Anna Hájková „Menschen ohne Geschichte sind Staub“
Die tschechisch-britische Historikerin Anna Hájková kommt aus einer Historikerfamilie und hat ihr Leben der Geschichte gewidmet. Sie sprach mit SCHWULISSIMO über ihre neuesten Forschungen.
Sie haben sich besonders mit dem Thema der Homophobie und Sexualität der Lagergesellschaft zur Zeit des Holocaust beschäftigt. Was war runtergebrochen das Forschungsziel?
Ich beschäftige mich mit der queeren Geschichte des Holocaust. Homophobie ist ein Teil davon. Und bei der queeren Geschichte des Holocaust bin ich die erste, die sich mit dem Thema beschäftigt, anders als bei Homophobie. Für mich ist die spannendste Frage: „Was erzählt uns queeres Verlangen, also alle nicht heteronormativen Lebensformen, über die Gesellschaft der Opfer im Holocaust“. Meine zweite wichtige Frage dreht sich um die Erkenntnisse, was uns der Holocaust über die queere Geschichte sagen kann.
Vor ein paar Jahren haben Sie auch einen Vortrag über „Kranksein in Theresienstadt, nachdenken über Medizingeschichte im Holocaust“ gehalten. Diese Neugier zum Holocaust, ist die rein wissenschaftlich oder liegt da auch eine emotionale Motivation inne?
Ich bin Holocausthistorikerin, schon mein ganzes Leben - seit 20 Jahren. Ich habe auch über Theresienstadt promoviert. Es hat mich schon immer fasziniert. Die Gesellschaft in extremis. Ich finde, das kann man anhand des Holocaust sehr gut erforschen. Ich finde aber auch, Holocaustgeschichte ist nicht eine Geschichte wie jede andere. Ich merke, dass es mich auch nach 20 Jahren immer noch sehr bewegt. Außerdem hat man eine ethische Pflicht und Verantwortung sich dazu zu äußern, was gerade passiert. In Deutschland haben Sie Sorge mit der AfD, die mit einem Nazi – also mit Höcke – der in den Thüringer Landtag als zweitstärkste Kraft gezogen ist. Auch in Britannien ist der Rassismus seit dem Brexit deutlich angestiegen. Es ist kein deutsches Problem, es ist ein weltweites. Ich habe von Anfang an meine Arbeit so gestaltet, dass ich nicht nur als Akademikerin arbeite, sondern versuche, eine möglichst breite Leserschaft zu erreichen.
Bei einem vergangenen und noch dazu so intimen Thema, wie läuft da die Recherche ab?
Speziell bei der queere Geschichte des Holocaust muss ich ganz anders herangehen, als bei meiner vorherigen Arbeit über Theresienstadt, wo ich alle Akten durchlas. Hier baue ich auf kleine Spuren, denn aufgrund der Homophobie und Stigmatisierung ist die Geschichte weites gehend aus dem Archiv verschwunden. Gerade bei den Opfern eines Genozids ist es besonders brutal, wenn sie so aus der Geschichte verschwinden. Menschen ohne Geschichte sind Staub.
Wenn ich Spuren finde, versuche ich die Namen zu eruieren und suche, ob sich weitere personenbezogene Daten finden lassen. Finde ich Verwandte? Wollen sie sich interviewen lassen? Dabei ist es wichtig, dass diese Forschungen ethisch geleitet werden. Meine Interviewpartner müssen genau informiert werden und mir Ihre Zustimmung geben, ob sie mit mir reden wollen oder nicht. Ich leite sie nicht in die Irre. Zusätzlich arbeite ich mit Entschädigungs- und Wiedergutmachungsakten. Ich arbeite oft mit den Leuten von Stolpersteinen, gerade in Hamburg und Berlin, zusammen.
Es gab auch Gegenwind. Vorwürfe, dass ich aufgrund meiner „falschen“ sexuellen Orientierung schlechte Forschung betreiben würde oder Anschriften wie „du dreckige Lesbe“ oder Todesdrohungen sind leider Äußerungen, mit denen ich mich auch auseinandersetzen muss.
Daran sieht man nochmal wie wichtig es ist sich mit Homophobie zu beschäftigen. Sie haben eben die AfD angesprochen, die bei den Wahlen gut abgeräumt hat. Homophobie und Antisemitismus könnten aktueller also nicht sein. Wie beziehen sie die Resultate Ihrer Forschungen auf die heutige Zeit?
Ich finde LGBTI*-Rechte sind nicht die Kirsche auf der Torte. Das ist kein Extra. LGBTI*-Rechte sind wie ein Kanarienvogel in der Mine. Wenn diese Rechte bedroht sind oder ausgehen, zeigen sie, wie es um unsere Gesellschaft steht. Es ist sicher kein Zufall, dass die AfD und Teile der CDU sich über Teile der Geschlechterformen und Gendersternchen sowie Intersexreformen und LGBTI* im Allgemeinen lustig machen. In Deutschland sind Operationen an Intersexuellen noch immer ein großes Thema, mit viel zu wenig Aufmerksamkeit.
Auch die Entschädigungen der Opfer des §175 dauern wahnsinnig lange. Ich finde es schade, dass es in den letzten ein bis zwei Jahren ziemlich kritische – oft schwule – Stimmen gab, die zum Beispiel die Gender-Theorie angegriffen haben. Sie verstehen nicht, dass wir alle auf deren Schultern stehen. Es ist schade, dass es so rechtslastige populistische Stimmen auch aus der LGBTI*-Ecke gibt. Natürlich gibt es auch immer Leute, die schwierige politische Ansichten haben. Aber meine Antwort wäre es, etwas aus seinem Schatten zu wachsen. Also etwas kultivierter und toleranter zu sein.