Direkt zum Inhalt
Meinungsfreiheit oder LGBTI*-Rechte?

Religion oder LGBTI*-Rechte? Der US-Supreme Court könnte eine Hetzjagd auf Homosexuelle befeuern

ms - 06.12.2022 - 10:00 Uhr

Das Oberste Gericht in den USA hat sich gestern mit der Frage beschäftigt, was aus juristischer Sicht höher zu bewerten ist – das verfassungsmäßige Recht auf Meinungs- sowie Religionsfreiheit oder Antidiskriminierungsgesetze, die es verbieten, homosexuelle Menschen aufgrund ihrer Sexualität zu benachteiligen. US-Beobachter befürchten nach dem gestrigen Tag mehr denn je, dass die mehrheitlich konservativen Richter am Supreme Court dem Schutz von Schwulen und Lesben die rote Karte zeigen werden – ein finales Urteil wird für nächstes Jahr erwartet.  

Ein Urteil, das Hass auf Homosexuelle erlaubt?

Durch die verschiedenen Instanzen bis hinauf zum Obersten Gerichtshof hatte sich dabei innerhalb von fünf Jahren die christliche Unternehmerin Lorie Smith (38) aus Denver geklagt. Die Webdesignerin behauptet, dass das Antidiskriminierungsgesetz ihres Heimat-Bundesstaates Colorado das Recht von Künstlern und Kreativen auf freie Meinungsäußerung gemäß dem ersten Zusatzartikel der US-Verfassung verletzen würde, indem es sie zwingen will, Arbeiten durchzuführen, die sie nicht durchführen wolle – Smith weigert sich als Grafikdesignerin, maßgeschneiderte Websites für homosexuelle Hochzeiten zu erstellen und will dies bereits vorab auf ihrer Homepage auch erwähnen.

Bei ihrem bisher fünfjährigen Gang durch die juristischen Instanzen wird Smith dabei finanziell von der evangelikalen Anti-Homosexuellen-Gruppe Alliance Defending Freedom unterstützt. Für US-Beobachter verdichten sich nach dem gestrigen Tag die Hinweise, dass die Obersten Richter sich tatsächlich für Smith aussprechen könnten – ein Dammbruch für alle Gesetze, die Minderheiten vor Diskriminierung schützen sollen. Eine gewisse Hoffnung ruht jetzt auf den drei liberalen Richtern am Supreme Court, die die Forderungen von Smith kritisch sahen und erklärten, dass mit derselben Logik dann in Zukunft Gewerbetreibende auch andere Menschengruppen ablehnen könnten, beispielsweise Andersgläubige, Schwarze oder Menschen mit Behinderung.

Fällt der Schutz vor Diskriminierung 2023?

Ein ähnlich gelagerter Fall beschäftigte bereits 2018 das Oberste Gericht, damals allerdings in einer anderen richterlichen Konstellation. Vor rund vier Jahren hatten die Richter zwar zugunsten eines christlichen Bäckers aus Denver geurteilt, der sich aus religiösen Gründen geweigert hatte, eine Hochzeitstorte für ein homosexuelles Paar zu backen. Das Gericht hatte in diesem Fall allerdings keine Ausnahmeregelung für die Meinungsfreiheit in Bezug auf Antidiskriminierungsgesetze geschaffen.

Zahlreiche LGBTI*-Organisationen und Bürgerrechtsgruppen befürchten nun nach dem gestrigen Tag, dass das Antidiskriminierungsgesetz jetzt aber sehr wohl einen irreparablen Schaden nehmen könnte. Auf dem Rücken der freien Meinungsfreiheit würde der Diskriminierung von LGBTI*-Menschen dann Tür und Tor geöffnet werden. Auch in vielen anderen Bereichen wären in puncto Antidiskriminierung dann wieder diverse Ausnahmen möglich, zum Beispiel auch im Gesundheitswesen. Die inzwischen mehrheitlich konservativen Richter des Obersten Gerichtshofs hatten bereits in diesem Jahr auch angedeutet, ein Grundsatzurteil von 2015 möglicherweise zu revidieren, sodass homosexuelle Ehen in einigen Bundesstaaten wieder illegal werden könnten.

Auch Interessant

Mehr Diversity! Oder nicht?

Zu viel oder zu wenig Diversität?

Diversity liegt im Trend, im Mai wird Diversity einmal mehr groß gefeiert. Doch haben wir inzwischen zuviel oder zuwenig davon?
Scham vor der PrEP

Slutshaming in der Gay-Community

PrEP-Nutzer sind sexgeile Schlampen! Wirklich? Woher kommt dieses Denken? In Großbritannien regt sich jetzt Widerstand gegen das schwule Slutshaming.
Nächste Todeszone in Afrika

Burkina Faso plant Hass-Gesetz

Das nächste afrikanische Land will Homosexualität unter Strafe stellen: Burkina Faso prüft gerade neue Verbote.
Erhöhte Gefahrenlage vor ESC

Reisewarnung zum ESC in Schweden

Im schwedischen Malmö herrscht erhöhte Gefahrenlage vor dem ESC. Der Sicherheitsrat Israels warnt vor einem Anschlag, die Polizei ist stark präsent.
Polens neue Wege

Umdenken in der Gesellschaft

Polens neue Regierung kämpft für mehr Rechte für Homosexuelle. Jetzt zeigt sich, die Unterstützung in der Bevölkerung dafür wächst immer mehr an.
Zu viel LGBTI* im TV?

LGBTI*-Charaktere im US-Fernsehen

Binnen eines Jahres gab es fast 20 Prozent weniger LGBTI*-Charaktere im US-Fernsehen. Ist der Markt übersättigt oder gibt es andere Gründe?
Tödliche Penisvergrößerung

Bundesgerichtshof bekräftigt Urteil

Der Wunsch nach einem „monströsen Gehänge“ endete für einen Schwulen tödlich. Das Urteil gegen den Pfuscher der Penisvergrößerung ist nun rechtskräftig.
Einheitliche Haftbedingungen

EU-Komitee fordert bessere Regelungen

Seit Jahren lodert die Streitdebatte, wie mit Trans-Häftlingen umzugehen sei. Nun hat der Europarat seine Empfehlungen veröffentlicht.