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Papst Benedikt XVI. wird schwer belastet!

Missbrauch in der katholischen Kirche Neues Gutachten zeigt den kompletten Sittenverfall der Kirche

ms - 20.01.2022 - 13:29 Uhr

Das heute vorgestellte Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising hat die Sprengkraft, die katholische Kirche abermals in ihren Grundfesten zu erschüttern. Die Kanzlei Westphal, Spilker und Wastl stellte heute das rund 1.000 Seite dicke Gutachten vor, insgesamt geht es um mindestens 497 Geschädigte von sexuellem Missbrauch durch Kleriker zwischen 1945 und 2018. Dabei sei laut Aussage der Anwälte die Dunkelziffer mit Sicherheit deutlich höher. Besonders heikel: Auch der spätere Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, wusste von den Fällen und hat diese nach Aussagen der Anwaltskanzlei geduldet.

Anwältin Dr. Marion Westpfahl zeigte sich zu Beginn sichtlich erschüttert von der immer wieder auftretenden Verniedlichung der Missbrauchsfälle von Seiten der katholischen Kirche. Sie sprach weiter von einem „erschreckenden Phänomen der Vertuschung“. Es dürfe keine Tabuzonen mehr geben, sondern es müssten endlich unerlässliche Konsequenzen gezogen werden. Sie verwies dabei auch auf die erste Beichte von zehnjährigen Kindern vor der ersten Kommunion – in diesen Beichten werde für begangene Missetaten Reue von den Kindern verlangt. Diese Reue müsse auch die Messlatte für die Kirche insgesamt sein – gerade auch für die führenden Repräsentanten der katholischen Kirche. Westpfahl bezeichnete die Vertuschung der Kleriker als Verrat am christlichen Glauben selbst. Dass Kardinal Reinhard Marx trotz expliziter Einladung der Vorstellung des Gutachtens fernblieb, wirft erneut ein bitteres Bild auf das Reue-Verständnis der katholischen Kirche insgesamt. Auch Frau Dr. Westpfahl kritisierte das Fernbleiben des Kardinals deutlich.

 

© Avalon_Studio
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Rechtsanwalt Dr. Martin Pusch untermauerte das düstere Bild der katholischen Kirche. Auch nach der Meldepflicht der Missbrauchsfälle ab 2010 kam es zu keinem Umdenken bei den Verantwortlichen. Nur in Einzelfällen meldete das Erzbistum besonders schwere Fälle, wobei diese zumeist sowieso schon bei der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen waren. Diese Praxis habe sich laut Pusch auch nach 2010 nicht grundsätzlich geändert. Sogar staatlich verurteilte Personen wurden danach wieder als Kleriker eingesetzt. Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche sei kein Phänomen der Vergangenheit, so Pusch. Die systemischen Ursachen seien nicht beseitigt worden, ein wachsendes Problembewusstsein sei nicht vorhanden. Im Gegenteil: Bis zum heutigen Tag haben Opfer mit Hürden zu kämpfen.

Diverse Vertreter, Bischöfe und Kleriker der katholischen Kirche tragen auch persönlich Verantwortung. Besonders erwähnenswert ist dies im Fall von Joseph Ratzinger, der fünf Jahre Erzbischof von München und Freising (1977-1982) und zwischen 2005 und 2013 als Benedikt XVI. Papst der römisch-katholischen Kirche war. Die Gutachter werfen Papst Benedikt nun vor, zu lügen. Dr. Martin Pusch dazu:

„In insgesamt vier Fällen sind wir zu der Einschätzung gelangt, dass dem damaligen Erzbischof Ratzinger in Fällen sexuellen Missbrauchs ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Zwei dieser Fälle betreffen, während seiner Amtszeit begangene und staatlicherseits strafrechtlich sanktionierte Missbrauchstaten. In beiden Fällen blieben die Täter weiter in der Seelsorge tätig ohne ausdrückliche Tätigkeitsbeschränkung. Kirchenrechtliche Maßnahmen wurden nicht veranlasst. Ein Interesse an den Geschädigten und einem, insoweit möglicherweise bestehenden Fürsorgebedarf war für uns nicht erkennbar (…) In allen Fällen weist der emeritierte Papst Benedikt XVI. ein Fehlverhalten seinerseits strikt zurück. Er macht im Wesentlichen fehlende Sachverhaltskenntnis und fehlende strafrechtliche Relevanz geltend. Dabei wird von ihm Unkenntnis selbst dann noch behauptet, wenn diese mit der Aktenlage nach unserem Dafürhalten nur schwer in Einklang zu bringen ist.“

© MoreISO
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In einer Stellungnahme schob der emeritierte Papst Benedikt XVI. laut Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wastl zudem gewisse Unkenntnisse auf Gedächtnislücken zurück, an anderer Stelle wird dagegen immer wieder das herausragende Langzeit-Gedächtnis von Ratzinger hervorgehoben – immer dann, wenn es von Vorteil für den ehemaligen Papst ist.

Auch dem amtierenden Kardinal Marx werden in zwei Fällen deutliche Versäumnisse nahegelegt. Immer wieder wird klar, dass verantwortliche ehemalige Kleriker ihre massiven Fehler nicht anerkennen und in einem Fall sogar darauf verweisen, dass ihre Hauptaufgabe ja nicht die Untersuchung von Missbrauchsfällen sei, sondern „die Verkündung des Wort Gottes.“

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wastl fragte sich, wie es immer wieder passieren könnte, dass auffällige Priester nach wie vor einfach in andere Kirchengemeinde versetzt werden: „Es entsteht eine ganz eigenartige Situation. Jemand trifft eine erste Entscheidung, die falsch ist. Jemand trifft die zweite Entscheidung, die falsch ist. Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, in dem der Verantwortungsträger ungewollt zum Komplizen des Täters wird!“

Laut Wastl wurde auf die Opfer keine Rücksicht genommen und er fragte offen in die Runde, wie viele Gutachten das Land eigentlich noch brauche, um sich dieser Tatsache zu stellen. Dabei zitierte er Karl Valentin mit den Worten: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen." In der anschließenden Fragerunde erklärte Rechtsanwalt Pusch dann ergänzend, dass selbst in Fällen, die vor Gericht gelandet waren, immer wieder katholische Richter sehr milde Urteile ausgesprochen hätten und betonten, dass der jeweils beschuldigte Kleriker froh sein könne, vor einem gläubigen Richter zu stehen. 

© Lefteris_
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Bereits 2010 hatte die Anwaltskanzlei eine erste Untersuchung durchgeführt und zeigte auf, dass 159 Priester in der Erzdiözese auffällig geworden waren. Weitere Einzelheiten waren damals nicht bekanntgegeben worden und das Gutachten selbst verschwand alsbald – Details durften laut Dr. Marion Westpfahl in Absprache mit dem Erzbistum nicht veröffentlicht werden.

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