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Homosexualität und Kirche
Rubrik

Homosexualität und Kirche Kommt es wirklich zu einer “Neubewertung“ von Homosexualität?

ms - 15.09.2022 - 10:30 Uhr

Seit Beginn dieser Woche nehmen die Diskussionen innerhalb wie außerhalb der römisch-katholischen Kirche erneut an Fahrt auf – im Zentrum dieser teils hitzigen Gespräche steht die Bewertung von Homosexuellen, ihren Partnerschaften und das Spannungsfeld mit der Institution Kirche. Nachdem die vierte Synodalversammlung am vergangenen Wochenende unbefriedigend zu Ende gegangen ist, fragen sich viele, wie die Kirche in Deutschland jetzt weitermachen will – klar ist, die kirchliche Führung in Rom ist nach wie vor strikt gegen eine Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen und auch in Deutschland ist die Front gegen gleichgeschlechtlich liebende und lebende Paare noch sehr groß. Umso verwunderlicher scheint es da einmal mehr und befeuert zudem ebenso in dieser Woche damit die Diskussionen, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, ein positives Fazit über die dreitätige Versammlung zog und sogar von einer Signalwirkung sprach, die das Handeln der katholischen Kirche verändern würde.

In der Tat gab es einige positive Ideen in Frankfurt am Main: Künftig dürfe keinem Homosexuellen mehr der Zugang zu kirchlichen Ämtern verwehrt werden aufgrund seiner Homosexualität, so eine der Forderungen. Ein Beraterorgan soll zudem ins Leben gerufen werden, um eine Neubewertung von Homosexualität anzukurbeln. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, erklärte dazu freudig, man habe viel geschafft, denn es seien “entscheidende Texte“ angenommen worden. Im nächsten Satz musste Stetter-Karp dann allerdings ebenso erklären, wie tief noch immer der “Schock“ sitze, nachdem zuvor ein gemeinsam erarbeitetes Grundlagendokument zur Sexualethik von vielen deutschen Bischöfen abgelehnt worden und der synodale Weg kurz vor dem Scheitern gestanden war. Die Frage, in dieser Woche erneut hitzig diskutiert wird, lautet also: Was nun? Heikel ist die letzte Entscheidung auch deswegen, weil die Mehrheit der Mitglieder der Synodalversammlung (83%) für eine neue Ausrichtung zur Sexualethik votiert hatte, nur rund 40 Prozent der Bischöfe stellten sich klar dagegen, sodass die nötige Zweidrittel-Mehrheit verfehlt worden war. Das katholische LSBT+ Komitee hat dazu inzwischen erklärt: „Die Ablehnung aufgrund des Neins von lediglich 21 Bischöfen ist aus Sicht des LSBT+ Komitees eine bittere Enttäuschung für alle, die sich sehnlichst Veränderungen erhofft hatten. Sie ist eine schmerzhafte Ohrfeige für alle, die sich in Kirche und Gesellschaft für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von LSBT+ Personen einsetzen. Sie stellt vor allem eine erneute Zurückweisung der LSBT+ Personen selbst dar, die sich nun fragen müssen, ob sie dieser Kirche noch einmal ihr Vertrauen schenken können. Die Arbeit des Forums an dem Text und damit auch die vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit derart auflaufen zu lassen, wird jetzt viele Menschen an der Kirche verzweifeln lassen. Nicht zuletzt die Initiative #OutInChurch hat im Januar 2022 gezeigt, welche enorme Schuldgeschichte die katholische Kirche auf sich geladen hat. Katholische Queer-Feindlichkeit zerstört Biografien und die psychische Gesundheit der von ihr Betroffenen. Das Scheitern des Grundtextes zur Sexuallehre offenbart die Konstruktionsfehler des Synodalen Wegs, dessen Zukunft nun infrage steht. Bischöfe, denen offensichtlich die demokratischen und synodalen Kompetenzen fehlen, sich im Vorfeld einzubringen, haben letztlich die Macht, Reformvorschläge engagierter und gläubiger Katholiken und der reformwilligen Mehrheit der Bischöfe zu blockieren (…). Die Bischöfe insgesamt waren schlecht vorbereitet und haben die zerstörerischen Konsequenzen für die Kirche nicht verstanden. Sie müssen jetzt nachsitzen und eine tragfähige Lösung finden, mit der sie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, ebenso wie trans und nichtbinären Menschen wieder unter die Augen treten können und allen, die unter der Sexualmoral der Kirche leiden. Auch mit Perspektive auf die Weltkirche ist das Votum der Bischöfe fatal. Weltweit erleben queere Personen Verfolgung, die in vielen Fällen auch katholisch-religiös legitimiert wird. Die Ablehnung des Grundtextes zeigt auch, dass es für weltkirchliche Verantwortung keine Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe gibt!“

Ursprünglich sollte von der vierten von insgesamt fünf geplanten Synodalversammlungen ein starkes Signal als Reaktion auf die massiven kirchlichen Missbrauchsskandale ausgehen. Man strebe grundsätzliche und grundlegend neue Reformen an, so die Aussagen zuvor, dabei sollte es explizit um Homosexuelle oder auch um die Frage gehen, wie das Priesteramt für Frauen geöffnet werden könne. Geblieben ist am Ende unterm Strich die Einrichtung eines beratenden Organs für die katholische Kirche – und es ist ja bekannt, wie gerne Kirchenvertreter auf Berater hören, die ein zeitgemäßes Verständnis von Sexualität und Gesellschaft einfordern. Es sagt viel aus über die Institution Kirche, dass ein reines Beratergremium ohne irgendeine konkrete Handhabe trotzdem von mehreren Stellen als “Durchbruch“ gefeiert wird. Bischof Bätzing erklärte zuletzt vor kurzem, dass er nun mit “vollgepackten Koffern“ mit Forderungen nach Reformen nach Rom reisen werde, es gehe schließlich um die “Zukunft der Kirche“. Fraglich, ob ihm am Petersdom dann überhaupt die Tür geöffnet werden wird.

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