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Nicht mehr wegsehen bei Gewalt gegen LGBTI*s // © staticnak1983

Nicht mehr wegsehen „Was nicht erfasst wird, existiert für Verwaltung, Polizei und Politiker auch nicht!“

ms - 15.04.2022 - 13:00 Uhr

Die Hauptstadt der Schweiz geht ungewöhnliche Wege, um in der Gesellschaft ein größeres Bewusstsein für Gewalt und Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen zu schaffen: Ab Mai sollen Tafeln und Schilder deutlich sichtbar in ganz Zürich verteilt über queerfeindliche Übergriffe aufklären und informieren, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf jene Viertel der Hauptstadt gelegt werden soll, in denen sich solche Angriffe auf queere Menschen in der Vergangenheit gehäuft haben.

Ein Kernproblem in der Schweiz dabei ist, dass es bis heute keine landesweiten statistischen Zahlen gibt – anders als wenigstens teilweise in Deutschland werden in der Alpenrepublik Hassverbrechen gegen queere Menschen gar nicht erfasst. Die Schweizer Beratungsstelle für Opfer von LGBTI*-Gewalttaten, die LGBT+Helpline, stellt dazu fest: „Was nicht erfasst wird, existiert für Verwaltung, Polizei und Politiker auch nicht. Wir wissen aber, dass wir auch in der Schweiz Opfer von homo- oder transphober Gewalt werden. Hass gegen LGBTI*-Menschen ist eine alltägliche Realität. Die Politik ist gefordert: Bund und Kantone müssen Maßnahmen ergreifen, um Hate Crimes auf LGBTI*-Personen präventiv zu verhindern!“

Die Beratungsstelle dokumentiert seit 2016 LGBTI*-Hassverbrechen in der Schweiz und arbeitet eng mit Pink Cross und dem Transgender Network Switzerland zusammen. Dabei kommt es jede Woche zu Vorfällen, die meisten Hate Crimes geschehen in Zürich, zumeist an öffentlichen Plätzen oder auf der Straße. 85 Prozent aller betroffenen Opfer wurden laut der Helpline beleidigt und beschimpft, beinahe jeder fünfte queere Mensch hat auch physische Gewalt erlebt. Ähnlich wie in Deutschland zeigt sich dabei auch, dass in den meisten Fällen die Hassverbrechen nicht zur Anzeige gebracht werden. Die allermeisten Opfer sind dabei schwul, männlich und zwischen 20 und 30 Jahren alt. Mehr als die Hälfte der Betroffenen gaben an, psychische Folgen von dem Vorfall davongetragen zu haben.

„Diese Zahl ist alarmierend hoch und zeigt auf, dass spezielle Angebote für die psychische Gesundheit von LGBTI*-Menschen notwendig sind. Denn solche psychischen Folgen können Verhaltensänderungen mit sich bringen, sodass man sich – soweit dies möglich ist - beispielsweise nicht mehr erkennbar als LGBTI*-Person in der Öffentlichkeit zeigt, um potenzielle Konfrontationen zu vermeiden. Das wiederum führt zu einem großen Stress, da das eigene Verhalten ständig beobachtet und angepasst wird“, so die Helpline weiter. Obwohl in den letzten Jahren auch in den Schweizer Medien immer wieder über diese Fälle berichtet wurde, scheint das Ausmaß der Aggressionen gegenüber der LGBTI*-Community vielen Schweizern noch immer nicht wirklich bewusst zu sein. Daran soll die Schilder-Aktion einer, im letzten Jahr gegründeten Arbeitsgruppe nun etwas ändern. Die Aktion wird mit umgerechnet rund 4.900 Euro jährlich von zwei queeren Vereinen unterstützt. In einem ersten Schritt sollen die Tafeln und Plakate zwei bis drei Mal pro Jahr für jeweils vier Wochen in Zürich aufgestellt werden, danach ist geplant, die Kampagne auf andere Städte und Kantone auszuweiten.

Grundsätzlich wurde im Februar 2020 zwar bereits mit einer Mehrheit von 63 Prozent der Schweizer in der Anti-Diskriminierungsstrafnorm des Landes festgehalten, dass auch queere Personen Anrecht auf einen Schutz vor Hass und Anfeindung haben. So klar dieses Signal aus der Mitte der Gesellschaft auch war, in der alltäglichen Lebensrealität ist dieser Vorsatz wohl noch immer nicht angekommen. Das Schweizer Pink Cross und die Helpline stellen dabei im gemeinsamen Bericht klar: „Hate Crimes haben nicht nur für die direkten Opfer teils schwerwiegende physische und psychische Folgen, sondern treffen die gesamte LGBTI*-Community. So zeigen Studien, dass die Reaktionen von LGBTI*-Personen, insbesondere wenn eine ihnen bekannte Person angegriffen wurde, sehr ähnlich sind wie die der direkten Opfer: Sie fühlen sich verletzlicher und ängstlicher. Dies, weil Hate Crimes auch symbolische Attacken gegen die Differenz sind und nicht nur Taten gegen Einzelpersonen.“

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