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Kritik am Gesetzentwurf
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Kritik am Gesetzentwurf Queer-Beauftragter Lehmann sowie diverse Verbände und Parteien gaben Stellungnahmen ab.

ms - 31.05.2023 - 13:00 Uhr

Heute endet für Vereine, Verbände sowie auch Politiker die Möglichkeit, offiziell Stellung zu beziehen zum aktuellen Gesetzentwurf des Selbstbestimmungsgesetzes – Kritik kam in den letzten Wochen sowohl von Befürwortern wie Gegnern des geplanten neuen Gesetzes auf, jetzt meldete sich auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann zu Wort.

Widerspruch beim Hausrecht

Lehmann betont zunächst, dass mit dem neuen Gesetz eine „jahrzehntelange staatliche Bevormundung und Fremdbestimmung“ von Trans-Menschen enden würde. An einigen Stellen bedürfe der Gesetzentwurf aber einer „dringenden Überarbeitung“. Ein Aspekt ist dabei der bereits seit Wochen umstrittene Passus im Gesetzestext, der einerseits das Hausrecht beispielsweise von Betreibern von Saunen oder Einrichtungen speziell für Frauen hervorhebt und andererseits aber das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) im Blick hat.

Ein offensichtlicher Widerspruch, den auch mehrere queere Vereine wie beispielsweise der Bundesverband Trans e.V. kritisieren. Für Lehmann entstünden so zudem „neue Unsicherheiten“, die „massive Ängste“ bei Trans-Menschen auslösen könnten. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans erklärt dazu: „Wir brauchen eine deutliche Abgrenzung von trans*feindlichen Erzählungen und ein klares Bekenntnis für die Stärkung der Teilhabe von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen.“ Lehmann fordert hier die komplette Streichung des Hausrechts im Gesetzentwurf.

Offenbarungsgebot auch innerhalb von Familien

Ein weiterer Kritikpunkt bei Lehmann ist die geplante Ordnungswidrigkeit mit einer möglichen Geldbuße von bis zu 10.000 Euro, wenn der frühere Vorname eines Trans-Menschen ohne Zustimmung der Person offenbart oder ausgeforscht wird. Im Gesetzestext gibt es hierzu allerdings Ausnahmen, beispielsweise, wenn „besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern“. Frühere oder aktuelle Ehepartner sowie nahe Verwandte sind davon ebenso ausgenommen. Lehmann geht dies nicht weit genug, die generelle Ausnahme des Offenbarungsgebots in Familien oder bei nahen Angehörigen hält er für falsch. Es müsse die „bewusste Schädigung“ geahndet werden, selbst wenn dies innerhalb einer Familie geschehe – künftig könnten so beispielsweise auch Geschwister oder Eltern belangt werden, wenn sie ihre Kinder bewusst mit dem früheren Vornamen ansprechen.

Abschließend kritisiert Lehmann dann noch die Bedenkzeit von drei Monaten, bevor nach einem Geschlechtswechsel am Standesamt die Änderungen tatsächlich in Kraft treten. Der Queer-Beauftragte bittet zudem darum, in der weiteren Ressortabstimmung vor der Kabinettsbeschlussfassung einbezogen zu werden. Ein weiterer Befürworter des Gesetzestextes ist unter anderem auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland, Alva Träbert aus dem Bundesvorstand erklärt allerdings auch, dass der Entwurf trans-feindlichen Ängsten „unverhältnismäßig viel Raum“ geben würde: „Die Bundesregierung muss die konstruktive Kritik der Zivilgesellschaft ernst nehmen und ein wirksames Selbstbestimmungsgesetz erarbeiten, das Stigmatisierung und Ausgrenzung entgegenwirkt, anstatt sie noch zu befeuern.“ Der Gesetzesentwurf falle dabei inhaltlich deutlich hinter den ersten Eckpunkten vom Juni 2022 zurück.

Der Gesetzestext, eine „quasi-religiöse Prämisse“?

Kritik hingegen kommt beispielsweise von den Freien Wählern Bayern oder auch der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit. Der Verband erklärt dazu: „Das biologische, nachweisbare Geschlecht muss eine rechtliche Größe bleiben und kann nicht durch einfache Willenserklärung abänderbar sein. Der Gesetzesentwurf ist insofern einzigartig, als erstmals ein Gesetz Rechtsfolgen an subjektive und in keiner Form nachweisbare Kriterien knüpft.“ Das Missbrauchspotential einer solchen Regelung sei dabei evident, so der Verein weiter. Das sehen auch die Freien Wähler so, die der Ampel-Koalition vorwerfen, hier bis heute keine Lösungsvorschläge eingebracht zu haben.

Das Gesetz widerspreche dabei auch dem Sorge- und Erziehungsrecht der Eltern, wenn Jugendliche bereits ab 14 Jahren auch ohne Einwilligung der Eltern mit Hilfe des Familiengerichts einen Geschlechtswechsel beim Standesamt vollziehen, so die Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit weiter. Auch auf das Hausrecht geht der Verband ebenso ein, der Verweis darauf im Gesetzestext biete „keinen ausreichenden Schutz“.

In puncto Offenbarungsgebot bei „Misgendern / Deadnaming“ sieht der Verband zudem Nachholbedarf und erklärt: „Das heißt, Privatpersonen zahlen eine Strafe als Konsequenz für das Aussprechen einer objektiven Tatsache, weil diese einer rein subjektiven Eigenwahrnehmung widerspricht. Dies ist im deutschen Recht beispiellos. Auch Schwule und Lesben – denen durch ein Outing erhebliche Konsequenzen drohten, und in bestimmten Kreisen noch drohen – wurden und werden nicht in vergleichbarer Weise geschützt.“ Der Gesetzgeber würde hiermit eine „quasi-religiöse Prämisse“ zugrunde legen. Zudem würde das Gesetz Kinder und Jugendliche gefährden.

Nachdem heute die Möglichkeit endet, offiziell Stellung zum geplanten neuen Selbstbestimmungsgesetz zu nehmen, werden Justiz- und Familienministerium ab morgen beginnen, die Kritikpunkte auszuwerten. Wann es konkret dann zu weiteren Schritten kommen wird, ist noch offen.

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