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Das Ende der Macht

Das Ende der Macht? Was würde die Streichung der Kirchenzahlungen für die LGBTI*-Community bedeuten?

ms - 06.02.2023 - 14:00 Uhr

Ein wesentlicher Punkt, warum die römisch-katholische Kirche bis heute sich immer wieder massiv gegen Homosexuelle richten kann und in einzelnen Ländern weltweit auch massiv politisch Einfluss auf Entscheidungen bezüglich der Rechte für LGBTI*-Menschen nimmt, ist die Verflechtung von Kirche und Staat. In Deutschland zeigt sich das exemplarisch daran, dass die Bundesrepublik bis heute jährlich rund 600 Millionen Euro Steuergelder an die evangelische sowie katholische Kirche fließen – zuzüglich den rund 13 Milliarden Euro, die die Kirchen aus der Kirchensteuer selbst einnehmen. Die Ampel-Koalition will damit nun Schluss machen.

Ein Ende der Finanzierung von Homo-Hass?

Für LGBTI*-Menschen würde das zum einen bedeuten, dass sie bei Konfessionslosigkeit nicht mehr weiter den gelebten homophoben Hass vieler Bischöfe über ihre Steuern mitfinanzieren müssen. Zum anderen muss so die jeweilige Kirche künftig eigenständig ihre Einrichtungen finanzieren und könnte allein deswegen dazu gezwungen werden, beispielsweise auch Anti-Diskriminierungsgesetze beim Arbeitsrecht wie alle anderen Arbeitgeber ebenso anerkennen zu müssen. Ein dritter Aspekt wäre der simple Fakt, dass endlich die Trennung von Staat und Kirche weiter vorangetrieben wird und damit die Bundesregierung nicht weiter queer-feindliche Richtlinien und Vorgehensweisen indirekt finanziell weiter fördert.

Papst erklärt Schwule erneut zu Sündern

Dass sich gerade die römisch-katholische Kirche auch in Deutschland bezüglich ihrer Einstellung gegenüber Homosexuellen höchstwahrscheinlich nicht ändern wird, zeigen die jüngsten Beispiele: Erst ließ Papst Franziskus erneut klarstellen, dass die wenigen reformbereiten Bischöfe in Deutschland ihr Vorhaben einer Erneuerung und Öffnung der Kirche auch für Homosexuelle einzustellen haben, dann erklärte das Oberhaupt der Kirche, Homosexuelle seien zwar keine Verbrecher, aber Sünder. Erst am Wochenende hatte Papst Franziskus nun auf dem Rückflug von seiner Afrikareise erneut verkündet, dass man Schwule und Lesben zwar nicht kriminalisieren dürfe, aber sie seien und bleiben eben Sünder. Explizit ausgenommen von seinen salbungsvollen Worten seien dabei LGBTI*-Lobby-Organisationen, die offenbar nicht freizusprechen sind von dem Wunsch nach Kriminalisierung.

Ein Ende der Zahlungen nach 200 Jahren?

Nun wagt die Ampel-Koalition den längst überfälligen Vorstoß, nach über 200 Jahren die Zahlungen an die beiden großen Kirchen in Deutschland einzustellen – noch in diesem Jahr soll ein Gesetzesvorhaben auf dem Tisch liegen. Hintergrund für die jährlichen Staatsleistungen ist eine Regelung aus dem 19. Jahrhundert: Zu Napoleons Zeiten mussten die Kirchen Besitztümer an weltliche Fürsten abtreten, die dafür ein jährliches Entschädigungsgeld zu zahlen hatten. Dafür zahlt die Bundesrepublik bis heute. Lars Castellucci (SPD) erklärte gegenüber dem WDR, dass damit nun endlich Schluss sein müsse, weil das „kaum mehr vermittelbar ist in der heutigen Zeit und weil es den Verfassungsauftrag gibt, der klar sagt, dass das längst hätte beendet werden sollen".

Ablösezahlungen an die Kirchen?

Die Idee der Ampel-Koalition ist, dass es eine finale Ablösezahlung an die beiden Kirchen geben soll, damit diese von den Zinsen weiter ihre Aufgaben finanzieren können. Im Raum steht eine Summe von 11 Milliarden Euro. Für die SPD-Finanzpolitikerin Ingrid Matthäus-Meier ist dies viel zu viel: "Wenn man schon über 100 Jahre etwas kassiert hat, was ja eigentlich schon abgelöst sein sollte, bin ich der Überzeugung, dass das reicht."

Die Kirchen selbst reagieren unterschiedlich, so erklärte sich die protestantische Kirche zu einem Ende der Staatsleistungen bereit, hält die Ablösesumme aber für zu gering. Von der katholischen Kirche gibt es noch kein finales Statement, derzeit laufen noch die Verhandlungen zwischen Bundesregierung und den Kirchen. Sollte es tatsächlich zu einem Ende der Zahlungen kommen, wäre dies allerdings mit Sicherheit ein Fortschritt für die LGBTI*-Community insgesamt.  

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