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Gedenken an queere Opfer

Gedenken an queere Opfer Transgender Day of Remembrance erinnert an Verbrechen gegen Trans-Menschen

ms - 18.11.2022 - 10:00 Uhr

Am kommenden Totensonntag startet nicht nur die Fußballweltmeisterschaft in Katar, sondern die Trans-Community begeht auch den Transgender Day of Remembrance (TDoR). Dabei wird weltweit Trans-Menschen gedacht, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität ermordet worden sind. Binnen eines Jahres kam es so insgesamt zu 327 Morden an Trans- und nicht-binären Menschen, beinahe durchwegs handelt es sich dabei um Trans-Frauen.

Kein stilles Gedenken gefordert

Zusammengetragen hat die Daten das Trans Murder Monitoring (TMM). Zwischen Anfang Oktober 2021 und Ende September 2022 wurden weltweit 327 Morde an Trans-Menschen begangen, 95 Prozent davon waren demnach Trans-Frauen. Alva Träbert aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) fordert, dass in Zeiten, in denen die Sichtbarkeit von Transgender noch immer lebensgefährlich sein kann, es in diesem Jahr kein “stilles“ Gedenken geben dürfe: „Wir erinnern uns an 327 Menschen, die wegen ihres Trans*-Seins, ihrer Nicht-Binärität oder ihrer Zivilcourage ermordet wurden. In Gedanken sind wir bei Menschen wie Malte C., der in Münster getötet wurde, weil er zwei Frauen schützen wollte. Aber wir denken auch an Sameera Iftikhar, die in Pakistan erschossen wurde oder an Tatiana "Tee Tee" Labelle, die in den USA ermordet wurde. Ihr fehlt und wurdet viel zu früh aus dem Leben gerissen. Auch als Community müssen wir laut und sichtbar solidarisch füreinander einstehen, wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche oder queere Menschen angefeindet werden.“

Hass auch in Deutschland ein Problem

Auch in Deutschland ist der Hass gegenüber der LGBTI*-Community nach wie vor ein massives Problem – das belegen nicht nur die um rund 50 Prozent gestiegenen Fälle von Hasskriminalität binnen eines Jahres, sondern auch das oftmals tagtägliche Erleben von queeren Menschen. “Auch in Deutschland gehört massive Diskriminierung bis hin zu Gewalt und Pathologisierung zum Alltag von trans*geschlechtlichen und nichtbinären Menschen. Lange Zeit war transfeindliche Gewalt kein Thema für die Innenministerien in Bund und Ländern“, so Träbert weiter.

Erst vor wenigen Monaten hat das Bundesinnenministerium den Arbeitskreis “Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt´ ins Leben gerufen. Dieser soll nun bis zum nächsten Jahr Handlungsvorschläge und Maßnahmen erarbeiten, auch der LSVD ist im Arbeitskreis vertreten. Träbert bekräftigt dabei, dass oftmals schon Kleinigkeiten die Täter von Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen triggern würden: „Allein der Anblick einer Drag Queen, einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter motivieren, brutal zuzuschlagen. Aus solchen Taten spricht Hass. Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit. In Deutschland bestehen eklatante Forschungslücken im Hinblick auf LSBTIQ*-feindliche Hasskriminalität.“

Seit 1999 gedenkt die Community ermordeten Trans-Menschen

Forderung nach Selbstbestimmungsgesetz

Der LSVD fordert zudem auch, dass das bisherige Transsexuellengesetz endlich durch das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz ersetz wird. „Noch immer müssen trans* Menschen ein demütigendes und langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei Begutachtungen über sich ergehen lassen. Im Juni hatten Bundesministerin Lisa Paus und Bundesminister Dr. Marco Buschmann erste Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Nach den Eckpunkten muss der Gesetzentwurf nun zügig auf den Weg gebracht werden.“

Zuletzt war es beim Selbstbestimmungsgesetz immer wieder zu Verzögerungen gekommen, offensichtlich auch, weil es nicht nur in Teilen der Gesellschaft, sondern auch in der Ampel-Koalition selbst vermehrt kritische Stimmen gibt, die zwar nicht das Gesetz als solches, sehr wohl aber einzelne Aspekte davon als problematisch ansehen. Darunter fällt die Frage, ob künftig bereits Minderjährige ab 14 Jahren ohne oder mit Zuspruch der Eltern sowie ohne psychologische Betreuung eine Geschlechtsanpassung via Sprechakt durchführen lassen können. Ebenso noch ungeklärt ist die Frage, wie mit Schutzräumen für Frauen umgegangen werden soll. Seitens des federführenden Bundesfamilienministeriums sowie auch von Bündnis 90 / Die Grünen werden Diskussionen diesbezüglich zumeist bis jetzt allerdings unterbunden, zuletzt stellte die Partei bei der Bundesdelegiertenkonferenz im Oktober klar, dass sie darüber nicht noch einmal debattieren wolle.

Erfolg bei Aufarbeitung von Verbrechen

Erfolge können indes bei der Aufarbeitung möglicher Verbrechen im Zuge des alten Transsexuellengesetzes (TSG) verzeichnet werden – erst vor wenigen Tagen hatten auch auf Vorschlag der Partei Die Linke die deutschen Justizminister entschieden, auf Bundesebene einen Entschädigungsfond für Trans-Personen einzurichten. Hintergrund sind mögliche Körperverletzungen in Ausübung des TSGs. Auch sollen die TSG-Akten zur späteren Überprüfung aufbewahrt und nicht wie anfangs befürchtet geschreddert werden. Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, hatte vorab mehrfach erklärt, sie befürchte bei einer Vernichtung der Akten eine ähnlich lückenhafte Beweislage wie bei der Aufarbeitung des Paragrafen 175, der gleichgeschlechtlichen Sex in der Bundesrepublik bis 1994 unter Strafe gestellt hatte. Opfer dieses Paragrafen bekamen mehrfach keine grundsätzlich zugesagten Entschädigungen, weil sie ihre Verurteilung nicht mehr nachweisen konnten.  

Geschichte des Gedenktages

Der Transgender Day of Remembrance (TDoR) wurde 1999 initiiert von der Trans-Frau und Juristin Gwendolyn Ann Smith aus San Francisco, nachdem über den Mord an einer afro-amerikanischen Trans-Frau ein Jahr zuvor weder in den Medien berichtet noch der Fall jemals aufgeklärt worden war. Die Trans-Frau namens Rita Hester war im November 1998 in ihrer Wohnung in Allston, Massachusetts, mit einem Messer erstochen worden.  

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