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Zensur in Ungarn
Rubrik

Zensur in Ungarn Bücher mit LGBTI*-Themen werden künftig schlicht nicht mehr angeboten!

ms - 15.06.2023 - 14:00 Uhr

Immer wieder gerät die USA aufgrund ihres teils absurden und teils rabiaten Kulturkampfes in die Schlagzeilen – mittendrin auch der Kampf gegen Bücher, die sich mit LGBTI*-Themen befassen. Ganz gleich ob Sachbuch, Ratgeber oder Jugendroman, jedwede Form von homosexuellem oder queerem Leben soll aus den Bibliotheken komplett verband werden.

Während einige demokratische Bundesstaaten gerade versuchen, mit Schutz-Richtlinien der Zensur vorzubeugen, werden in immer mehr Regionen der Vereinigten Staaten Bücher direkt vernichtet. Die Schriftsteller-Organisation PEN America spricht von Tausenden von Buchtiteln, allein in diesem Jahr waren es bisher über 900 unterschiedliche Werke, die der Zensur zum Opfer fielen. Aktuell klagt dagegen auch die weltweit größte Verlagsgruppe Penguin Random House.

Buchverbote auch mitten in Europa?

So etwas kann eben nur in Amerika geschehen – oder doch nicht? Mitten in Europa laufen derzeit still und heimlich ähnliche Vorkehrungen, um künftig alle unpassenden Buchtitel vom Markt zu entfernen. Die Rede ist von Ungarn. Die Stiftung MCC hat in diesen Tagen die einflussreichsten Buchhändler, Verleger und Buchläden aufgekauft. Damit ist der Verband jetzt auch Mehrheitseigner der Libri-Gruppe, dem wichtigsten Akteur auf dem ungarischen Buchmarkt.

Finanziert wird die MCC dabei direkt vom ungarischen Staat, das jährliche Volumen belief sich auf umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2021. MCC selbst erklärte zum Einkauf via Twitter: „Wir investieren in die Zukunft der Bücher. Dieser Schritt unterstreicht das Engagement von MCC für den Erhalt der ungarischen Kultur und die Sicherung der Zukunft des Buches in Ungarn. Lasst uns die ungarische Kultur vor dem Zerfall bewahren.“

Kampf gegen die Gay-Community

Es ist nicht sonderlich schwierig, sich vorzustellen, wen die von Ministerpräsident Victor Orbán finanzierte Gruppe als potenzielle Gefahr für die ungarische Kultur ausgemacht hat – die Gay-Community. Immer wieder wetterte Orbán gegen Schwule und Lesben und hat mit dem Anti-Homosexuellen-Gesetz 2021 Verbote von schwul-lesbischen Themen in den Meiden und der Öffentlichkeit ganz nach dem Vorbild Russlands durchgesetzt.

Das Problem aus Sicht der homophoben Hardliner: Das Gesetz ist immer wieder Gegenstand von massiver Kritik seitens der Europäischen Union. Aktuell läuft sogar deswegen eine EU-Klage gegen Ungarn, der sich 15 EU-Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament angeschlossen haben. Es ist damit die größte Menschenrechtsklage in der EU-Geschichte; eine Klageeröffnung ist noch für dieses Jahr geplant.

Die komplette Kontrolle über Kultur, Medien und Bücher

Subtiler erreicht die ungarische Regierung daher ihr Ziel, wenn sie die Gay-Community indirekt angreift, in dem sie Schwule und Lesben systematisch unsichtbar macht. Bereits jetzt beherrscht Ministerpräsident Orbán rund 80 Prozent der einheimischen Medien, künftig wird er über den MCC auch maßgeblich den Buchmarkt dominieren können.

Kaum vorstellbar, dass dann überhaupt noch Bücher mit LGBTI*-Themen in die Buchläden gelangen. Eine Zensur durch die Hintertür. Die ungarische Journalistin Viktória Serdült von der Newsgruppe HVG erklärt dazu mit bitterem Unterton: „Ein weiteres Beispiel dafür, wie diese Regierung Kultur und Bücher komplett kontrollieren will.“

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