch einmal das Stigma verpasst bekommen, sich „einfach nur nicht entscheiden zu können“, ob sie nun hetero- oder homosexuell sein wollten. Bisexualität sei aber keine „Phase“, wie sie auf Twitter schreibt. Mit Blick auf die frühere Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel stellt sie außerdem klar: „Die Große Koalition hat Queerpolitik nahezu komplett liegen gelassen. Jetzt braucht es endlich eine Regierung, die sich für queere Menschen einsetzt und für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein darf. Und das übrigens nicht nur durch Regenbogenfahnen in Profilbildern, sondern durch ganz konkrete politische Maßnahmen. Für mich heißt das erstens, dass wir Artikel 3 im Grundgesetz ändern müssen und dort auch die sexuelle und geschlechtliche Identität schützen.“

Weitere Aspekte ihrer künftigen politischen Arbeit sind die komplette Aufhebung des Verbotes von Blutspenden für queere Männer sowie die Gleichstellung in Bezug auf lesbische Mütter und Regenbogenfamilien. Des Weiteren sei ihr wichtig, queere Flüchtlinge besser zu schützen und das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz als Ersatz für das veraltete Transsexuellengesetz umzusetzen. Große Aufgaben für eine neue Bundesvorsitzende – Lang fühlt sich auch mit ihren jungen Jahren dem gewachsen und stellt klar: „Wir haben uns nicht weniger vorgenommen als unsere Gesellschaft sozial und ökologisch umzubauen - in der Regierung und darüber hinaus. Es wäre mir eine große Ehre, mich in den Dienst dieser großen Aufgabe zu stellen.“ Dabei stellt sie gegenüber der FAZ klar, dass Alter allein keine Garantie für eine gute Leistung ist: „Ich bin sehr dankbar, dass ich in einer Partei Politik mache, in der mein Alter nie bestimmend dafür war, was mir politisch zugetraut wird.“

© YakobchukOlena
© YakobchukOlena

Wie ernst sie es mit ihrem Engagement gerade auch immer wieder mit Hinblick auf die LGBTI*-Community meint, zeigte sie bereits früher immer wieder öffentlich. 2018 etwa solidarisiert sie sich mit russischen LGBTI*-Aktivisten und ist beim „Kiss-In“ vor der russischen Botschaft nach dem Motto „To Russia with Love“ mit dabei. Dass ihre neue Aufgabe als Parteivorsitzende gerade in Zeiten von Klimakrise, LGBTI*-Bashing und Transformation der eigenen Partei keine leichte werden dürfte, ist ihr klar. Lang dazu: „Wir (als Partei) haben gelernt, dass das besser gelingt, wenn man mit am Tisch sitzt, statt vor der Tür zu stehen. In den letzten Jahren haben wir daran gearbeitet, die Partei zu öffnen und Politik für die ganze Gesellschaft zu machen. Darauf gilt es jetzt aufzubauen und gleichzeitig die Rolle der Partei in einer Regierung neu zu erfinden. Es geht darum, eine starke soziale und ökologische Politik in der Regierung umzusetzen, aber auch über den Regierungsalltag hinaus zu denken, an unserem inhaltlichen Profil zu arbeiten, 125.000 Mitglieder zu organisieren, als Partei weiter zu wachsen und noch mehr Menschen zu überzeugen. Denn nur so können wir die sozial-ökologische Transformation wirklich schaffen.“

Die Leidenschaft, den Ungerechtigkeiten der Welt entgegenzutreten, wurde ihr sozusagen in die Wiege gelegt: Ihre Mutter arbeitete als alleinerziehende Sozialarbeiterin 14 Jahre lang in einem Frauenhaus. Mit 18 Jahren wurde sie Mitglied der Grünen Jugend und sie arbeitete sich in der Partei schrittweise nach oben, bis sie im November 2019 die stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Partei wurde. Das Statut der Grünen verbietet es, dass Minister gleichzeitig Parteivorsitzende sind, weswegen nach der Ernennung von Annalena Baerbock zur Außenministerin und Robert Habeck zum Wirtschaftsminister die Stellen nun neu besetzt werden mussten. So queer und gerade mit Hinblick auf LGBTI*-Themen auch mutig progressiv ging es dabei wie jetzt mit Ricarda Lang noch nie zu. 

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