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Kein EU-Geld für Ungarn

Kein EU-Geld für Ungarn Schlappe für den homophoben und rechtsstaatlich bedenklichen Kurs Orbáns?

ms - 01.12.2022 - 15:00 Uhr

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán spielt gerne mit dem Feuer, wenn es um Menschenrechte und den Umgang mit der Europäischen Union geht – nun könnte sich der homophobe Hardliner tatsächlich verbrannt haben. Die EU-Kommission empfahl jetzt, Corona-Hilfen und andere Fördermittel erst dann freizugeben, wenn die rechtsnationale Regierung ihre Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umsetzt hat. Bisher hatte Ungarn eher Schönheitsreparaturen durchgeführt, ohne inhaltlich tatsächlich etwas zu ändern. Diese Verschleierungstaktik scheint nicht aufzugehen.

Kein Geld mehr für Homophobie?

"Während eine Reihe von Reformen durchgeführt oder im Gange sind, hat Ungarn zentrale Aspekte der 17 erforderlichen Abhilfemaßnahmen nicht angemessen umgesetzt", so die Kommission in ihrer Erklärung. Neben der Befürchtung, Ungarn könne EU-Mittel nicht für die dazu vorgesehenen Zwecke verwenden, steht auch die Rechtsstaatlichkeit des Landes und damit auch der Umgang mit Homosexuellen im Fokus der Kritik.

Ein wesentlicher Aspekt dabei ist auch Orbáns Anti-LGBTI*-Gesetzgebung, die Informationen rund um LGBTI* und Homosexualität im Alltag beinahe komplett verbietet. Der Direktor der europäischen LGBTI*-Organisation Forbidden Colours, Rémy Bonny, erklärte dazu: „Orbán hat sich entschieden, Demokratie und Menschenrechte anzugreifen. Endlich gibt es eine Chance, dass meine Steuergelder nicht mehr für die Zerstörung meiner ungarischen LGBTI*-Freunde verwendet werden. Ein großer Tag für die Demokratie in Europa!“

Droht die Pleite für Ungarn?

Wie dramatisch die Lage im Fall von ausbleibenden Zahlungen für Ungarn tatsächlich wäre, ist umstritten. Konkret geht es dabei um rund 7,5 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt sowie weiteren 5,8 Milliarden Euro an Corona-Hilfen, insgesamt also um rund 13,3 Milliarden Euro. Laut dem CSU-Abgeordneten Markus Ferber stehe Ungarn ohne die finanziellen Hilfen am Rande einer Rezession.

Gerüchte um einen möglichen Staatsbankrott bestreitet die Regierung vehement, allerdings ist unbestreitbar bereits klar, dass die fehlenden Gelder aus der EU die ungarische Währung, den Forint, stark schwächen, die Inflationsrate liegt bereits bei mehr als 15 Prozent, doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Vor allem Grundnahrungsmittel werden immer teurer, weswegen die ungarische Regierung bereits Preisdeckel verordnet hat.

Politisches Kräftemessen

Am Ende wird es abermals auf ein politisches Kräftemessen hinauslaufen. Ungarn braucht dringend die EU-Gelder, kann aber durch ein Veto bei Abstimmungen, in denen eine Einstimmigkeit der Mitgliedsstaaten zwingend nötig ist, auch wichtige Schritte blockieren, beispielsweise wenn es um Sanktionen gegen Russland geht. Ob die Gelder tatsächlich wie von der EU-Kommission empfohlen eingefroren werden, entscheidet der EU-Ministerrat bis zum 19. Dezember. Dazu müssten mindestens 15 der 27 EU-Staaten dafür stimmen.

Orbáns Diktatur bleibt?

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und ehemalige Bundesjustizministerin Katarina Barley erklärte, sie gehe davon aus, dass eine benötigte Mehrheit für ein Einfrieren der Gelder zustande kommen wird und meinte zudem: "Orbán hat auch im Verhältnis mit den anderen Mitgliedsstaaten, die normalerweise relativ gewogen sind, einfach zu viel Porzellan zerschlagen." Und der Grünen-Europa-Abgeordnete Daniel Freund betonte: "Viktor Orbán macht keine Anstalten, von seiner Diktatur abzurücken." Diese Einstellung zeigt sich auch an der bisherigen Reaktion Ungarns bezüglich des möglichen Endes von EU-Geldern: Die Regierung erklärte kurz und knapp, man sei optimistisch, dass die Gelder kommen werden und Ungarn allen Verpflichtungen nachkomme. Konkreter wurde es nicht.

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