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Machen die Briten erneut eine 180-Grad-Wende?

Kein Ende von Konversionstherapien? Beide Kandidaten für das Amt des britischen Premierministers scheinen sich gegen den “woke-Blödsinn“ auszusprechen.

ms - 11.08.2022 - 12:00 Uhr

Der Streit um ein Ende der Konversionstherapien in Großbritannien wird inzwischen seit mehr als vier Jahren mit viel Emotionen geführt – nachdem im Frühjahr noch der Premierminister Boris Johnson nach einem politischen Schlingerkurs ein Verbot der Konversionstherapien angekündigt hatte, brachte er kurz darauf Teile der britischen LGBTI*-Community gegen sich auf, weil er erklärte, dass trans-Personen in einem ersten Schritt nicht dabei eingeschlossen wären. Johnson erklärte diesen Schritt damit, dass es diverse juristische Fragen zu klären gebe, ob beispielsweise künftig dann ein Arzt bei einem Jugendlichen überhaupt noch abklären dürfte, ob tatsächlich eine Transsexualität vorliegt oder nicht.

Rückblickend scheinen dem scheidenden Premierminister die jüngsten Entwicklungen recht zu geben – erst Anfang August wurde erklärt, dass die bisher einzige Klinik für trans-Jugendliche in Großbritannien, die Tavistock Klinik, im Frühjahr 2023 ihre trans-Abteilung schließen muss, weil unabhängige Untersuchungen belegt hatten, dass Kindern und Jugendlichen ohne Überprüfung oder korrekte Diagnose blindlings in der Kritik stehende Pubertätsblocker verschieben und geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt worden waren. Jede Kritik an diesem System wurde laut Aussagen von Mitarbeitern, Eltern und Patienten sofort als transphob gebrandmarkt. Aufgrund dessen hatten sich die gemeldeten trans-Jugendlichen auch von rund 140 Fällen im Jahr 2010 auf mehr als 5.000 Fälle im Jahr 2021 vervielfacht. Die Betreuung von trans-Jugendlichen soll nun auf acht Kliniken aufgeteilt werden, die auch die nötige psychische und medizinisch sachliche sowie ideologiefreie Unterstützung liefern könnten, so das britische Gesundheitsministerium.

Bleibt die Frage offen, wie es nun mit dem geplanten Verbot von Konversionstherapien weitergeht, seitdem Johnson auf Druck seiner eigenen Partei zurücktreten musste. Anfang September wählt die Konservative Partei seinen Nachfolger, in den Umfragen derzeit führend ist die aktuelle Außenministerin Liz Tuss. Sie hatte sich lange Zeit auch für ein Verbot ausgesprochen, einige Berater und politische Weggefährten deuteten jetzt allerdings an, dass Tuss als neue Premierministerin das Gesetzvorhaben ganz streichen könnte. So erklärte ihr aktueller Wahlkampfleiter und ehemaliger Vorsitzende der Konservativen Partei, Sir Iain Duncan Smith: "Ich hasse es. Darf ich das klar sagen? Ich denke, wenn man anfängt, Dinge wie diese zu verbieten, gerät man in ein Labyrinth von Problemen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Liz das sehr ähnlich sieht." Und ihr Parteikollege und Tory-Abgeordneter Duncan Smith bekräftigte: "Die Menschen dürfen ihre Überzeugungen haben. Man mag nicht immer mit ihnen übereinstimmen, aber die Idee, ihnen das zu verbieten, ist ein typisches Beispiel der grässlichen woke-Kultur. Ich denke, das ist eine Falle, in die Politiker tappen und die das Leben nur noch schlimmer machen wird. Liz stellt sich klar gegen dieses woke-Zeugs. Ich denke, sie wird sicherlich dieselbe Meinung vertreten wie ich und viele andere auch."

Eine Stellungnahme direkt von Liz Tuss gibt es aktuell nicht. Ihr Gegenspieler im Kampf um den Posten des Premierministers, Rishi Sunak, hatte erst Anfang August bekräftigt, dass er dem “woken Blödsinn“ den Kampf ansagen und zudem im Falle eines Wahlsiegs das britische Gleichstellungsrecht grundsätzlich überarbeiten wolle. Der ehemalige Schatzkanzler betonte weiter, dass er dafür sorgen wird, dass der Begriff "Geschlecht“ als “biologisches Geschlecht" verstanden werden soll und er Frauen vor der "Auslöschung" schützen möchte. Es ist derzeit gar nicht so unwahrscheinlich, dass die britische LGBTI*-Community, die so sehr gegen Boris Johnson anging, sich am Ende den blonden Briten wieder zurückwünschen wird.

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