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Bittere Pride-Bilanz
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Bittere Pride-Bilanz LGBTI*-Menschen werden zu Sündenböcken in der Krise, so Sven Lehmann

ms - 16.10.2023 - 11:00 Uhr

Nachdem offiziell am vergangenen Wochenende nun die CSD-Saison 2023 zu Ende gegangen ist, zieht der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, eine bittere Bilanz. Zwar gab es noch nie so viele Prides wie in diesem Jahr in Deutschland, gleichzeitig nahmen die verbalen sowie physischen Angriffe auf LGBTI*-Menschen rund um die Demonstrationen rapide zu – das deckt sich auch mit den jüngsten bisherigen Zahlen in puncto Hasskriminalität, die auch für 2023 einen erneuten Anstieg der Fallzahlen höchst wahrscheinlich machen.

Politische Motiv hinter Attacken

Die zahlreichen Attacken auf die LGBTI*-Community bereiten ihm dabei Sorgen, so Lehmann, der zudem im Stern-Interview betont: „Dahinter stecken politische Methoden und ein politisches Motiv. Für Menschen, die CSDs besuchen, sind das oft Orte, wo sie sich sicher zeigen und fühlen können – anders als im Alltag. Genau diese Sicherheit und Offenheit wollen Gegnerinnen und Gegner angreifen.“

Lehmann rät auch mit Blick auf die kommende Pride-Saison 2024 dazu, den Schulterschluss mit der Polizei vor Ort zu suchen. „Die Polizei hat sich verändert, hat den Anspruch, LSBTIQ* nicht zu diskriminieren und wird auch immer sensibler. Wir arbeiten eng mit den Bundesländern und Polizeiakademien zusammen, um hier mehr Aufklärung anzubieten“, so Lehmann weiter.

Einschüchterungsversuche rund um CSDs

Lehmann bezieht dabei auch klar Stellung zu der Idee wie beispielsweise zuletzt in Dresden, den CSDs den Versammlungs-Status als Demonstration zu entziehen. „Einschüchterungsversuche von rechts scheinen auch auf manche kommunale Verwaltungen überzugreifen. Aber jeder dieser Versuche, eine CSD-Demonstration zu verbieten, wird vor dem Verfassungsgericht scheitern, weil wir die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit haben. CSDSs sind eindeutig politische Demonstrationen. Es gibt ein Motto, es gibt politische Forderungen und Diskussionen. Selbstverständlich wird auf CSDs auch gefeiert. Und das ist völlig in Ordnung. Gerade die queere Community hat allen Grund, stolz auf sich zu sein und das zu zelebrieren. Sie hat trotz starker Diskriminierungen viel Sichtbarkeit und Akzeptanz erreicht.“

LGBTI*-Menschen werden zu Sündenböcken

Studien aus diesem Jahr zeigten dabei bereits auch auf, dass die Akzeptanz gegenüber Homosexuellen erstmals wieder sinkt in verschiedenen Ländern weltweit, auch in Deutschland. Lehmann bestätigt diesen Rollback und verurteilt dabei den Anstieg von Personen mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ in der Bundesrepublik.

Warum die LGBTI*-Community sich in diesem Jahr dabei besonders vielen Angriffen ausgesetzt sah, erklärt sich der Queer-Beauftragte der Bundesregierung so: „Wenn es Krisen gibt, und die haben wir ja gerade zuhauf, suchen Menschen sich oft Sündenböcke. Sie versuchen sich aufzuwerten, indem sie andere abwerten (…) Queere Menschen insgesamt sind zu einem Sinnbild geworden für die Freiheit, selbst über das eigene Leben zu bestimmen, den eigenen Körper, die eigene Sexualität. Sie geraten deshalb ins Visier von politischen Kräften, die diese Freiheit an sich bekämpfen. Und damit den Kern von Demokratie.“

Am Ende müsse diese Entwicklung alle in der Gesellschaft alarmieren, nicht nur die LGBTI*-Community. Damit sich die Lage wieder verbessere, müsse jeder seinen Beitrag leisten in allen gesellschaftlichen Bereichen. 

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