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SCHWULISSIMO fragte nach bei Dr. Hanna-Marie Weichel, Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin aus dem Fachbereich Infektiologie des Ambulanzzentrums des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
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DoxyPEP Ein Antibiotikum als Schutz vor Geschlechtskrankheiten?

ms - 03.09.2023 - 17:00 Uhr

Ungeschützter Sex – eine Tablette danach und alles ist gut? Diese Wunschvorstellung als Schutz vor Geschlechtskrankheiten (STI) trieb in den letzten Wochen online teils skurrile Blüten, nachdem die Ergebnisse einer neuen US-Studie veröffentlicht worden waren. Rund 500 Probanden nahmen an der Studie teil, dabei wurde ihnen (im Gegensatz zur Kohorten-Vergleichskontrollgruppe) mehrmals im Monat jeweils innerhalb von 72 Stunden nach einem sexuellen Kontakt ohne Kondom eine Tablette des Antibiotikums Doxycyclin verabreicht. Die Einnahme konnte das Risiko einer Ansteckung mit Syphilis und Chlamydien um rund zwei Drittel senken, weniger wirksam war die sogenannte DoxyPEP allerdings bei Gonokokken. Eine Studie aus Frankreich kam zuvor bereits 2018 zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Kann die DoxyPEP also zum Game-Changer für sexuell aktive Homosexuelle werden? SCHWULISSIMO fragte nach bei Dr. Hanna-Marie Weichel, Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin aus dem Fachbereich Infektiologie des Ambulanzzentrums des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Seit Jahren hören wir immer wieder, dass die Antibiotika-Resistenzen zunehmen, immer öfter muss zu stärkeren Präparaten gegriffen werden. Ist es bei solchen Entwicklungen nicht geradezu gefährlich und töricht, leichtfertig ein Antibiotikum als STI-Prophylaxe einzunehmen?

Die zunehmende Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ist ein großes Problem. Der Einsatz von Antibiotika ohne gesicherten Nutzen für Patient:innen sollte vermieden werden. Wie es nun mit der Resistenzentwicklung durch die DoxyPEP aussieht, kann jetzt noch nicht abschließend geklärt werden. Die aktuelle Studie zeigt zumindest keinen signifikanten Unterschied im Auftreten von resistenten Erregern zwischen der Kohorte mit DoxyPEP und der Kohorte ohne DoxyPEP im beobachteten Zeitraum. Der Zeitraum von einem Jahr ist aber recht kurz, und es fehlen noch Langzeitdaten.

Ebenso befürchtet wird, dass eine breite Vergabe von Doxycyclin das Auftreten arzneimittelresistenter Erreger, insbesondere von Staphylokokken, weiter befeuern könnte. Wie bewerten Sie diese Gefahr?

Der Einsatz von Antibiotika bei sexuell aktiven Menschen, die sich häufig mit Chlamydien, Gonokokken oder Syphilis infizieren, ist im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöht. Welchen Einfluss die DoxyPEP auf das Spektrum der multiresistenten Erreger hat, ist noch nicht klar. In der aktuellen Studie wurde tatsächlich ein leicht erhöhtes Auftreten von Tetracyclin-resistenten Staphylokokken in der Kohorte mit DoxyPEP im Vergleich zur Kohorte ohne DoxyPEP beobachtet.

Bestehen denn abseits von Resistenzen weitere Komplikationsmöglichkeiten und Gefahren von Nebenwirkungen, wenn die DoxyPEP regelmäßig eingenommen werden würde?

Magen-Darm-Beschwerden und Lichtsensibilisierung gehören zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von Doxycyclin. In seltenen Fällen kann es auch zu einer Nierenschädigung kommen. Bei Überdosierung kann die Leber geschädigt werden. Es bestehen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, unter anderem mit Blutverdünnern, Akne-Medikamenten und Diabetesmitteln, und die gleichzeitige Einnahme kann zu gefährlichen Komplikationen führen. Für die Behandlung von Infektionen wird Doxycyclin bisher über einen kurzen Zeitraum von üblicherweise 7 bis 21 Tagen eingenommen. Wie häufig Nebenwirkungen im Rahmen der DoxyPEP auftreten, muss noch erfasst werden.

Die Nachrichten über Doxycyclin als STI-Nachsorge machen bereits jetzt die Runde, es besteht die berechtigte Gefahr, dass gerade sexuell sehr aktive schwule und bisexuelle Männer (MSM) leichtfertig und eigenmächtig auf Doxycyclin zurückgreifen.

Die eigenmächtige Einnahme ist eine große Gefahr, da dieses Antibiotikum in vielen Medizinschränken liegt. Von einer Selbstmedikation ohne vorheriges Beratungsgespräch raten wir unbedingt ab. Es gibt aktuell noch keine Empfehlungen zur DoxyPEP in den Leitlinien. Die Entscheidung über die Einnahme der DoxyPEP sollte abhängig von dem individuellen STI-Risiko sein und auch Begleiterkrankungen miteinbeziehen. Sehr wichtig ist auch, dass die aktuelle Studie in den USA durchgeführt wurde. Dort ist die Rate an Tetracyclin-resistenten Gonokokken geringer als in Deutschland.

Auch wenn DoxyPEP im großen Stil also wahrscheinlich nicht sehr zukunftsträchtig sein mag, wurde doch festgehalten, dass die Einnahme für eine „selektive Gruppe“ sinnvoll sein könnte, explizit wurde hier auf sexuell aktive MSM hingewiesen. Ihre Meinung dazu?

Wir denken, dass die DoxyPEP für eine bestimmte Gruppe mit hohem Risikoprofil im Einzelfall sinnvoll ist. In diese Gruppe gehören Personen, bei denen zum Beispiel kürzlich mindestens eine STI diagnostiziert wurde. Es sollten im Rahmen der DoxyPEP dann aber regelmäßige ärztliche Gespräche zur Risiko-Nutzenbewertung geben.

In den USA wie aber auch in Deutschland verbreiten sich STI gerade wieder vermehrt in der schwulen Community. Werden die Gefahren von MSM zu sehr „auf die leichte Schulter“ genommen oder welche Erfahrungen machen Sie?  

Wir sehen in der Praxis, dass bei Patient:innen, bei denen häufig STI auftreten, ein hoher Leidensdruck besteht. Diagnose und Therapie bringen einen zusätzlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand für Patient:innen sowie mögliche negative Auswirkungen, beispielsweise Probleme in der Beziehung oder eine Ansteckung von Sexualpartner:innen mit sich. Unserer Erfahrung nach ist die Nachfrage nach HIV-PrEP und STI-Testungen aktuell groß, und es gibt gerade im ländlichen Raum zu wenig Angebote. Ferner ist noch erwähnenswert, dass die DoxyPEP keinen Schutz vor einer Ansteckung mit viralen Erregern wie beispielsweise Hepatitis B und C bietet. (ms)

 

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