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Feministinnen fordern Stellungnahme zur Self-ID

Brief an alle Abgeordnete Selbstbestimmungsgesetz erneut in der Kritik

ms - 15.09.2022 - 11:00 Uhr

Nachdem zuletzt die Bitte um eine sachlich-fundierte Diskussion über das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen Mitte Oktober für hitzige und teils beleidigende Diskussionen innerhalb der eigenen Partei sorgte, fordert nun die Redaktion der Frauenzeitschrift EMMA ein klares Statement von allen Bundestagsabgeordneten im Deutschen Bundestag. Die Redaktion schickte einen Brief an alle Politiker – eine Stellungnahme ist bisher allerdings ausgeblieben.

In dem Schreiben erklären die Feministinnen, dass das neue geplante Gesetz das Leben von Zehntausenden junger Menschen schwer überschatten könnte und es zudem die Kategorie “Geschlecht“ hinfällig machen würde. Dabei stellt die EMMA allerdings auch klar: „Auch aus unserer Sicht ist es Zeit, das bestehende Gesetz für transsexuelle Menschen zu reformieren. Also Menschen, bei denen eine tatsächliche und unveränderliche Transsexualität im medizinischen Sinne vorliegt. Bei diesem neuen Gesetz aber geht es um mehr: nämlich auch um Zehntausende junger Menschen, die in ihrer Pubertät im Gendertrouble, in einer Geschlechtsidentitätsverwirrung sind und die Lösung dafür in einem ´Geschlechtswechsel´ sehen. Ihre Zahl hat sich, nicht zuletzt dank der Präsenz des Themas in Internet und Medien, in den vergangenen Jahren in der ganzen westlichen Welt vervierzigfacht! Für die Motive gibt es Gründe, wie die immer noch starren Geschlechterrollen, die vor allem den jungen Mädchen zu schaffen machen. Zehnmal so viele Mädchen wie Jungen kommen heute mit einem ´Transitionswunsch´ in die Gender-Ambulanzen. Diesen Mädchen wird mit so einem Gesetz nun angeboten, einfach das Geschlecht ´zu wechseln´, statt nach den tieferen Gründen für ihr Unbehagen zu fragen, statt zu sagen: Du bist ein freier Mensch, egal welches biologische Geschlecht du hast.“

Die kritischen Stimmen rund um Herausgeberin Alice Schwarzer sorgen dabei seit Monaten auch für immer tiefere Gräben zwischen den Fronten – Trans-Aktivisten werfen Menschen wie Schwarzer pauschal vor, transphob und menschenfeindlich zu sein. Ähnliche Äußerungen musste sich erst im August auch die Grünen-Delegierte Eva Müller anhören, nachdem sie den bereits erwähnten Antrag für eine “ergebnisoffene Diskussion ohne Diffamierung“ gestellt hatte. Sie und ihre 69 Unterstützer, allesamt Delegierte von Bündnis90 / Die Grünen mussten daraufhin Nazivergleiche über sich ergehen lassen und wurden als “xenophobe Rassisten mit Rechtsdrall“ beschimpft. Im Zuge des internen Streits in der Partei war auch Herausgeberin Schwarzer politisch an den rechten Rand positioniert worden.

Die Kernkritik der EMMA-Redaktion ist dabei nun die Gesetzidee, dass künftig bereits Jugendliche ab 14 Jahren ihren Geschlechtseintrag ändern lassen sollen können, gegebenenfalls auch ohne Zustimmung der Eltern und ohne Fragen nach den Motiven des Geschlechterwechsel-Wunsches durch Psychologen und Ärzte. „Dabei können diesem Wunsch auch andere Ursachen wie Autismus, sexuelle Traumatisierung oder internalisierte Homophobie zugrunde liegen. Die Folge sind sehr häufig Pubertätsblocker und Hormongaben, die lebenslang erfolgen müssen und psychisch wie physisch irreversible Folgen haben. Solche Hormonbehandlungen sind in Deutschland bereits jetzt bei Jugendlichen zugelassen. Der letzte Schritt wären Brustabnahmen beziehungsweise Genitalverstümmelungen. Wenn so ein junger Mensch dann zwei, drei Jahre später entdeckt, dass sein Unbehagen eines an der Geschlechterrolle war und nicht an seinem biologischen Geschlecht – ja, dann ist es zu spät.“

Dabei blicken die Feministinnen auch in andere Länder, in denen die Vergabe von Pubertätsblockern nach massiven Bedenken inzwischen wieder stark eingeschränkt oder rückgängig gemacht worden ist – bis heute gibt es keine Langzeitstudien zu den tatsächlichen, dauerhaften Folgen, erste Studien deuten allerdings auf massive Schädigungen beispielsweise beim Knochenbau oder der Libido eines Menschen hin. „In anderen Ländern hat man das schon verstanden. Großbritannien hat 2021 so ein Gesetzesprojekt gestoppt und gerade die eigentlich fortschrittliche Jugendpsychiatrie Tavistock geschlossen, weil man dort bei Tausenden Jugendlichen fraglos Hormonbehandlungen und Operationen durchgeführt hat. Sowohl in Großbritannien wie in den USA klagen jetzt Tausende von Betroffenen gegen die fahrlässigen irreversiblen Behandlungen. Auch Schweden, Finnland und Australien rudern gerade hart zurück. Darum bitten wir Sie: Denken Sie diese bisher von unserer Gesellschaft noch gar nicht diskutierte Problematik zu Ende. Verabschieden Sie auf keinen Fall ein Gesetz, das den Geschlechterwechsel früher als mit 18 Jahren – also NACH der Pubertät – erlaubt und auch nicht unhinterfragt“, so die eindringliche Forderung der EMMA-Redaktion abschließend.

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