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Rauswurf nach HIV-Diagnose // © IMAGO / Volker Preußer
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Rauswurf nach HIV-Diagnose Deutsche Aidshilfe stellt fest: Das ist schon öfter vorgekommen

ms - 28.03.2022 - 15:30 Uhr

Es liest sich wie ein unfassbarer Fall von Diskriminierung, der anscheinend ohne rechtliche Folgen bleiben wird – nach Auskunft und Recherche von magazin.hiv hat die Universität Marburg einen jungen Studenten der Zahnmedizin gemobbt und schlussendlich von der Universität verwiesen, weil er HIV-positiv ist. Der Fall ging juristisch durch mehrere Instanzen, die immer zugunsten des Studenten ausfielen, bis sich die Universität schlussendlich auf das Hausrecht stützte. Der Traum vom Beruf Zahnarzt scheint damit endgültig geplatzt zu sein.

Begonnen hatte alles dabei im Januar 2020, als Frank Martin (Name von der Redaktion geändert) nach dem ersten Staatsexamen von der Betriebsärztin der Uniklinik aufgefordert wurde, seinen HIV-Status zu offenbaren. Die Vorsorge ist Pflicht und dient dabei eigentlich dem Schutz der Studenten, nicht aber als Bewertungsgrundlage für die Universität.

Martin willigt schlussendlich ein, um weiter studieren zu dürfen. Nach dem positiven Laborbefund fährt die Betriebsärztin den jungen schwulen Mann an: „Und Sie denken einfach, dass Sie Zahnmedizin studieren können?“ Die Betriebsärztin soll anschließend den Studenten dazu gezwungen haben, auch intime Details über sein Leben als schwuler Mann preiszugeben. Martin kooperiert trotzdem, um sein Studium fortsetzen zu dürfen. Er hält aber dabei fest: „Das ging viel zu weit!“

Anschließend fordert die Betriebsärztin Akten und weitere Befunde von Martins HIV-Arzt an und bindet offenbar auch Kollegen der Universität mit ein, um eine „Expertenkommission“ bilden zu können. Erst unter dem Druck seines späteren Anwalts erfährt Martin überhaupt, wer in dieser Kommission sitzt. „Meine Daten wurden solange wohl weitergegeben. Ich bin anscheinend vogelfrei“, so Martin weiter.

Monatelang weiß der Student dann nicht, ob er weiter studieren darf. Schlussendlich will ihn die Expertenkommission dazu drängen, dass er monatlich eine Laboruntersuchung über seine Viruslast auf eigene Kosten einreicht. Martin lenkt abermals zunächst ein, reicht aber dann ab Februar 2021 keine Werte mehr ein, weil er sich diskriminiert fühlt. Die Folge: Die Betriebsärztin stellt ihm keine Eignungsbescheinigung für das Herbstsemester 2021 aus.

Der junge Student wendet sich schlussendlich an die Antidiskriminierungsstelle und bekommt mit Rechtsanwalt Jacob Hösl rechtlichen Beistand. Im November stellt das Verwaltungsgericht Gießen fest, dass Martin nicht von praktischen Kursen ausgeschlossen werden darf. Die Universität ignoriert das Urteil und teilt mit, dass während der praktischen Ausbildung eine erhöhte Verletzungsgefahr bestehen würde – was sie damit konkret meint, erklärt die Universität nicht.

Rechtsanwalt Hösl: „Wir haben bei HIV jahrzehntelange Erfahrung in der Medizin. Es gibt null Vorkommnisse. Daran ist die Uni gebunden.“ Die Wissenschaft sei sich einig darüber, dass HIV in der zahnärztlichen Praxis faktisch nicht übertragen wird – weder von Patienten noch von Ärzten. Die Bundeszahnärztekammer stellt das ebenso bereits 2014 fest. Auch der Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), Professor Dr. Rainer Jordan, bestätigte dies und stellt zudem klar: Ein HIV-Status sei eine Sache zwischen Betriebsärztin und studierender Person und gehe sonst niemanden etwas an.

Auch Dr. Hubertus von Schwarzkopf vom Ausschuss für Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales findet das Vorgehen der Betriebsärztin der Universität Marburg aus mehreren Gründen bedenklich – zum einem diene die Vorsorgeuntersuchung eben nur dem Schutz des Beschäftigten, diese sei kein Eignungstest. Nach der Beratung bekomme man also automatisch eine Teilnahmebedingung. Ohne rechtliche Grundlage drehte die Universitätsleitung diese Richtlinien eigenmächtig um. Zudem habe eine Expertenkommission nur Empfehlungscharakter, wobei diese intransparent und unverhältnismäßig einberufen worden sei.

Auf diese eine Einsicht wartet Frank Martin bis heute. Schlussendlich ging die Universität in einem Eilverfahren bis zum höchsten Hessischen Verwaltungsgericht und bezog sich dann schlussendlich auf das Hausrecht. Den Schwenk auf das Hausrecht der Universität empfindet Rechtsanwalt Hösl als „grob fehlerhaft“, trotzdem greift es. Martin, der seit 2012 HIV-positiv und seit langem gesund ist, darf nicht weiter studieren.

Nach Informationen der Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung der Deutschen Aidshilfe ist es nicht das erste Mal, dass die Universität Marburg so mit Studenten umgeht. Die Betriebsärztin selbst ist bis heute nicht zu einer Stellungnahme bereit – sie beruft sich auf die ärztliche Schweigepflicht. Auf das Angebot, sich durch Frank Martin davon entbinden zu lassen, geht sie nicht ein.

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