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Erster CSD inmitten des Krieges

Euro-Pride in Belgrad Verfahren gegen serbische Regierung eingeleitet

ms - 19.09.2022 - 11:00 Uhr

Die gute Nachricht vorweg: Der Euro-Pride 2022 im serbischen Belgrad hat stattgefunden – trotz des zuletzt explizit ausgesprochenen Verbots der ersten paneuropäischen Pride-Veranstaltung in Südosteuropa konnten rund 1.000 Teilnehmer in einer stark verkürzten Route einige hundert Meter für die Rechte von LGBTI*-Menschen demonstrieren. Gesichert werden musste der Pride von rund 6.000 serbischen Polizisten, trotzdem kam es mehrfach zu gewalttätigen Ausschreitungen mit konservativen Gegendemonstranten, zumeist aufgeheizt durch die serbisch-orthodoxe Kirche, die den Pride als “Schande“ für Belgrad bezeichnete und indirekt dazu aufgerufen hatte, zu den Waffen zu greifen.

Unter starkem Regen marschierten die Teilnehmer, darunter auch zahlreiche politische Vertreter aus Europa wie beispielsweise der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, den abgesicherten Korridor entlang. Mehrfach versuchten dabei vor allem Rechtsextreme und ultra-klerikale Gegendemonstranten die Gewalt eskalieren zu lassen, sodass zehn Polizisten verletzt wurden. Insgesamt nahm die serbische Polizei rund 60 Personen fest, wobei die Zahl der Gegendemonstranten insgesamt in der Minderheit war. Eine Gruppe von LGBTI*-Aktivisten aus Albanien sowie zwei lesbische Journalistinnen des Tagesspiegels wurden von einer Gruppe von rechten Hooligans angegriffen und verletzt. Zwei Aktivisten wurden vorsorglich ins Krankenhaus gebracht. Die lesbische Regierungschefin Ana Brnabic lobte trotzdem die Sicherheitsbehörden und betonte, dass sie stolz und glücklich darüber sei, dass Schlimmeres verhindert hatte werden können.

Im Vorfeld des Prides war es zu heftigen Debatten gekommen – die serbische Regierung hatte den Pride offiziell zunächst abgesagt und schlussendlich verbieten lassen. Die Veranstalter hatten indes bis zuletzt mit Unterstützung von zahlreichen Vertretern der EU erklärt, am Pride festhalten zu wollen – auch die Androhung, Demonstranten in diesem Fall festnehmen zu lassen, hatte seine Wirkung verfehlt. Schlussendlich knickte die Regierung kurz vor dem Marsch ein und erlaubte unter strengem Polizeischutz die kurze Demonstrationsstrecke. Offiziell wurde von Seiten der Regierung allerdings erklärt, man habe das Verbot durchgesetzt und die rund 1.000 Demonstranten nur "zu einem Konzert eskortiert". Mit dabei war auch Rémy Bonny, der Direktor der europäischen LGBTI*-Rechtsorganisation Forbidden Colours: „Der Schaden ist trotzdem bereits angerichtet. LGBTI*-Personen haben in den letzten Wochen hören müssen, dass sie Bürger zweiter Klasse sind. Die serbische Regierung hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb werden wir ab heute ein Verfahren gegen die serbischen Regierungsbeamten einleiten, die den Mitgliedern der LGBTI*-Community ihr Recht auf Versammlungsfreiheit im Rahmen des globalen Menschenrechtssanktionsregimes der EU verweigert haben. Wir sind der Meinung, dass die EU keine Geschäfte mit Personen machen sollte, die für eklatante Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind." Im Nachklang dürfte die Angelegenheit für Serbien noch heikel werden, das Land bemüht sich seit Jahren um eine Mitgliedschaft in der EU.

Die European Pride Organisers Association (EPOA), die für die Vergabe des jährlichen Euro-Pride zuständig ist, erklärte, dass die Demonstration am vergangenen Wochenende in Belgrad der wichtigste Euro-Pride in der 30-jährigen Geschichte der Veranstaltung gewesen sei. Kristine Garina, Präsidentin der Vereinigung, dazu: "Als unsere Mitglieder vor drei Jahren für Belgrad als Austragungsort für den Euro-Pride stimmten, wussten wir, dass es Kämpfe und großen Widerstand geben würde. Aber gerade deshalb ist der Euro-Pride so wichtig, und er kann eine Stadt und ihre LGBTI*-Community grundlegend verändern.“ In der Pride-Woche vor dem Marsch fanden rund 120 Veranstaltungen zum Thema LGBTI* statt, insgesamt waren Vertreter von mehr als 50 Pride-Organisationen weltweit vertreten. Kritik wird allerdings in diesem Zusammenhang abermals an dem Verhalten der Regierung laut: "Wir müssen anerkennen, dass die Schwierigkeiten, mit denen die Organisatoren in den letzten Wochen konfrontiert waren, durch aufrührerische Äußerungen des serbischen Präsidenten und dann durch das Versagen der Premierministerin und der Polizei bei der Achtung der Grundfreiheiten und -rechte verursacht wurden. Die Begnadigung durch die Premierministerin in letzter Minute war zu wenig und zu spät. Sie kann jetzt Führungsstärke zeigen, indem sie dafür sorgt, dass alle, die unsere Teilnehmer angegriffen haben, vor Gericht gestellt werden. Der Euro-Pride in Belgrad wird als Wendepunkt für die Gleichstellung von LGBTI* in Serbien und der gesamten Westbalkanregion in die Geschichte eingehen. Wir haben gezeigt, dass Pride für niemanden eine Bedrohung darstellt, und während wir friedlich marschierten, waren es die Rechtsextremen, Nationalisten und fundamentalistischen Christen, die gegen die Polizei vorgingen."

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