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Tessa Ganserer überrascht mit Statement zu Selbstbestimmungsgesetz

Wie viele Rechte bekommen trans-Teens? Was genau wird im neuen Selbstbestimmungsgesetz stehen?

ms - 13.06.2022 - 14:00 Uhr

Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die taz ein Streitgespräch mit der trans-Politikerin Tessa Ganserer von den Grünen, Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans sowie mit Till Randolf Amelung, einem trans-Mann und Kritiker des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dann auch jenes geplante Gesetz, dessen Einzelheiten in den kommenden Wochen konkretisiert und dann veröffentlicht werden sollen. Die aktuelle, oftmals sehr emotional geführte Debatte fußt dabei auf den letzten Gesetzentwürfen zur Selbstbestimmung der Grünen, deren strittige Inhalte allerdings mehrfach auch vom Queer-Beauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann, und nun auch von Tessa Ganserer bestätigt wurden. Trotzdem bleibt abzuwarten, was am Ende tatsächlich im Gesetzestext stehen wird.

Künftig soll es allerdings nach letzter Planung Menschen ab dem 14. Lebensjahr möglich sein, einfach und unbürokratisch via Sprechakt das Geschlecht beim Standesamt wechseln zu können. Ganserer dazu: „Welchem Geschlecht ein Mensch angehört, kann letztlich nur jeder Mensch für sich selbst beantworten. Das ist eine Frage der Würde.“ Strittig ist dabei vor allem die Tatsache, dass Kinder ab dem 14. Lebensjahr dies künftig auch ohne Einwilligung der Eltern oder vorheriger medizinischer Abklärung tun könnten und damit vielleicht auch in einem nächsten Schritt eigenverantwortlich eine Behandlung mit Pubertätsblockern beginnen können sollen. Einige Fachärzte und auch Feministinnen wie Alice Schwarzer verweisen darauf, dass diese Entscheidung für Minderjährige zu früh sei und die Pubertätsblocker auch zu lebenslangen Schäden am Körper führen könnten. Befürworter sprechen davon, dass die Pubertätsblocker keine Nachwirkungen hätten und Jugendliche mit 14 Jahren zu Beginn ihrer Pubertät sehr klar erkennen könnten, ob sie transsexuell wären. Eine unabhängige Langzeitstudie dazu gibt es noch nicht, allerdings erste Belege, dass die Pubertätsblocker zu Knochenschwund und dauerhaftem Libido-Verlust führen könnten. Schweden und Großbritannien haben sich deswegen zuletzt gegen die Vergabe dieser Medikamente ausgesprochen.

Ob das Recht von Jugendlichen kommen soll, eigenverantwortlich sich Pubertätsblocker verschreiben zu lassen, ist noch offen. In puncto von möglichen Operationen an Jugendlichen, beispielsweise die Invertierung des Penis oder die Abnahme der weiblichen Brüste, erklärte Sven Lehmann mehrfach in diesem Jahr, dass eine solche OP nur mit Erreichen der Volljährigkeit möglich wäre. Im letzten Gesetzentwurf findet sich dazu auch der Verweis, allerdings räumt der Text Jugendliche die Möglichkeit einer OP ein, wenn das Familiengericht diesen Schritt für richtig hält.

Till Amelung war dieser Punkt im Streitgespräch ein besonders wichtiger und er fragte mit Bezug auf die Entscheidungsfähigkeit von Jugendlichen ab 14 Jahren im Satz zuvor bei Tessa Ganserer nach: „In einem früheren Gesetzentwurf der Grünen, der abgelehnt wurde, ging es aber auch darum, das Recht auf medizinische Behandlungen festzuschreiben. Liege ich da richtig oder falsch, Frau Ganserer?“ Laut der taz soll Ganserer daraufhin mit einem „provokativen Lächeln“ geantwortet haben, bevor sie erklärte: „Korrekt. Und? Worauf wollen Sie denn hinaus? Ja, wir wollen als Ampelkoalition auch den Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung festschreiben. Aber das wird ein anderes Gesetz.“

Der letzte Satz sorgte online seit dem vergangenen Wochenende für viel Aufregung und stellt dabei die Frage in den Raum, ob die Ampel-Koalition in einem zweiten Schritt damit auch Medikamente wie Pubertätsblocker oder gar Operationen für trans-Jugendliche als grundsätzliches Recht gesetzlich verankern lassen will – ein weites Feld der Spekulationen, das nun online abermals an Fahrt aufnimmt. Eine finale Antwort darauf kann es erst geben, wenn die Eckpunkte des neuen Gesetzentwurfes präsentiert werden.  

Ganserer selbst erklärte im Streitgespräch mit Bezug auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz zudem: „Für 99 Prozent der Bevölkerung ändert sich durch eine rechtliche Vereinfachung, die das zur Grundlage macht, überhaupt nichts.“ Auch hier widersprach Amelung und erklärte: „Es ändert sich sehr wohl etwas, wenn eine Änderung des offiziellen Geschlechtseintrags allein per Selbstauskunft möglich wird. Das verändert fundamental etwas für alle: Die Basis von Geschlecht (…) Wenn bisher das Geschlecht bestimmt wird – sei es nach der Geburt durch die Hebamme oder bei trans Personen später im Leben durch Gutachten –, dann beruht das auf einer Übereinkunft: Was verstehen wir unter Frauen, Männern, Trans- oder Intersexualität? Eine völlig selbstbestimmte Äußerung entzieht sich dem. Es gäbe keine Überprüfung nach gesellschaftlichen Vorstellungen mehr.“

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