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Warnung vor Pubertätsblockern

Warnung vor Pubertätsblockern Fachärzte bemängeln dürftige Evidenzlage und eine Ideologie bei Befürwortern

ms - 05.12.2022 - 11:00 Uhr

Das deutsche Ärzteblatt rät angesichts der vielen offenen Fragen und den möglicherweise massiven Schäden für Kinder und Jugendliche mit klaren Worten davon ab, Pubertätsblocker zu verschreiben. Einzig im Rahmen von Studien sei dies noch denkbar, um ein breites Wissen zu diesem Thema zu erlangen.

Massiver Anstieg von Trans-Diagnosen

Dem Rat vorausgegangen war ein Fachgespräch von medizinischen Experten, wobei gleich zu Beginn festgehalten worden war, dass kaum in irgendeinem anderen medizinischen Bereich ein so “eklatanter Prävalenzanstieg zu beobachten war wie bei Störungen der geschlechtlichen Identität“, teilweise kam es binnen eines Jahrzehnts zuletzt zu einer Steigerung um bis zu 4.500 Prozent. Dabei hält das medizinische Fachgremium fest: „Als einer der Gründe für diesen ungewöhnlichen Anstieg in Sachen Genderinkongruenzgefühl ist eine zunehmende Berichterstattung in öffentlichen Medien über Transgender-Personen und Gender-diverse Kinder und Jugendliche identifiziert worden.“

Dabei zeigen sich die Ärzte noch offen bei der Frage, ob der rapide Anstieg nur durch Medienberichte getriggert wurde oder ob sich dadurch vielleicht auch einfach mehr junge Menschen mit Identitätsstörung ermutigt fühlen, sich Hilfe für die Transition zu suchen. In Fachkreisen würde dabei allerdings oft von einer Art von “soziale Ansteckung“ gesprochen, die im Fachterminus “rapid onset gender dysphoria” (ROGD) genannt wird.

Trans-Jugendliche wollen binäre Geschlechtswelt

Ebenso wurde im Bericht festgehalten, dass viele Fachärzte mit der Terminologie des “bei Geburt zugewiesenen Geschlechts“ sowie auch dem Wegfall der Zweigeschlechtlichkeit oder des sogenannten “biologischen Geschlechts“ in wissenschaftlichen Publikationen wenig anfangen können und dies auch nicht übernehmen wollen. Zudem zeige sich selbst bei Trans-Jugendlichen: „Die meisten Betroffenen streben das “Gegen“-Geschlecht an, halten somit an dem binären Konzept von zwei Geschlechtern fest.“ In rund 80 Prozent der Fälle betreffe das junge Mädchen, die sich laut dem Ärzteblatt “in einen Jungen verwandeln lassen möchten.“

Dünne Faktenlage zu Pubertätsblockern

Ausführlich zeichnet der Fachartikel auch die aktuelle Debatte um die Vergabe von Pubertätsblockern nach – während einige Länder anfangs sehr liberal mit der Vergabe der Medikamente umgegangen sind, wollen inzwischen nach und nach immer mehr Länder und auch Fachärzte dies inzwischen nicht mehr tun. Zum einen gebe es keine juristische Sicherheit, denn immer mehr Eltern und betroffene Trans-Menschen klagen gegen die vorschnelle Vergabe, zum anderen gebe es erhebliche Bedenken in Bezug auf die Langzeit- und Spätfolgen der Blocker. Prof. Dr. Florian Zepf, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena, erklärte, dass die Datenlage so dünn wie unbefriedigend angesichts der Aufgabe sei, Kinder, Jugendliche und ihre Eltern in puncto Chancen und Risiken dieser Medikamente beraten zu sollen. Mit deutlichen Worten brachte der Experte seine Sorge zum Ausdruck und fragte mit Blick auf die hochkomplexe Evidenzlage nach: „Wann weiß ich, dass der Jugendliche für sich und sein gesamtes Leben das verstanden hat?“

Psychologische Therapie ist wichtig

Das Deutsche Ärzteblatt hält zudem fest, dass bisher auch nicht untersucht sei, ob Kinder und Jugendliche den Impact von Pubertätsblockern überhaupt zur Gänze verstehen könnten. „Daher betonen inzwischen immer mehr Expertenempfehlungen, dass die Erstlinientherapie eine psychologische und psychiatrische sein müsse“, so das Fachgremium weiter. Genau diesen Aspekt will die Ampel-Koalition als zwingenden Schritt allerdings beim neuen Selbstbestimmungsgesetz abschaffen, sodass bereits Jugendliche ab 14 Jahren ohne psychologische Abklärung via Sprechakt einen Geschlechtswechsel durchführen lassen können – es wird befürchtet, dass dies damit auch den Einstieg in die Vergabe von Pubertätsblockern oder Hormonen massiv befördert. Diese Befürchtungen stützen sich dabei auf Erfahrungswerte anderer Länder wie beispielsweise den USA oder Großbritannien.

Blick auf die De-Transition

Zusätzlich Druck entstehe auch deswegen, weil immer mehr vermeintliche Trans-Menschen offensichtlich vorschnell in eine Diagnose und eine Therapie und/oder Operation gedrängt worden sind und nun eine De-Transition vornehmen. Das Ärzteblatt weiter: „Die wachsende Zahl von Betroffenen, die eine “Detransition“ – eine Rückkehr von der Angleichung – wünschen, die nun ihr Leiden an der Transition öffentlich machen oder Therapeuten verklagen, haben zu einer Überprüfung des medizinischen Handelns geführt. Des Weiteren wird eingeräumt, es gäbe längst nicht genug Evidenz, um das langfristige Outcome und mögliche Schäden einer frühen Therapie mit oft irreversiblen Folgen beurteilen zu können.“

Unreflektierte Forderungen

Prof. Dr. Zepf berichtet zudem von unreflektierten Forderungen bei Selbst-Diagnosen, die offensichtlich nicht mehr hinterfragt werden sollen dürfen: Manchen Jugendlichen ginge es erkennbar darum, schnellstmöglich ein Gutachten zu erhalten, um die Transition umgehend einleiten zu können. “Was fällt Ihnen eigentlich ein, meinen Wunsch zu hinterfragen?“ – so äußerten sie in der Sprechstunde ihr Unverständnis etwa gegenüber einer Abklärung von psychiatrischen Komorbiditäten oder Differenzialdiagnosen. Die unmissverständlich formulierten Erwartungen hält Zepf dabei nicht für einen Einzelfall und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern, wie beispielsweise auch Dr. Celso Arango, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrieklinik Gregorio Marañón an der Universität in Madrid, bestätigte.

So hält der spanische Facharzt fest, dass gerade die Forderungen nach sofortiger Umsetzung von einer unreifen “klassisch-adoleszenten, magischen Hier-und-Jetzt-Lösung“ zeugen denn von einem reifen und durchdachten Entschluss. „Das allzu willfährige, unkritische Nachgeben gegenüber solchen Forderungen in großen Transgender-Kliniken, etwa dem Tavistock Centre in London, hat letztendlich die Therapien als solche in Misskredit gebracht und macht künftig eine genaue Evaluation der Kliniken notwendig“, so das Ärzteblatt weiter.

Fake News statt nüchterner Fakten?

Die Datenlage insgesamt sei laut den Experten sehr dünn, von den aktuell 525 Studien zum Thema qualifizierten sich nur gerade einmal neun für eine Auswertung. Dabei stellt Facharzt Zepf fest: „Bedeutsame positive Effekte waren rar. Ein Einfluss auf die Genderdysphorie ließ sich nicht dartun. Hinsichtlich der psychischen Gesundheit wurde die Depressivität der Jugendlichen, nicht aber deren Angst oder Wut reduziert. Die Lebensqualität konnte ebenfalls nicht beeinflusst werden. Insgesamt war die Verlässlichkeit für die Aussagen – der Grad der Evidenz – sehr gering.“ Die möglichen Risiken indes könnten, so Dr. Alexander Korte, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LMU München, facettenreich sein. Dazu zählen eine massive Abnahme der Knochendichte bis hin zu dauerhaften Schmerzen bei den Betroffenen, irreversible Folgen bei der Schädigung von Sexualhormonen oder auch eine langfristige Abnahme von kognitiven Fähigkeiten.  

Viele ungeklärte Fragen

Eine ungenaue Datenlage gibt es auch bei der Frage, warum so viele betroffene Kinder und Jugendliche unter Angst, Depressionen und Suizidgedanken leiden. Sowohl könne es zu einem psychischen Leid beim Unterlassen einer Pubertätsblockade wie aber auch beim Erfüllen der Vergabe kommen, deren Auswirkungen und weitere Folgen oftmals irreversibel sein können. Dabei wurde auch betont, dass hinter vielen Transitions-Wünschen auch eine unterdrückte Homosexualität oder anderweitig eine psychiatrische Erkrankung stecken könne. Über die Kausalzusammenhänge zwischen Transitions-Wunsch und Depressionen sei wenig bekannt, sodass es auch hier dringend mehr sachlicher Forschung bedürfe. Angesichts der vielen offenen Fragen wurde auch aus dem Publikum vorgeschlagen, nur noch im Rahmen von Studien Pubertätsblocker zu verabreichen.

Das Deutsche Ärzteblatt wurde 1872 gegründet und ist das offizielle Organ aller Ärzte in Deutschland, herausgegeben von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Mit rund 380.000 verkauften Exemplaren pro Quartal ist es die mit Abstand auflagenstärkste und anerkannteste Medizinzeitschrift Deutschlands.

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