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Schwuhplattler

Schwuhplattler „Tracht, das war mal steifer Konservatismus. Heute ist das ein Lebensgefühl“

km - 12.03.2022 - 10:00 Uhr

Die Schwuhplattler sind ein bayrischer Verein, der das Brauchtum und die queere Community vereint. Der Traditionelle Tanz – auch Schuhplattler genannt – wird schon seit 25 Jahren im Verein getanzt.  Charakterlich für diesen Tanz sind die Handschläge auf Oberschenkel und Schuhe. Der Name „Schuhplattler“ geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, ist aber in ähnlicher Form 1050 erstmals in der Ritterdichtung Ruodlieb erwähnt. Das Schuhplattln war in früheren Jahrhunderten ein klassischer Werbetanz: der Tänzer zeigte mit Hüpfen, Drehen und Platteln sein akrobatisches Können und wollte damit die Tänzerinnen für sich gewinnen. Dabei gab es bis 1850 keine besonderen Regeln, die Burschen hatten bei der Vorführung ihrer Figuren freie Wahl. Danach bestimmte eine bayrische Schuhplattlordnung Figuren und Tänze und aus dem Werbetanz wurde ein Schautanz.
Im Interview mit SCHWULISSIMO erzählen sie wie Brauchtum, Tradition und Queerness zusammenpassen, wie alles begann und was an diesem Tanz so faszinierend ist.

 

Wie kam es damals zur Gründung der Schwuhplattler?
Wie viele andere Großstädte war und ist München eine Zufluchtsstätte für schwule Männer vom Land, die in ihren Heimatdörfern nicht so offen und frei leben können wie sie es gerne täten. Das galt früher insbesondere für Schwule, die aus sehr traditionellen Orten kamen und schon als Kinder und Jugendliche in die Welt der Trachtenvereine hineinwuchsen. In München angekommen, konnten sie sich frei entfalten – und wollten sich zugleich ein Stück ihrer Heimat erhalten. So kamen einige Männer, die mit dem Schuhplatteln aufgewachsen waren und das in München weiterbetreiben wollten, zunächst ganz locker in Kontakt. Aus den ersten Treffen entwickelten sich die ersten Proben und schließlich wuchs die Gemeinschaft so an, dass sich 1997 die Schwuhplattler als Verein gründeten.

Wie hat sich die Gesellschaft und der Blick auf euren Verein seit eurer Gründung verändert?
In den vergangenen 25 Jahren ist die Gesellschaft deutlich offener und vielfältiger geworden. Das merken auch wir. Wurden wir zunächst bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls abgelehnt, sind wir inzwischen zu einem Bestandteil des queeren und kulturellen Lebens in München geworden. Dazu hat sicherlich auch beigetragen, dass wir bei allem Spaß, den wir gemeinsam haben, die Proben und das Schuhplatteln ernst nehmen und uns nach außen als humorvolle, aber eben auch seriöse Repräsentanten eines weltoffenen Bayern geben.

© Benjamin Hahn
© Benjamin Hahn

Ihr wurdet damals sogar von anderen Schuhplattler-Gruppen schlecht behandelt.
Die frühere Ablehnung durch andere Gruppen war natürlich nicht schön, hat uns aber auch gezeigt, dass es richtig war, einen geschützten Ort für Männer zu schaffen, die sich mit Traditionen und Tracht identifizieren, aber aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Inzwischen werden wir aber immer häufiger von anderen Brauchtumsvereinen eingeladen und das Verhältnis untereinander entspannt sich. Klar, es könnte noch viel entspannter sein und hier und da gibt es immer noch Probleme mit der Akzeptanz. Aber wir sind optimistisch und sehen eine Zukunft, in der wir gleichberechtigt neben anderen Vereinen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Tradition und Weltoffenheit steht sich des Öfteren Mal im Weg – wie passt bayrischer Brauch und Diversität zusammen?
Die viel geliebte Kreuzpolka stammt aus Pommern und fand ihren Weg über die Berliner Tanzsäle nach Bayern, die Faltenstiefel der Dachauer Tracht stammen ursprünglich vom Balkan, kurzum: Das bayerische Brauchtum war schon immer weltoffener als es die Bayern glauben wollen. Entscheidend ist daher nicht das Brauchtum an sich, sondern wie weltoffen die Menschen sind, die es leben. Wer vor Corona auf den Volksfesten und Tanzabenden auf dem Land unterwegs war, wird gesehen haben, dass gerade eine junge Generation nachwächst, die divers und offen ist und sich zugleich in Lederhose und Dirndl schmeißt, um beides ganz selbstverständlich miteinander zu verbinden. Tracht, das war mal steifer Konservatismus. Heute ist das ein Lebensgefühl.

Was bedeutet für euch Brauchtum?
Das ist jeder Einzelne von uns sehr unterschiedlich. Die einen sind damit aufgewachsen, die anderen haben erst später dazu gefunden. In jedem Fall kann Brauchtum Identität schaffen. In Lederhosen herumzulaufen und das Schuhplatteln zu üben, das bestimmt nicht unser Leben. Aber es ist ein Teil unserer Persönlichkeit.

© Benjamin Hahn

Wie queer ist Bayern?
Im Saal des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Odeon hat Karl Heinrich Ulrichs schon 1867 öffentlich die Entkriminalisierung der Homosexualität gefordert und mit dem Ruf als Kunststadt wurde München im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Anziehungspunkt für die queere Boheme. Klar, mit Paris oder später auch Berlin konnte München nie mithalten, aber eine beachtliche queere Geschichte lässt sich bis heute auch über die Stadt an der Isar schreiben. Aber wie in allen anderen Regionen auch, gibt es gewaltige Unterschiede zwischen Land und Stadt. Jetzt müssen wir alle dafür sorgen, dass nicht nur in der bayerischen Provinz, sondern auch in der sächsischen, hessischen oder brandenburgischen Provinz queere Menschen unbesorgt offen leben können.

Auf was seid ihr als Verein am meisten stolz?
Im kulturellen Leben Münchens angekommen zu sein und toleriert zu werden. Im November 2021 hat unser Vorstand Sepp Stückl die Ehrenmedaille für die Verdienste um die Volkskultur in München bekommen. So eine Anerkennung bedeutet uns nach 25 Jahren Arbeit für Toleranz und Gleichberechtigung schon viel. Auch die vielen Einladungen zu Auftritten außerhalb Bayerns freuen uns sehr.

Inwiefern kämpft ihr gegen Klischees an?
Ganz einfach: Indem wir sichtbar sind und für das einstehen, was wir repräsentieren.

Mit welchen Klischees hattet ihr damals und vielleicht noch heute zu kämpfen?
Ein sicherlich häufig gedachtes Klischee ist, dass wir eine Showtanztruppe sind, die in rosa Lederhose auf der Bühne steht. Wenn wir dann aber auftreten und da gestandene Männer in vielen Altersklassen auf die Bühne kommen, dann werden wir gelegentlich schon mal gefragt, ob wir wirklich alle schwul seien. Natürlich haben wir auch einen Quoten-Hetero im Verein, aber wir verraten nie, wer das ist. Zu kämpfen haben wir neben den typischen Schwulenklischees aber auch damit, dass Tracht und Dirndl in den Köpfen Restdeutschlands immer als sehr konservativ gelesen werden. Mit unseren Auftritten außerhalb Bayerns wollen wir auch dazu beitragen, dass sich das ändert.

Was sind eure bewegendsten Geschichten als Verein und auch als Einzelpersonen im Verein?
Die schönste Geschichte ist immer noch die von Schorsch, einem Schwuhplattler der ersten Stunde, der damals die Gruppe mitbegründete, weil er in seinem Heimatort als Schwuler nicht akzeptiert wurde. Heute ist er als offen schwul lebender Mann der Vorsitzende des Trachtenvereins seines Heimatortes.

© Benjamin Hahn
© Benjamin Hahn

Was macht einen guten Schuhplattler aus?
Lust an der Bewegung und das Verständnis, dass man einen Balztanz ausführt. Wer das verinnerlicht, der bekommt auch die stolze Haltung, die einen guten Plattler ausmacht.

Was muss man mitbringen um Schwuhplattler zu werden?
Durchhaltevermögen. Nicht jeder lernt gleich in der ersten Stunde den ersten Tanz. Deshalb ist es wichtig, dass man dranbleibt und regelmäßig übt – entweder Zuhause oder natürlich vor allem in der Gruppe.

Was ist das faszinierende am Schuhplattler?
Die Mischung aus Sport, Körperhaltung und in der Gruppe synchronisierten Bewegungsabläufen. Der Schuhplattler ist ein Balztanz, der das Gegenüber beeindrucken soll. Er ist anstrengender als viele denken und erfordert regelmäßiges Üben und eine solide Kondition. Ordentlich und sauber geplattelt, ist der Schuhplattler ein sehr stolzer Tanz, mit dem man sich präsentiert. Unterstrichen wird das durch den satten Knall, wenn man mit der Hand auf das Leder der Hose schlägt.

Hat sich der traditionelle Tanz verändert? Ihr habt ja zum Beispiel auch Giovanni, der aus dem Ballett kommt. Wird da der Schuhplattler moderner, wenn ihr euch neue Choreografien ausdenkt?
Die Choreografien entwickelten sich teilweise bereits im 19. Jahrhundert und werden bis heute als Tradition weitergegeben. Wenn wir Änderungen vornehmen, dann nur um sie an unsere Bedürfnisse anzupassen. Teilweise gibt es je nach Region kleinere Variationen in der Schlagfolge. Dann einigen wir uns eben auf eine Version. Oder es gibt Tänze oder Zwischenstücke, bei denen Frauen einen Teil übernehmen würden. Das übernehmen dann bei uns die Männer. Neue Choreografien entwickeln die Vereine für gewöhnlich nur zu großen Jubiläen – und genau das gönnen wir uns zum 25. ebenfalls.

Wie erarbeitet ihr eure Choreografien?
Der Jubiläumsplatter soll für alle schaffbar sein und sich trotzdem als stolzer Balztanz präsentieren. Deshalb ist es bei der Erarbeitung wichtig, dass die Ideen unseres Vorplattlers immer wieder mit unseren Tänzern probiert werden. So kann man schnell feststellen, ob eine Schlagfolge zu komplex ist oder vielleicht zu langweilig wirkt.

© Benjamin Hahn
© Benjamin Hahn

Tanz ist für euch eine Sprache um Barrieren zu überwinden. Welche Barrieren habt ihr mit euren Tänzen bereits überwunden? Und wo ist noch Bedarf die Sprache des Tanzes zu nutzen, um Dinge zu verändern?
Wir haben sicherlich unseren Teil dazu beigetragen, die kleine Welt des bayerischen Brauchtums ein stückweit zu öffnen. Beim G7-Gipfel in Elmau im Jahr 2015 gab es vom Freistaat als Gastgeschenk für die Teilnehmenden einen Bildband, in dem ein Foto von uns abgebildet war, um die Weltoffenheit Bayerns zu zeigen. Das ist schon eine faszinierende Entwicklung. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, das wir ohne Corona auch längst angepackt hätten. 2019 haben wir den Salvatorpreis der Paulaner Brauerei gewonnen. Mit dem Geld wollen wir ein interkulturelles Tanzprojekt starten, das über den Volkstanz Barrieren und Berührungsängste zwischen deutscher Queer-Community und zugewanderten oder geflüchteten Menschen abbaut. Wir hoffen, dass wir das Projekt dann endlich im Jahr 2023 angehen können.

Inwieweit hat euch Corona beeinflusst?
Wie alle Vereine leiden auch wir unter Absagen der Proben, Absage von Auftritten und mangelndem Vereinsleben in der realen Welt. Zwar haben wir beispielsweise unsere Faschingsfeiern immerhin digital abhalten können, aber das ersetzt natürlich nicht das richtige Leben.

Wo kann man euch bewundern – gibt es baldige Auftritte?
Das alljährliche Starkbierfest vom MLC ist leider abgesagt. Das ist eigentlich unser erster Auftritt eines jeden Jahres. Wir hoffen, dass wir unseren Maitanz am 7. Mai im Wirtshaus am Bavariapark veranstalten dürfen. Ansonsten kann man uns hoffentlich schon eine Woche zuvor beim Maibaumaufstellen in Giesing sehen. Aber auch da wissen wir noch nicht, ob das dieses Jahr stattfinden kann.

Wie sieht die Zukunft der Schwuhplattler aus? Habt ihr auch Regenbogenfamilien im Verein, die die Tradition weitergeben?
Wir haben Regenbogenfamilien im Verein, aber deren Kinder sind noch viel zu jung. Ansonsten blicken wir optimistisch in die Zukunft. Es wird weitergehen und wir werden weitermachen. Schon alleine, weil uns allen das Schuhplatteln viel zu viel Spaß macht.

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