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Schwule Männer zumeist Opfer von homophober Gewalt in Berlin // © Paul Bradbury

Anti-Gewaltprojekt MANEO zieht Bilanz Für queere Menschen gehört Gewalt zum Alltag in der Hauptstadt

ms - 16.05.2022 - 13:00 Uhr

Der MANEO-Report über Gewalttaten gegenüber queeren Menschen in Berlin zeigt für 2021 einmal mehr auf, dass Hasskriminalität nach wie vor ein großes Problem für die gesamte LGBTI*-Community ist.

Insgesamt erfasste MANEO im vergangenen Jahr 731 Fälle, wobei die Beratungsstelle weniger als die Hälfte davon (321) auswerten konnte. Hintergrund dafür ist die Entscheidung der Berliner Polizei, nach 25 Jahren künftig keine anonymisierten Daten mehr zu Hassgewalt gegenüber LGBTI* mit MANEO auszutauschen. Als Begründung werden rechtliche Bedenken durch den Datenschutzbeauftragten der Generalstaatsanwaltschaft angeführt.

Den Schritt kritisiert MANEO dabei ausdrücklich: „Aus Sicht von MANEO muss im Kampf gegen LGBTI*-Feindlichkeiten gelten, was Ende 2020 im Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus beschlossen wurde, nämlich eine Institutionalisierung beziehungsweise Stärkung des fachlichen Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden. Stattdessen wird der erfolgreiche Austausch jetzt bedauerlicherweise eingeschränkt.“

 

Gerade mit Blick auf die hohe Dunkelziffer der Straftaten sicherlich ein bedauernswerter Schritt. MANEO sowie auch andere Organisationen wie der LSVD und die Berliner Polizei selbst rechnen mit einer Dunkelziffer von rund 90 Prozent bei den LGBTI*-Hassverbrechen.

„Im Bemühen, LGBTI*-feindliche Gewalt sichtbar zu machen, war deshalb Berlin im Bundesvergleich bisher einsamer Spitzenreiter gewesen. In keiner anderen Region Deutschlands konnten vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Dieser Vorteil steht jetzt aber auf der Kippe. Darum betrachten wir die neue Entwicklung mit großer Sorge, vor allem, weil wir unmittelbare Auswirkungen auf die Gewaltpräventionsarbeit in den LGBTI*-Szenebereichen in Berlin befürchten“, so MANEO weiter.

 

Mit Blick auf die ausgewerteten Daten lässt sich trotzdem festhalten: In 52 Prozent aller Fälle handelt es sich um vorurteilsmotivierte Gewalt gegenüber schwulen und bisexuellen Männern. Die meisten Vorfälle ereigneten sich dabei in den Bezirken Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln und Tiergarten.

Ob die absoluten Zahlen gefallen oder gestiegen sind, lässt sich mit Blick auf die Dunkelziffer und der nicht vorhandenen Möglichkeit des Abgleichs der Zahlen der Berliner Polizei nicht feststellen. Die weiteren Gewalttaten verteilen sich dann auf Hassverbrechen allgemein gegen die LGBTI*-Community sowie auf Übergriffe gegenüber Lesben und Transsexuellen. Weitere Fälle sind im Bereich von häuslicher sowie sexueller Gewalt zu verzeichnen. Insgesamt hat MANEO im Jahr 2021 persönlich 805 queere Personen beraten (2020: 720 Personen), alles zusammen führte die Beratungsstelle fast 2.000 Gespräche.

Zu den dominierenden Deliktformen zählen Nötigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen und Beleidigungen. MANEO zieht dazu ein bitteres Fazit: „Die Fälle weisen für viele Menschen auf eine erschreckende Alltagsrealität hin: mit Angst und Furcht zu leben, allein aufgrund dessen, schwul, lesbisch, bi-, trans*, intersexuell oder queer zu sein, gemobbt und angegriffen werden zu können.“

 

Der grundsätzliche Negativ-Trend, der Anstieg von Gewalttaten gegenüber LGBTI*-Menschen, ist dabei eine bundesweite Entwicklung, die nicht auf die queeren Metropolen wie Berlin, Köln oder Hamburg begrenzt ist. Die offiziellen Zahlen der Bundesregierung belegten eine Steigerung der Vorfälle von rund 50 Prozent auf 1.051 Fälle im Jahr 2021 – dabei dürfte auch hier die Dunkelziffer deutlich höher sein, sodass realistisch von mindestens 10.000 Fällen von Hasskriminalität gegenüber LGBTI* auszugehen ist.

 

MANEO stellt im Zuge ihrer aktuellen Statistik Forderungen auf, um die Situation von LGBTI*-Menschen in der Hauptstadt zu verbessern.

Wenig verwunderlich ist der erste Wunsch der erneute Austausch mit der Berliner Polizei: „Dies im Interesse einer effizienten Gewaltpräventionsarbeit sowie im Interesse Berlins, seinem Ruf als Regenbogenhauptstadt gerecht zu werden“, so MANEO. Auch in puncto Aufklärung und Prävention bedarf es mehr Einsatz. Die Politik und die zuständigen Institutionen in Berlin dürften nicht dabei nachlassen, den, in der Gesellschaft noch immer tiefverankerten Vorurteilen gegenüber LGBTI*-Menschen mit Aufklärung und Prävention zu begegnen. Ebenso müssten Strafverfolgungsbehörden entschlossen handeln, wenn LGBTI*-Menschen Opfer von Hassgewalt werden.

 

Wie von der Ampel-Koalition und dem Queer-Beauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann geplant, unterstützt auch MANEO die Pläne eines nationalen Aktionsplans gegen Homo- und Transfeindlichkeit. Dieser bundesweite Aktionsplan sei auch deswegen so wichtig, um Straftaten gegenüber der LGBTI*-Community klarer aufzeigen zu können und so auch Motive der Täter besser zu erkennen und schlussendlich entschieden angehen zu können. Zudem ermutigt die Berliner Opferberatung auch queere Menschen ausdrücklich, Vorfälle und Angriffe zu melden – ganz gleich, ob als Opfer oder Zeuge eines Hassverbrechens.

Im Kern, so MANEO, geht es um die Zivilcourage: „Wir appellieren an alle Berliner, die LGBTI*-feindliche Gewalt beobachten, nicht wegzusehen. Es geht nicht darum, sich in Gefahr zu bringen: Aber Zeugen können beispielsweise ihr Handy hervorholen und laut und deutlich kundtun, dass sie jetzt die Polizei verständigen. Oft hilft es den Betroffenen zu wissen, dass sie nicht allein sind. Berliner brauchen mehr Zivilcourage, auch als Reaktion auf Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus!“

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