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Johannes Breuer, stellvertretender Referatsleiter bei der BZgA, bestätigt, dass Klischees beispielsweise über die „Heilung von Homosexuellen“ noch immer in der Gesellschaft verankert sind.

Heilung von Homosexualität?! Noch immer gibt es in Deutschland unseriöse Therapieangebote!

ms - 28.07.2023 - 17:00 Uhr

Seit Juni 2020 sind die sogenannten Konversionstherapien in Deutschland für Minderjährige verboten – dahinter verbergen sich meist obskure bis stark fragwürdige Methoden, um Menschen von Homosexualität zu „heilen“. Die Bandbreite reicht von Gebeten bis hin zu Elektroschocktherapien, gerne noch immer angeboten auch von christlichen Verbänden. Die ehemalige schwarz-rote Bundesregierung konnte sich dabei nur zu einem Verbot mit Einschränkungen durchringen, in Nachbarländern wie Frankreich sind die unseriösen Verfahren gänzlich verboten. Zuletzt setzte Island vor wenigen Wochen ebenso ein Komplettverbot um, das bei Zuwiderhandlung hohe Haftstrafen vorsieht.

Gefahr gebannt, sozusagen? Mitnichten! Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erklärte jetzt, dass Konversionstherapien auch drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Schutzgesetzes in Deutschland immer noch ein Thema sind, dazu wurden über 3.500 deutsche LGBTI*-Menschen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren befragt. Das erschreckende Ergebnis: Jedem dritten Homosexuellen wird auch heute noch vorgeschlagen, er möge seine sexuelle Orientierung ändern (29%) oder unterdrücken (32%). Die tollen Ratschläge kommen von den eigenen Eltern (47%), den Freunden (30%), anderen Familienangehörigen (28%) oder auch Lehrern (10%). Interviewt wurden auch rund 600 Psychotherapeuten, 14 Prozent von ihnen sprachen sich ebenso noch immer für Konversionstherapien aus. Unter den Seelsorgern befürworteten dies sogar 32 Prozent. Wohlgemerkt in einer Zeit, in der die Weltgesundheitsorganisation jene „Heilungstherapien“ mit Folter gleichsetzt, die teils lebenslange Schäden bei den Opfern zur Folge haben. Aber wie können Konversionstherapien auch heute noch in der Mitte der Gesellschaft verankert sein? SCHWULISSIMO fragte nach bei Dr. Johannes Breuer, stellvertretender Referatsleiter für „Sexuelle Gesundheit, Prävention von HIV und anderen STI“ bei der BZgA.  

Als ich die jüngsten Daten gelesen habe, war ich erst einmal erstaunt und geschockt, ich hatte schlicht nicht angenommen, dass Konversionstherapien noch immer ein so großes Thema in Deutschland sind, drei Jahre nach dem Verbot. Wie haben Sie diese Daten aufgenommen?

Daten, wie sie mit „Unheilbar queer?“ erhoben wurden, und Daten anderer Erhebungen zeigen eindrücklich, dass Konversionsbehandlungen nach wie vor ein Thema sind – auch in Deutschland. Vor dem Hintergrund beispielsweise der Zahlen der EU-Menschenrechtskommissarin, wonach fünf Prozent der queeren Community bereits Konversionsbehandlungen angeboten wurden, war die Tendenz in etwa absehbar.

© BZgA

Jedem dritten Homosexuellen wurde vorgeschlagen, seine „Andersartigkeit“ doch einfach zu unterdrücken, bei nicht-binären sowie Trans-Menschen sind die Fallzahlen noch höher. In beiden Bereichen kamen diese Vorschläge zumeist von der eigenen Familie. Sollten wir hier nicht schon viel weiter sein?

Ob bei der Geschlechtsidentität oder bei der sexuellen Orientierung – gerade das persönliche Umfeld und die Familie nimmt für sehr viele Menschen eine wichtige Rolle ein. Familie ist oft ein zentraler Bezugspunkt und auch eine der ersten Anlaufstellen, wenn es um das Coming-out geht. Dass Eltern oder auch andere Familienangehörige hier eine Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität vorschlagen, mag von einer Verunsicherung herrühren, etwa durch fehlendes Wissen oder durch Vorurteile, die Sorgen um die Zukunft des eigenen Kindes schüren. Zum Teil spielen möglicherweise auch andere Beweggründe eine Rolle, etwa die eigene Einstellung gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt oder auch Befürchtungen, die die Wahrnehmung der Familie nach außen oder der elterlichen Kompetenzen in der Erziehung betreffen. Das rechtfertigt jedoch nicht derartige Reaktionen seitens der Familie. Vielmehr zeigt es, dass eine sachgerechte Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt weiterhin wichtig und notwendig ist, auch wenn es um Eltern und andere Familienangehörige geht. Die BZgA hat hierzu Materialien entwickelt, unter anderem einen Ratgeber für Eltern, der eine Hilfestellung bei der Akzeptanz der sexuellen Orientierung des eigenen Kindes bietet.

Ebenso schockierend finde ich, dass 30 Prozent der Befragten solche Vorschläge auch im Freundeskreis gehört haben. Ist das nicht ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft im Jahr 2023?

Auch im Freundeskreis mag der Vorschlag zur Unterdrückung der sexuellen Orientierung aus Verunsicherung, etwa über ein Coming-out, herrühren. Zugleich spielen sicherlich auch andere Aspekte eine Rolle. Denn statt sich mit den eigenen Werten zu beschäftigen, sich auch kritisch mit der eigenen Haltung gegenüber sexueller Vielfalt auseinanderzusetzen, scheint es vermeintlich naheliegender, das Gegenüber in Frage zu stellen. Man mag sich vielleicht nach außen als akzeptierend und offen darstellen, sobald die sexuelle Orientierung aber im privaten Umfeld, im Freundeskreis, eine Rolle spielt, kann diese Offenheit an Grenzen stoßen. Von daher braucht es hier ebenfalls mehr Aufklärung und Kommunikation, um Verunsicherungen abzubauen und die Annahme, dass man die sexuelle Orientierung unterdrücken oder gar ändern könnte, zu korrigieren.

Klischees und Stereotype in unter-
schiedlicher Weise sind – trotz wichtiger
Bemühungen, diesen entgegenzuwirken –
nach wie vor gesellschaftlich präsent.

Auch erlebte jeder zehnte Befragte solche Ratschläge seitens der eigenen Lehrer. Es bedarf also auch hier einer Bildungsoffensive im Lehrkraftbereich. Glauben Sie, dass der geplante Aktionsplan „Queer leben“ hier einen Wechsel im Umdenken herbeiführen kann oder welche Maßnahmen würden Sie sich diesbezüglich im Bildungssektor wünschen?

Lehrkräfte und auch andere Personen, die in der Schule tätig sind, wie Schulsozialarbeitende, benötigen sehr unterschiedliche Angebote. Hier geht es sicherlich um Ressourcen und um Arbeitsbelastungen im Allgemeinen, aber auch um konkrete Angebote zur Fortbildung und um Medien, die wichtige Hintergründe zusammenfassen und auch im Alltag oder direkt im Unterricht nutzbar sind. Ob der Aktionsplan „Queer leben“ nachhaltig Verbesserungen schafft, wird sich mit dessen Umsetzung zeigen – zum jetzigen Zeitpunkt wird jedoch meiner Meinung nach bereits deutlich, dass er sehr ambitioniert ist und die Wichtigkeit verschiedener Themen, zu denen auch explizit der Schutz vor Konversionsbehandlungen gehört, hervorhebt.

Oftmals verstecken Anbieter solcher Therapien diese hinter „pseudo-wissenschaftlichen Begriffen“. Wie sehen diese genau aus? Und bei welchen Angeboten sollten homosexuelle und queere Menschen besonders vorsichtig sein?

Für die Umschreibung von Konversionsbehandlungen werden viele, vermeintlich neutralen Begriffe verwendet, wie „Beratungen zu Konflikten in der sexuellen Orientierung oder in der Geschlechtsidentität“, „Reparative Therapien“ oder „Hilfe bei ichdystoner Sexualorientierung“. Teils verstecken sich Konversionsbehandlungen auch in Angeboten der Seelsorge, des Coachings oder der Beratung, ohne spezielle Bezeichnung dafür. Wenn jemand ein Angebot macht, das sich nicht richtig anfühlt oder wenn man bereits in einer „Behandlung“ ist, aber Zweifel aufkommen, sollten diese Zweifel ernstgenommen werden. Am besten geht man erstmal auf Abstand und spricht darüber mit Personen, die nicht mit dem Angebot in Verbindung stehen oder es empfohlen haben.

Man will doch nur helfen? Auch Psychotherapeuten wenden bis heute in Deutschland „Homo-Heilungen“ an. © iStock / SolStock

Ich denke mir, dass Jugendliche und junge erwachsene Menschen in besonderer Weise gefährdet sind, gerade in jenen Jahren stellen sich die meisten von ihnen Fragen rund um die eigene Sexualität. Was würden Sie jungen Menschen raten?

Jugendliche und junge Erwachsene sind in besonderer Weise von Konversionsbehandlungen gefährdet. Das hängt damit zusammen, dass man erst im Laufe der Entwicklung lernt, sich selbst zu akzeptieren und die eigenen Wünsche sowie Erwartungen selbstbewusst – auch nach außen – zu vertreten. Sich selbst so anzunehmen, wie man ist, kann durchaus schwierig sein, insbesondere dann, wenn man von außen mit vermeintlichen Hilfsangeboten, wie Konversionsbehandlungen, konfrontiert ist. Um sich zu schützen, gibt es unterschiedliche Wege. Auf der einen Seiten existieren verschiedene Hilfsangebote, die Unterstützung bieten, wie die Telefon- und Onlineberatung LIEBESLEBEN und Personen im persönlichen Umfeld, Lehrkräfte und Ansprechpersonen in Schulen, Jugendeinrichtungen oder bei Antidiskriminierungsprojekten. In akuten Situationen, zum Beispiel wenn jemand zur Behandlung gezwungen wird, können auch Polizei oder Jugendamt helfen. Auf der anderen Seite geht es darum, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und zu lernen, zu sich selbst zu stehen. Oft hilft es hier, sich erstmal mit sich selbst auseinanderzusetzen. Was sind die ganz eigenen Wünsche und Bedürfnisse? Was mag man an sich und worauf ist man stolz? Wer sich darauf konzentriert, kann sich auch bewusstwerden, was andere erwarten und was man selbst davon hält. Wichtig ist außerdem, sich Freiräume zu schaffen, in denen man sich als aktiv und handlungsfähig erlebt. Das schafft Vertrauen und Zuversicht und stärkt damit die Selbstakzeptanz. Hier können zum Beispiel Freizeitangebote oder Jugendgruppen für queere Jugendliche unterstützen.

Sich selbst so anzunehmen, wie man
ist, kann durchaus schwierig sein,
insbesondere dann, wenn man von außen
mit vermeintlichen Hilfsangeboten, wie
Konversionsbehandlungen, konfrontiert ist.

„Es gibt Umstände, unter denen eine Änderung von homosexuellen Gefühlen gerechtfertigt ist“ – dieser Aussage stimmten 14 Prozent der Psychotherapeuten und sogar 32 Prozent der Seelsorger zu. Die Mehrheit sieht das glücklicherweise zwar anders, aber trotzdem die Frage: Im Bereich Seelsorge mag sich diese hohe Zahl auch durch religiöse Richtlinien erklären lassen, doch wie sieht es bei Psychotherapeuten aus? Wie können wir bei solchen Fachkräften ein Umdenken erreichen?

Fachkräfte, ob in psychotherapeutischen Kontexten oder auch in der Seelsorge, benötigen Wissen um das Verbot und die Schädlichkeit von Konversionsbehandlungen. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen ist erst vor drei Jahren in Kraft getreten. Was das in der Praxis heißt und dass es von Fachgesellschaften unterstützt wird und bereits in aktuellen Leitlinien enthalten ist, ist noch nicht überall bekannt. Auch die Unethik und die schädlichen Folgen von Konversionsbehandlungen müssen mehr in den Fokus rücken, vor allem bei Fachkräften.

Beinahe jeder vierte Seelsorger (23%) hat Kenntnis von Konversionstherapien. Finden bis heute in christlichen Einrichtungen diese „Heilungstherapien“ statt? Und wo sonst noch?

Konversionsbehandlungen finden in sehr unterschiedlichen Kontexten statt. Sie können im Rahmen von angeblich neutralen Freizeit-, Aufklärungs- und Fortbildungsangeboten geschehen, im Bereich der Psychotherapie oder des Coachings, aber auch in medizinischen Settings. Und sie können im Bereich der Seelsorge und in religiösen Gemeinschaften auftreten. Die Vielzahl an Settings bedingt sich durch die jeweilige Motivation, zum Beispiel sind hier Pathologisierungen wirksam oder etwa moralische oder ethische Vorstellungen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Konversionsbehandlungen im Kontext religiöser Gemeinden und Gemeinschaften nach wie vor stattfinden. Wenngleich Ambivalenzen in der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bestehen, muss die Ablehnung von Konversionsbehandlungen noch stärker in der Praxis, in Angeboten zur Seelsorge präsent gemacht werden. Dazu entwickelt die BZgA Medien, die speziell für Fachkräfte in der Seelsorge eine praxisnahe Hilfestellung bieten und Wissen zum Schutz vor Konversionsbehandlungen auch in religiösen Settings vermitteln.

© BZgA

Als vermeintlich gute Ratschläge, um die sexuelle Orientierung zu unterdrücken, wurde in jedem zweiten Fall dargelegt, man möge als Betroffener eben etwas typisch Männliches (Fußball) oder typisch Weibliches (Shoppen) machen. Seit Jahrzehnten kämpfen Feministinnen und schwul-lesbische Organisationen dafür, dass die Gesellschaft diese klischeehaften Denkweisen hinter sich lässt. Bei vielen Deutschen scheint das noch immer nicht angekommen zu sein, oder?

Auf der einen Seite sind solche Klischeevorstellungen stark vereinfacht und schädlich. Fälschlicherweise werden hierbei unterschiedliche Dinge, nämlich das Geschlecht und die sexuelle Orientierung, vermischt. Sie erfüllen zwar das Bedürfnis, die Welt zu sortieren und sie dadurch zu verstehen. Dieses Bedürfnis kann jedoch nicht durch Klischees oder Stereotype erfüllt werden, sondern benötigt Einsicht, die man erst mit Erfahrungen erhält. Auf der anderen Seite werden Klischees und Stereotype in unterschiedlicher Weise vermittelt und sind – trotz wichtiger Bemühungen, diesen entgegenzuwirken – nach wie vor gesellschaftlich präsent, vom „Vater-Mutter-Kind“-Spielen im Kindergarten über Filme und Geschichten bis hin zur alltäglichen Sprache. Klischees zu korrigieren und Stereotype richtigzustellen, braucht Zeit und kann neben öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen oft am besten durch persönliche Kontakte stattfinden.

Die Folgen solcher Pseudotherapien sind
Ängste, Isolation und Depressionen, die
bis zu Suizid führen können.

Manch ein Ratschlag mag vielleicht auch mit den besten Absichten erfolgt sein, geboren aus Unwissenheit. Was würden Sie Menschen raten, wie diese bestenfalls damit umgehen sollten, wenn eine Person vor ihnen seine Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung offenbart und diese anfangs damit vielleicht noch Berührungsängste haben?

Wenn eine Person über ihre Geschlechtsidentität oder ihre sexuelle Orientierung spricht, dann ist das oft ein großer Vertrauensbeweis, gerade wenn es sich um ein Coming-out handelt. Das als solches anzuerkennen, als einen Weg, dem Gegenüber zu zeigen, dass es wichtig ist und man ihm vertraut, kann auch bei „Berührungsängsten“ helfen und motiviert unter Umständen sogar dazu, sich mit den Themen zu beschäftigen. Denn sich mit der vielleicht neuen Situation auseinanderzusetzen und sich zu informieren, ist notwendig, um Sorgen und Ängste abzubauen und um dann eben nicht aus Unwissen falsche Ratschläge zu geben.

Nun reicht die Palette dessen, was bei Konversionstherapien gemacht wird, von gemeinsamen Beten über therapeutische Diskurse bis hin zu Elektroschocktherapien. Aus Ihren Erfahrungswerten heraus, wenn wir in Deutschland von Konversionstherapien im Jahr 2023 sprechen, wie sehen diese dann zumeist aus?

Das ist sehr schwierig einzuschätzen, da von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist und es eine Vielfalt von Anbietenden sogenannter Konversionsbehandlungen gibt. Sie reichen von vermeintlich seriösen, psychologischen Praxen bis hin zu religiös motivierten Gruppen. Außerdem bedienen sich Anbietende verschiedener Verschleierungsstrategien, die teils durch internationale Verflechtungen gestützt werden. Daneben ist aber auch das Thema selbst mit gesellschaftlichen Tabuisierungen verbunden, die erheblichen Druck auf Betroffene ausüben können und zu den traumatisierenden Erfahrungen solcher Behandlungsversuche hinzutreten. Aus den bisherigen Erhebungen lässt sich ableiten, dass Konversionsbehandlungen oft weniger direkt stattfinden – statt der Elektroschocktherapie ist es im medizinischen Kontext eher das Aufschieben einer Transition, statt der Exorzismen ist es im religiösen Kontext eher das gemeinsame Gebet oder der Austausch in Gruppen. Das macht das Phänomen nicht weniger gefährlich, sondern perfider.

 Wäre es nicht viel einfacher, nicht schwul zu sein? – Gerade Jugendliche sind bis heute besonders anfällig für unseriöse Homo-Heilungsangebote. © iStock / Brian Niles

Laien mögen einwerfen, eine Konversionstherapie sei doch gar nicht so schlimm. Menschen, die eine solche Maßnahme aber tatsächlich durchmachen mussten, sprechen von sich selbst oft als Opfer und berichten von teils lebenslangen Schäden. Auf den Punkt gebracht für jedermann: Warum sind aus Ihrer Sicht Konversionstherapien falsch und gefährlich?

Konversionsbehandlungen gefährden massiv die Gesundheit auf unterschiedlichen Ebenen: Die Folgen solcher Pseudotherapien sind Ängste, Isolation und Depressionen, die bis zu Suizid führen können. Außerdem stellen Konversionsbehandlungen einen erheblichen Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung dar. Die schädlichen Effekte von Konversionsbehandlungen gelten sowohl für Betroffene als auch für die Auswirkungen der gesellschaftlichen Stigmatisierung und Diskriminierung, die damit verbunden sind. Denn es wird eine Behandelbarkeit und Behandlungsbedürftigkeit suggeriert, auch wenn diese nicht mit internationalen Standards, ethischen Vorgaben und wissenschaftlichen Studien vereinbar ist.

Verbände wie beispielsweise der LSVD kritisieren immer wieder, dass das derzeitige Verbot von Konversionstherapien in Deutschland nicht weit genug geht, es schützt in erster Linie nur Minderjährige. Besteht hier noch eine Lücke im Gesetz?

Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen ist in der derzeitigen Fassung sehr umfassend. Es verbietet das Werben, Anbieten und Vermitteln für alle Altersgruppen und die Durchführung bei Personen unter 18 Jahren sowie bei Personen, deren Einwilligung auf einem Willensmangel beruht. Gerade Letzteres, der Willensmangel, ist juristisch äußerst komplex – hier greift das Verbot jedoch unter Umständen schon dann, wenn man über den Nutzen und die Gefahren von Konversionsbehandlung getäuscht wurde. In der Praxis ist die Durchführung von Konversionsbehandlungen daher meist auch an Erwachsenen verboten, selbst wenn es nicht diese Klarheit direkt im Gesetzestext hat. Im Ergebnis kam man bislang zu dem Schluss, dass Erwachsene in Konversionsbehandlungen einwilligen können, wenn eine umfassende Aufklärung vor der „Behandlung“ erfolgt ist. An diese Aufklärung werden besonders hohe Anforderungen gestellt. Die Einwilligenden müssen sich unter anderem emotional und kognitiv im Klaren darüber sein, dass statt der „Heilung“ die konkrete Gefahr nachhaltiger psychischer Schäden besteht. Die Einwilligung ist auch nur dann wirksam, wenn sie freiwillig erfolgt ist – also nicht, wenn Nötigung oder Zwang, etwa durch die Familie, vorlag. Zudem ist zu beachten, dass Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung – die Teil von Konversionsbehandlungen sein können – ohnehin unabhängig vom Alter verboten sind.

Man mag sich vielleicht nach außen
als akzeptierend und offen darstellen,
sobald die sexuelle Orientierung aber
im privaten Umfeld, im Freundeskreis,
eine Rolle spielt, kann diese Offenheit
an Grenzen stoßen.

Ganz generell, was braucht es grundsätzlich, damit zukünftig nicht mehr so viele Menschen in ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in Frage gestellt werden?

Es bedarf Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, über die Wichtigkeit gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz und über die Gefahren von Konversionsbehandlungen. Und es bedarf der Offenheit und der Bereitschaft, sich mit der Lebenswirklichkeit und den Belangen queerer Menschen zu beschäftigen, diese anzuerkennen und ernst zu nehmen. Die Idee, dass die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität unterdrückt oder gar geändert werden kann, ist nicht nur falsch, sie ist auch gesundheitsschädlich. Hier muss Wissen vermittelt werden – und das auf unterschiedlichsten Ebenen, bei Eltern, bei Fachkräften, in der Schule, in den Religionsgemeinschaften, in lokalen Strukturen, wie dem öffentliche Gesundheitsdienst, der Polizei und Jugendämtern, aber auch bei Jugendlichen und in der Gesamtbevölkerung. Außerdem bedarf es im Alltag der Begegnung und des Austausches, um nicht nur das abstrakte Wissen zu haben, sondern auch die Wichtigkeit und die Belastungen queerer Menschen durch eine solche Idee nachvollziehen zu können. Nur so können sich Einstellungen nachhaltig verändern, sodass queere Menschen nicht mehr in Frage gestellt werden.

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