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Selbstbestimmungsgesetz
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Selbstbestimmungsgesetz Verfahren wird offenbar erneut verschoben!

ms - 04.07.2023 - 15:00 Uhr

Wann kommt der geplante Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes wie angekündigt in das Bundeskabinett? Nachdem das Vorhaben bereits zwei Mal in den letzten Wochen verschoben werden musste, scheint es nun auch in dieser Woche wie zuvor angekündigt doch nicht dazu zu kommen. Hintergrund sind offenbar offene Fragen, wie seitens des Bundesinnenministeriums gestellt worden sind. Bisher konnten die beteiligten Ministerien Justiz und Familie darauf anscheinend keine befriedigenden Antworten geben.

Gesetzeslücke für Kriminelle?

Konkret soll das Bundeskriminalamt nach Angaben der Zeitung „Welt am Sonntag“ darauf hingewiesen haben, dass mit dem behördlichen Entstehen einer „neuen Person“ und der rückwirkenden möglichen Änderung aller Dokumente für Kriminelle die Chance eröffnet würde, sich auf diesem Wege jedweder polizeilicher Verfolgung zu entziehen. Das Bundesinnenministerium soll diese Problematik kritisch angebracht haben – eine Lösung scheint es offenbar noch nicht zu geben.  

Viel Lob aber auch Kritik am Gesetzentwurf

Die Kritik an dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz sowie auch an der konkreten politischen Umsetzung wird indes immer größer. Bis Ende Mai hatten sowohl Verbände wie auch Einzelpersonen die Möglichkeit, offiziell Stellung zu beziehen zu den konkreten Aspekten des Gesetzentwurfes. Rund fünfzig Verbände lobten im Grundsatz die Pläne, über dreißig andere Organisationen übten scharfe Kritik daran.

Auf den Seiten des zuständigen Bundesfamilienministeriums indes finden sich beinahe ausnahmslos nur die positiven Stimmen. Wie es zu dieser speziellen Auflistung gekommen ist, erklärte das Bundesfamilienministerium gegenüber der Zeitschrift EMMA so: „Das BMFSFJ nimmt die eingereichten Stellungnahmen zum SBGG entgegen und bereitet sie zur Veröffentlichung vor. In diesem noch laufenden Prozess werden noch weitere Stellungnahmen auf unserer Homepage veröffentlicht werden.“

Sorgerechtsentzug bei Weigerung der Eltern?

Im Kern sieht das neue Gesetz aktuell vor, dass das biologische Geschlecht durch die Geschlechtsidentität juristisch ersetzt wird, jeder Mensch kann dann sein Geschlecht frei wählen. Psychologische oder anderweitig medizinische Untersuchungen wie bisher vorgeschrieben entfallen. Mit Zustimmung der Eltern können auch bereits Kinder ihr Geschlecht wechseln, Jugendliche ab 14 Jahren auch notfalls ohne die Eltern mit Hilfe des Familiengerichts.

Weigern sich Eltern einem Geschlechtswechsel zuzustimmen, erfolgt künftig seitens des Standesamtes automatisch und verpflichtend eine Meldung beim Familiengericht, dass dann „von Amts wegen“ tätig wird, so der Gesetzentwurf weiter in der Begründung zu § 3. Ebenso kann einzelnen Elternteilen das Sorgerecht teilweise entzogen werden, wenn sie sich weigern, ihrem Kind einen Geschlechtswechsel zu ermöglichen – speziell werden dabei getrenntlebende Elternteile benannt.

Bußgelder und Ausnahmeregelungen

Ein juristischer Geschlechtswechsel soll zudem grundsätzlich einmal im Jahr möglich sein. Zudem sehen die Pläne ein Offenbarungsverbot vor: Werden Trans-Menschen willentlich mit ihrem alten Vornamen (Deadnaming) angesprochen oder öffentlich geoutet, drohen mit dem neue Gesetz Bußgelder von bis zu 10.000 Euro.

Ausnahmen soll es im Kriegsfall und im medizinischen Bereich geben. Männer dürfen sich so in einem Kriegsfall nicht zur Frau erklären lassen, um einer Einberufung zu entgehen. Ausschlaggebend bleibt das biologische Geschlecht bei Trans-Personen dann auch vielfach im medizinischen Bereich, so wird bei Trans-Frauen zukünftig beispielsweise eine Prostata-Untersuchung auch weiterhin von der Krankenkasse bezahlt, bei Trans-Männern im Gegenzug die Gebärmutteruntersuchung.

Offene Fragen beim Hausrecht von Schutzräumen

Immer noch offen und sowohl von Befürwortern wie Gegnern des Vorhabens scharf kritisiert ist die Frage nach Schutzräumen für Frauen, beispielsweise Saunen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) ließ in den Gesetzestext sinngemäß schreiben, dass gegebenenfalls das Hausrecht, falls vom Betreiber gewünscht, eine Zugangsverweigerung von Trans-Frauen für solche Räumlichkeiten ermögliche.

Dem widersprach vehement die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, und erklärte, ein solche Vorgehensweise nur aufgrund der Transgeschlechtlichkeit einer Person sei diskriminierend und verstoße damit klar gegen das Anti-Diskriminierungsgesetz. Bisher hat der Gesetzgeber in diesem Fall keine eindeutige und klar formulierte Entscheidung getroffen. Auch grundsätzliche Befürworter des aktuellen Entwurfes kritisieren hier die unklare Haltung der zuständigen Ministerien, die am Ende zu einer Welle von Klagen führen könnte.

Politische Uneinigkeit beim Selbstbestimmungsgesetz

Mehrere Frauenverbände, einzelne Trans-Vereine (Vereinigung Transsexuelle Menschen) sowie auch einige schwul-lesbische Verbände haben sich inzwischen gegen das Vorhaben in seiner derzeitigen Form ausgesprochen, die große Mehrheit der queeren Vereine befürwortet die Pläne, teilweise mit Abstrichen.  Inzwischen wird offenbar auch politisch darüber gestritten, in dieser Woche erklärte zuletzt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, dass er zwar grundsätzlich für eine Änderung des aktuellen Transsexuellengesetzes ist, ihm das geplante Selbstbestimmungsgesetz aber gerade mit Blick auf mögliche juristische Geschlechtswechsel bei Minderjährigen zu weit gehe. Man müsse Kinder vor gesundheitlichen Risiken, falschen Entscheidungen und schädlichen Einflüssen bewahren, gerade wenn es um die geschlechtliche Identität geht, so Merz.

Ebenso kritisch blicken erste SPD-Politiker auf den aktuellen Gesetzestext, beispielsweise die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann. Starker Zuspruch kommt indes von den Grünen, die FDP zeigt sich hier offenbar intern teilweise noch unentschlossen. Justizminister Buschmann sprach sich zwar für das Selbstbestimmungsgesetz aus, war aber auch der maßgebliche Motor für Änderungen an den ersten Textentwürfen seitens der Grünen. Die Linke unterstützt das Selbstbestimmungsgesetz, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht indes bezeichnet es als „absurd“.

Geteiltes Echo in den Medien

In den Medien zeigt sich ebenso ein geteiltes Bild, während einige Unternehmen wie der Tagesspiegel sich für das Vorhaben aussprechen, gab es zuletzt immer wieder Kritik von der Welt, dem Focus, der FAZ oder auch der NZZ. Der Focus will im aktuellen Entwurf auch eine große Gefahr für weitere gesellschaftliche Risse in der Bevölkerung erkennen und hält fest: „Das Ampelgesetz greift ein in den ´Gewissheitsbestand´ der Bevölkerung. Das macht seine Brisanz aus. Und es wirkt, unter dem Deckmantel der Toleranz gegenüber einer sexuellen Minderheit, bevormundend. Das Selbstbestimmungsgesetz verlangt, bei Strafe, dass sich eine große Mehrheit von mehr als 99 Prozent der Bürger der identitären Sicht einer Minderheit von rund einem halben Prozent anschließt. Und das macht seine toxische Mechanik aus.“

Und die FAZ schreibt in dieser Woche, dass die Regierung „gut beraten“ wäre, das Gesetz geduldig zu begründen und auf Einwände einzugehen – und es „zu entschärfen, wenn nicht, zumindest in dieser Form, zu begraben“. Anderenfalls, so die FAZ, könnte man Menschen einen weiteren Grund liefern, die AfD zu wählen.

Weiterer Zeitplan ungewiss

Wie es nun mit dem Selbstbestimmungsgesetz tatsächlich weitergeht, ist aktuell offen. Bereits vor über einem Jahr sollte es ursprünglich einmal ins Kabinett eingebracht werden. Sollte die Ampel-Koalition das Gesetz im Herbst dieses Jahres tatsächlich verabschieden, könnte es im ersten Halbjahr 2024 in Kraft treten. Schon jetzt haben mehrere Verbände angedroht, dann Klage einreichen zu wollen.

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