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LGBTI*-freundliche Lehrer in der Kritik // © Daniel de la Hoz

LGBTI*-freundliche Lehrer in der Kritik "Es scheint, als wolle man eine ganze Bevölkerungsgruppe auslöschen, als gäbe es uns nicht."

ms - 24.05.2022 - 20:30 Uhr

Eine neue Studie belegt in den diesen Tagen einmal mehr das Bildungsniveau von US-Republikanern und trägt dazu bei, dass immer mehr Lehrer in den Vereinigten Staaten von Amerika Alarm schlagen. Laut einer neuen Umfrage von Morning Consult glauben 40 Prozent der erwachsenen Republikaner, dass Lehrer die Sexualität und Geschlechtsidentität von Schülern beeinflussen können. Zum Vergleich: 27 Prozent der Demokraten und 29 Prozent der Unabhängigen stimmen dem auch zu.

Nebst den akademischen Leistungen seien Lehrer laut den Aussagen auch dafür verantwortlich, wie intelligent ein Kind ist, welche Werte es vertritt und welche religiösen Ansichten es hat. 31 Prozent der republikanischen Eltern fühlen sich dabei "unwohl", wenn LGBTI*-Personen mit ihren Kindern arbeiten. Bei den demokratischen Eltern erklärten dagegen 84 Prozent, dass sie kein Problem damit haben, wenn queere Menschen mit ihren Kindern arbeiten würden.

Rund 60 Prozent der republikanischen Eltern befürwortet dann auch wie in Florida bereits umgesetzt, ein Verbot von LGBTI*-Themen und der queeren Bürgerrechtsbewegung im Unterricht. Auch jede Form von Sexualkundeunterricht wird strikt abgelehnt. Im Gegenzug befürworten demokratische Eltern zu rund 75 Prozent Unterricht mit LGBTI*-Aspekten.  Die Studie bestätigt damit in bestechender Weise, dass die Abneigung gegenüber LGBTI* mehrheitlich ein Thema in republikanischen Familien ist.

Immer mehr Lehrer schlagen deswegen auch Alarm und haben gegenüber USA Today ein dringendes Umdenken eingefordert. Nicht nur, dass LGBTI* in den Schulen immer weiter in die Unsichtbarkeit geschoben wird, machen aktuell sogar vier Bundesstaaten Lehrer zu “Kulturkampf-Polizisten“, die ihre Schüler bespitzeln und queeres Verhalten melden sollen. Im Gespräch mit dem amerikanischen Nachrichtenunternehmen zeigt sich, dass gerade viele LGBTI*-Lehrer schon jetzt sehr zurückhaltend mit dem Thema umgehen und nur auf Rückfrage überhaupt noch von LGBTI* erzählen. Beispielsweise Michael Woods – der schwule Lehrer arbeitet an einer Schule in Florida: "Ich bin bei vielen Dingen sehr vorsichtig. Ich behalte meinen Job gerne. Wenn Schüler mich direkt um Rat fragen, helfe ich natürlich gerne. Für viele dieser jungen Menschen sind die Lehrer der einzig sichere Ort.“ Das Problem bleibt dabei bestehen, dass sich viele Lehrer in eine rechtliche Grauzone begeben, sobald Schüler mit Fragen zu ihnen kommen, erklärt auch Anita Carson, Lehrerin für Naturwissenschaften an einer Mittelschule in Florida: "Wenn ein Kind zu seinen Eltern kommt und sagt: 'Frau Carson hat mir geholfen, herauszufinden, wie ich es euch sagen kann', dann werde ich möglicherweise verklagt."

Ähnlich sieht es aktuell auch in anderen Bundesstaaten wie beispielsweise Texas aus, wo trans-Jugendliche im Zentrum der Angriffe des Gouverneurs stehen. Adrian Reyna, ein Geschichtslehrer in San Antonio, dazu: "Das Einzige, was ich noch kontrollieren kann, ist der Raum, den ich im Klassenzimmer schaffe, und ich werde alles tun, was ich kann, um einen sicheren und integrativen Raum zu schaffen. Aber die Bedrohung ist sehr real. Die Gesetze zur Meldepflicht in Texas und den meisten anderen Bundesstaaten verpflichten Lehrer, Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch den Behörden zu melden, andernfalls drohen Geld- oder Haftstrafen. Die Richtlinie des Gouverneurs betritt jedoch Neuland, indem sie ´geschlechtsangleichende Betreuung´ jetzt auch als Kindesmissbrauch einstuft.“ Und sein Kollege Clay Robison von der texanischen Lehrervereinigung meint kämpferisch: "Die Lehrer wollen nicht die Transgender-Polizei von Gouverneur Greg Abbott sein!“

Die Situation für Lehrer spitzt sich immer weiter zu – sie dürfen immer seltener über LGBTI* reden, Schüler beraten oder helfen, immer mehr Bücher und Lehrmaterialien werden verboten und sie müssen zudem menschenfeindliche Richtlinien beachten, da sie ansonsten verklagt werden können. Die USA gehen mit dieser Einstellung auch direkt auf einen Bildungskollaps zu – die Zahl der Studienanfänger auf Lehramt sank innerhalb von zehn Jahren um mehr als 35 Prozent, allein in Florida fehlen aktuell 4.500 Lehrer. Eine Umfrage der National Education Association ergab, dass 55 Prozent der Lehrer landesweit derzeit eine vorzeitige Kündigung in Erwägung ziehen.

Warum abseits der politischen Agenda und dem Kampf um Wählerstimmen so viele Amerikaner noch immer ein so rückwärtsgewandtes Weltbild haben, erklärt Adam Laats, Professor für Pädagogik und Geschichte an der Binghamton University in New York, damit: „Die Annahme, dass Schulen Kinder sexualisieren, ist mindestens 100 Jahre alt und geht auf Konflikte um den Evolutionsunterricht zurück. Dieser Kampf richtete sich gegen den Atheismus, aber sein Subtext war, dass der Unterricht in der Evolutionslehre die Schüler dazu bringen würde, ´sich wie Tiere zu verhalten und tierischen Sex zu haben´. Einige Prediger warnen bis heute davor, dass dies die ´Bestialität´ fördern würde.“ Der große Verlierer in diesem Kulturkampf ist die LGBTI*-Community, wie auch der schwule Lehrer Woods aus Florida erklärt: "Es scheint, als wolle man eine ganze Bevölkerungsgruppe auslöschen, als gäbe es uns nicht."

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