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Der CSD München will die Community befrieden

LESS ME, MORE WE! Von München kann ein besonderes Signal ausgehen – leider ohne Sven Lehmann!

ms - 15.07.2022 - 12:00 Uhr

Eine der größten CSD-Paraden startet an diesem Wochenende mit einem der besten und zugleich kritischsten Mottos des Jahres: Less me, more we! Weniger das Ich, mehr das Wir – das Motto könnte dabei auch als dringender Appell und Kommentar mit Blick auf den derzeit mitunter rauen Umgang innerhalb der LGBTI*-Community in Deutschland verstanden werden, bei dem sich gerade bei Diskussionen rund um das neue Selbstbestimmungsgesetz die Fronten immer mehr zu verhärten scheinen. Auch wenn von verschiedenen Seiten immer wieder die Rückkehr zu einem vernünftigen und sachbetonten Dialog gefordert wird, scheinen Sprech- und Denkverbote und ein rüdes Schwarz-Weiß-Denken immer mehr Einzug zu halten: Entweder bist du bedingungslos und unkritisch für mich oder du bist der Todfeind. Diese immer tieferen Gräben sind dabei keine Erfindung aus Deutschland, auch in den USA oder in Großbritannien erleben die dortigen LGBTI*-Communitys immer mehr Anfeindungen untereinander und immer öfter wird dabei inzwischen ganz offen von Spaltung und einem Zerwürfnis gesprochen.

Das Team des Münchner CSD will diesen Entwicklungen mit einem starken Statement und einem Zeichen von Solidarität entgegentreten. Es gehe darum, für andere Menschen einzustehen, egal ob inner- oder außerhalb der Community, so das CSD Team: „Gemeinschaft und Solidarität sind Schlagwörter, die zentral für den diesjährigen Pride sind!“, so Julia Bomsdorf von LesCommunity e.V., einem der fünf Veranstaltervereine. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, war nach Angaben der Veranstalter weder für einen Bühnen-Besuch beim CSD noch für ein Interview für den Pride-Guide zum Motto “Less me, more we“ zu haben. Das Team des Münchner CSD kommentierte das kurz mit den Worten: „Schade, Sven!“ 

München ist dabei nicht irgendein CSD, sondern seit Jahren nebst der Pride-Parade in Stuttgart eine der wichtigsten Demonstrationen für LGBTI*-Rechte in ganz Süddeutschland. Vor der Corona-Pandemie pilgerten zuletzt rund 155.000 queere Menschen aus ganz Bayern, Baden Württemberg und weiten Teilen Österreichs in die bayerische Landeshauptstadt. Der Münchner CSD war auch deswegen stets besonders, weil er anders als in Berlin oder Hamburg wie ein Leuchtfeuer umgeben von grauer Tristesse wirkte. Das mag ungerecht klingen gerade auch für all die queer-freundlichen Vereine und Gruppen, die sich in den letzten Jahren auch auf dem bayerischen Land gegründet haben, doch es spiegelte viele Jahre lang die Realität wieder: Beim CSD bewiesen die Münchner, dass sie weltoffen und liberal sind, auch wenn anderenorts im Bundesland schwule und lesbische Jugendliche oftmals noch auf reservierte Blicke und direkte Anfeindung stießen. München war bunt – und wird es auch an diesem Wochenende abermals sein.

Dabei bedeutete der CSD auch immer eine kleine Revolution gegen die jahrzehntelang und bis heute immer noch in Teilen gelebte Homophobie der vorherrschenden Landespartei CSU. Beim letzten großen CSD vor der Pandemie im Jahr 2019 hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) noch kampfeslustig betont: „Wir haben viel erreicht, aber wir sind noch lang nicht am Ende unseres Weges. Wir haben heuer zum ersten Mal Regenbohnenflaggen am Rathaus, weil auch im Rathaus noch viel passieren muss. Die schwulen und lesbischen Ampelmännchen werde ich dieses Jahr einfach dranlassen. Mal schauen, ob mich die bayerische Staatsregierung zwingen wird, sie wieder abzuhängen." Erstmals war auch die Bundespolizei mit einem Stand vor Wort gewesen, während die Münchner Polizei nicht offiziell vertreten war. Auch so eine Besonderheit gegenüber dem großen Bruder in Berlin – in der Hauptstadt der Bundesrepublik muss man gefühlt weniger gegen lokale Ressentiments kämpfen, sondern hat meist mehr die bundesdeutsche Politik im Blick. In München bedeutet CSD auch immer noch ein Kampf für mehr Gleichberechtigung vor Ort. 

Erstmals 1980 kam es in München zu einer schwul-lesbischen Demonstration, die die Boulevard-Presse dazu veranlasste, ihre Leser mit dem Hinweis "Homosexuelle marschieren durch die Stadt!" zu warnen. Gerade einmal 200 Schwule und Lesben zogen damals mit Transparenten durch die Innenstadt bis zum geschichtsträchtigen Geschwister-Scholl-Platz. Inzwischen sind aus der kleinen Demonstration dieses Jahr erstmals ganze zwei Pride Weeks geworden, deren Höhepunkt die Politparade ist, die an diesem Samstag auf einer neuen Strecke von rund vier Kilometern Länge durch das gesamte Zentrum der Isarmetropole zieht. Die Feierlichkeiten gehen direkt in ein großes Straßenfest über, das bis zum darauffolgenden Sonntagabend andauert. Apropos Besonderheiten: Für viele homosexuelle Besucher ist das, am gleichen Abend stattfindende CSD Rathaus-Clubbing der wahre Höhepunkt der Pride-Feierlichkeiten. Oberbürgermeister Reiter öffnet einmal mehr die Türen seines Rathauses für eine wilde und bunte Clubbing-Party-Nacht im altehrwürdigen Gemäuer. Die Eintrittskarten sind seit vielen Jahren schwerer zu ergattern als eine Audienz beim Papst – aber letzterer ist auch nicht direkt als homo-freundliche Partygranate bekannt.

www.csdmuenchen.de

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