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Miss Colleen Jordan

Miss Colleen Jordan "Männer sehen mich oft als Sexobjekt, das belästigt werden will"

km - 20.01.2022 - 10:00 Uhr

Colleen Jordan ist 27 Jahre jung und sorgt auf TikTok mit ihren 17.000 Followern für mehr Sichtbarkeit und Aufklärung beim Thema LGBTI*. Als Transfrau ist sie immer wieder Opfer von Diskriminierung, Hass und Gewalt. Eine Auseinandersetzung mit einem anderen TikToker (CanBroke) aufgrund LGBTI*-feindlicher Aussagen, brachte sie in juristische Schwierigkeiten und ins Kreuzfeuer seiner Fangemeinde. Für den finanziellen Support hat sie die Community selbst aufgerufen sie zu unterstützen.

Mit SCHWULISSIMO sprach die Hessin wie es dazu kam, Diskriminierung und Gewalt gegenüber Trans*Menschen, mentale Gesundheit und vieles mehr.
 

Du hast eine Auseinandersetzung mit dem TikToker CanBroke. Wie kam es dazu?
CanBroke veröffentlichte im Oktober ein Video, in dem ein TikTok Video von mir ohne mein Wissen, Einverständnis und ohne Markierung benutzt wurde. Ich kannte ihn bis dahin nicht und bekam das Video von einer Abonnentin zugeschickt. In diesem Ausschnitt, wo nur ich zu sehen bin, äußert er sich transphob, stellt mein Geschlecht in Frage und beleidigt mich mehrmals ohne ersichtlichen Grund, droht mir und beleidigt meine Mutter. Er fügte zwar in jedes Wort einen Pieps ein, jedoch ist alles klar und deutlich zu verstehen. Trotz Aufforderung löschte er dieses Video nicht.

Bei Recherchen zu ihm entdeckte ich mehrere Videos, in denen er sich massiv homophob, transphob und frauenfeindlich äußerte. Ich war schockiert, dass so viele Firmen, die sich als LGBTI* freundlich bezeichnen, den Eistee „Suchttea“ verkaufen, den CanBroke als „seinen  Eistee“  mit seinem Namen bewirbt und Geld damit verdient. Ich war mir sicher, dass diese Firmen nicht wissen wie extrem homo- und transphob CanBroke sich im Internet geäußert hat und schnitt ein Video mit Ausschnitten von 2016, 2019 und 2021, wo er sich mehrmals homophob und transfeindlich äußerte und Homophobie verharmloste. Ich bat darum, unter dieses Videos Firmen zu markieren, um darüber aufzuklären. Viele Läden wie Rewe, Edeka und Trinkgut distanzierten sich von CanBroke und stellten den Verkauf des von ihm als „sein Eistee“ beworbenes Produkt ein.

CanBroke lud ein Video dazu hoch, indem er behauptete nicht homo- und transphob zu sein. Dabei ging er nur auf ein Video von 2016 ein, indem er sich ja nur so geäußert hat, weil die Person ihn provoziert hätte. Außerdem behauptete er, ich hätte Rufmord begangen. Er würde mich auf eine Millionen Euro verklagen und die LGBTI* Community soll mir beim Zahlen helfen. Diese Lüge wurde von Ihm gestreut, um den Anschein zu erwecken, ich hätte gelogen. Eine Täter-Opfer-Umkehr, die zur Folge hat, dass ich bis heute täglich Morddrohung, transphobe und schwulenfeindliche Hassreden, Vergewaltigungswünsche und Gewaltandrohung gegen mich und meiner Familie erhalte. Ich habe nachweislich keinen Rufmord begangen. Bis heute habe ich übrigens keine Anzeige wegen Rufmord erhalten.

Miss Colleen Jordan © privat
Miss Colleen Jordan © privat

Du hast eine GoFundMe Kampagne gestartet, wieviel Spenden brauchst du und was passiert mit dem Geld?
Durch das Abwehren der Unterlassungsklagen sind Anwaltskosten von 1.350€ entstanden. Ich bekomme momentan Krankengeld, da ich aufgrund meiner Depression derzeit nicht arbeiten gehen kann. Das stellt eine enorme finanzielle Belastung da. Sollte es zu einem Prozess kommen, muss ich die Anwaltskosten vorstrecken, um mich zu verteidigen. Laut meiner Anwältin können diese bis zu ca. 5.000€ kosten. Ich glaube, dass darauf gehofft wird, dass ich aus Angst der finanziellen Belastung und dem Druck nachgebe und zusammenbreche. Daher bin ich auf die Unterstützung der LGBTI*- Community angewiesen. Gemeinsam schaffen wir das! Sollte nach Deckung der Anwalts- und Gerichtskosten Geld übrigbleiben, wird dies vollkommen transparent an eine LGBTI*-Organisation gespendet. Mir geht es nicht darum, mich zu bereichern, sondern ein Zeichen zu setzen, dass wir für unsere Rechte einstehen. (www.gofundme.com/f/vor-gericht-gegen-lgbtq-diskriminierung)

Du setzt dich immer wieder für die Community ein und machst aufmerksam auf Diskriminierung. Wann und warum hast du dich dazu entschieden, dich aktiv einzusetzen?
Ich habe im Leben sehr viel Gewalt, Hass und Diskriminierung erfahren, weil ich eine Transfrau bin und genau für diesen Fakt habe ich mich jahrelang geschämt und vieles nicht angezeigt, da ich auch von Polizeibehörden Diskriminierung erfahren habe. 2017 habe ich eine Ausbildung angefangen, ich wurde extrem gemobbt und ausgegrenzt. Ich habe mich geschämt eine Transfrau zu sein. Ich wollte, dass niemand wusste, dass ich Trans bin und als normale Frau gesehen werden. Allerdings stellte ich fest, dass all das Mobbing, der Hass und die Gewalt, die ich erfahren habe, nie aufhören, wenn ich nicht darüber spreche. Seit 2018 setze ich mich aktiv für LGBTI*-Rechte ein. Zuerst auf Demos, CSDs und politischen Veranstaltungen, dann auf Instagram und TikTok. Ich benutze TikTok seit April 2021 und konnte viele Menschen erreichen, was mir wahnsinnig viel Hoffnung gibt, dass wir als Community das Land verändern können.

Hat dich der juristische Angriff eher verunsichert in deiner Sache, da es teuer und stressig ist oder eher bestärkt, da du gemerkt hast man muss und kann etwas dagegen machen?
Man macht sich ja immer in gewisser Weise angreifbar. Es hat mich erst mal gestresst, denn ich hatte keine Ahnung von Anwälten oder Unterlassungen. Ich wusste nur, dass ich im Recht war und habe Hilfe bekommen von einem Freund, der mir eine gute Anwältin empfohlen hat. Ab diesen Moment hatte ich keine Angst mehr. Mir war auch klar, dass alles versucht wird um mir Angst zu machen. Doch die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns das gefallen lassen müssen.

Du hast gesagt, dass du regelmäßig Morddrohungen bekommst – zeigst du diese an und gab es Erfolge?
Ich zeige jede Morddrohung an und habe hierzu auch Unterstützung von HateAid. Erfolge gab es bislang noch nicht, da wir hier in Deutschland ein zeitaufwändiges System haben. Es fällt mir auch sehr schwer immer wieder Anzeigen zu schreiben. Ich will aber auch nicht, dass diese Menschen damit durchkommen, besonders weil ich deswegen viel weinen und leiden musste, aber auch weil ich den Lerneffekt für die Täter sehe. Sie sollen durch die Anzeige verstehen, dass es falsch ist und es niemand anderem antun.

Wie oft und in welcher Form erfährst du Diskriminierung?
Diskriminierung ist leider ein Teil meines Lebens. Besonders in den ersten Jahren meiner Transition habe ich jeden Tag verbale oder körperliche Gewalt erlebt. Ich wurde bespuckt, in der Bahn beleidigt und mit Gegenständen beworfen. Leute schrien „Ihhh, das ist eine Transe!“. Unter schallendem Gelächter fragten sie mich nach meinen Genitalien, fotografierten oder filmten mich. Ich wurde von Männern begrabscht, sexuell belästigt und nach Hause verfolgt.

Bei einem Vorfall, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, hat mich 2014 ein Mann nachts im Park versucht zu vergewaltigen. Als ich an ihm und seiner Freundesgruppe vorbeiging, packte er an meine Brüste und begrapschte mich im Intimbereich, um „abzuchecken ob ich eine Frau oder ein Mann bin“. Er drückte meinen Kopf runter und wollte mich zum Oralverkehr zwingen. Er sagte, wenn ich mich wehre, dann schlägt er mich zusammen. Seine Freunde sagten ihm, er solle mich loslassen. Er erwiderte: „Ist nur ne Transe Leute, nur ne Transe“. Seine Freunde guckten sich an, drehten sich um und gingen weg, während ich um Hilfe rief.
Ich konnte mich losreißen und wollte ins Parkhaus flüchten. An der Treppe packte er mich erneut, ich befreite mich und er versuchte, mich die Treppe runter zu werfen – dann konnte ich flüchten.

Dieser Vorfall hat mich extrem traumatisiert. Ich habe es nie angezeigt, da ich mich sehr dafür geschämt habe und mit der Polizei sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Diese hatte sich einmal lustig über meinen männlichen Ausweis gemacht und ich wurde sehr aggressiv sowie ablehnend behandelt und nicht ernst genommen. Einen normalen Job damals zu finden war ohne den geänderten Ausweis kaum möglich. Mir wurde gesagt „Transen verschrecken die Kunden“. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Ausbildung. Auch heute noch erlebe ich immer wieder sexuelle Belästigung von Männern, die der Meinung sind, der einzige Grund meiner Transition sei Sex mit Männern haben zu können. So sehen sie mich nicht als Mensch, sondern als Sexobjekt, das belästigt werden will.

Was sollten Menschen, die denken, dass jede*r in Deutschland offen und frei leben kann über das Leben als Trans* Frau wissen?
Das Leben als Transfrau bedeutet viel Angst: Angst vor dem Bahnfahren, Angst laut zu sprechen, Angst vor Männergruppen, Angst, dass jemand merkt, dass du trans* bist und Angst vor Unberechenbarkeit. Jede Transfrau, die ich kenne, hat schon einen oder teilweise mehrere sexuelle Übergriffe erlebt. Transfrauen, die noch nicht optisch 100% weiblich aussehen, werden besonders oft Opfer von Gewalt. Als würde die Gesellschaft dir sagen, nur wenn du als Transfrau überdurchschnittlich hübsch bist, hast du Anerkennung und Respekt verdient. Transfrauen erleben dieselbe Art von Sexualisierung, Belästigung und Gesellschaftsdruck wie cis Frauen. Nur noch viel stärker, weil viele Menschen Transfrauen nichts als Menschen mit Würde und Rechten sehen.

Miss Colleen Jordan © privat
Miss Colleen Jordan © privat

Wie ist das Leben in Hessen für LGBTI*? Gibt es viel Toleranz oder eine starke LGBTI*-Community?
Ich bin sehr dankbar, dass wir in einem Land leben, wo es Gesetze gibt, die uns schützen und Vereine, die sich aktiv für unsere Rechte einsetzen. Dennoch hat jede queere Person, die ich kenne, Diskriminierung und/oder Gewalt erlebt. Wenn ich abends mit einer Gruppe unterwegs bin, die offen durch Symbole zeigt, dass sie Teil der LGBTI*-Community sind, kommt es fast immer zu Beleidigung, Anfeindungen und verbalen Angriffen. Viele zeigen auch diese Angriffe einfach nicht an.

Mental Health ist inzwischen auch politisch immer wieder ein Thema. Besonders die LGBTI* Community ist betroffen. Du hast offen deinen Followern kommuniziert, dass du unter Depression leidest und traumatisiert bist. Wie wichtig findest du diesen offenen Umgang und hast du das Gefühl, psychische Probleme werden in Deutschland inzwischen ernst genommen? Was sind deine Erfahrungen?
Ich hatte wahnsinnige Angst darüber zu sprechen und fühle mich auch jetzt nicht zu 100% wohl dabei, da die Stigmatisierung von seelisch Erkrankung in der Berufswelt unglaublich hoch ist. Depressionen sind für viele ein Kündigungsgrund. Oft wird einem auch das Bild einer weinerlichen, schwachen und faulen Person zugeschrieben, die sich mal „zusammenreißen soll“. Über das Thema Traumata gibt es sogar noch weniger Aufklärung in den Medien.  Obwohl es absolut offensichtlich ist, dass ich nach allem was mir passiert ist schwer traumatisiert bin, hat weder ich noch mein Umfeld das verstanden. Ich habe mich geschämt und bis zu meiner Therapie mit niemanden darüber gesprochen.

Ich würde mir wünschen offener und häufiger über dieses Thema sprechen zu können, ohne Angst haben zu müssen keinen Job mehr zu bekommen, nicht ernst genommen zu werden oder als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Ich finde schon in den Grundschulen sollte Mental Health und der Umgang mit Gefühlen und Problemen erlernt werden.
Ich werde voraussichtlich im Januar eine halbstationäre Therapie machen, um das Geschehene aufzuarbeiten. Die Morddrohungen und Anfeindungen im Internet wegen meiner Aufklärungsarbeit haben mich sehr mitgenommen.

 

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