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Dr. med. Christoph Spinner
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Dr. med. Christoph Spinner „Gerade Menschen mit HIV sollten sich impfen und boostern lassen“

km - 26.12.2021 - 10:00 Uhr

Seit fast zwei Jahren bestimmt das SARS-CoV-2-Virus unser gesellschaftliches und oft auch individuell privates Leben. Wir können dankbar sein, dass HIV – wenn konsequent behandelt – nicht mehr lebensbestimmend sein muss: Ein robustes Regime mit teilweise nur einer Tablette pro Tag kann die Viruslast dauerhaft unter Nachweis halten und auf lange Sicht nachhaltig erfolgreich sein. Während bei HIV eine Vielzahl möglicher Regime zum Einsatz kommen, gibt es bei COVID-19 aktuell erst nur wenige zugelassene antivirale Arzneimittel, welche die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmen können. Das Risiko zu erkranken, lässt sich durch eine Impfung signifikant senken. Soweit, so gut. Aber was wissen wir konkret darüber, was COVID-19 für Menschen mit HIV bedeutet? Darüber haben wir gesprochen mit Privatdozent Dr. med. Christoph Spinner, Oberarzt, Pandemiebeauftragter und Facharzt für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Infektiologie an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.

Welches Risiko stellt COVID-19 für Menschen mit HIV dar?
Nachdem wir am Anfang nicht ganz sicher waren, ob Menschen mit HIV möglicherweise ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben, wissen wir heute, dass die HIV-Erkrankung über die Immunschwäche-Erkrankung zu einem mild bis moderat erhöhtem Risiko schwerer COVID-19 Verläufe führt. Wenn die HIV-Infektion gut eingestellt und behandelt ist, dann ist das Risiko eigentlich für schweres Covid-19 nicht wesentlich erhöht. Bei unbehandelter HIV-Infektion ist das Risiko hingegen durchaus erhöht, insbesondere auch bei niedriger CD4-Helferzellzahl.
Außerdem spielt weltweit vor allem auch die Häufung von HIV-Infektionen bei Menschen in einzelnen sozialen Gruppen eine wichtige Rolle: Viele Menschen mit HIV haben es, weil es ihre wirtschaftliche Situation oft nicht erlaubt, sehr viel schwerer, sich an Social Distancing („AHA+L) Regeln zu halten. In Deutschland trifft das glücklicherweise nur bedingt zu, wobei es auch hier Betroffene gibt. 

Eine funktionierende HIV-Therapie kann auf lange Sicht das Immunsystem schützen. Wie sieht es aus mit dem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf auch bei guten Helferzellzahlen?
Es gibt Studien, unter anderem auch von deutschen Arbeitsgruppen, an denen wir auch beteiligt waren, die Hinweise darauf geben, dass niedrige CD4-Helferzellzahlen mit einem höheren Risiko für schwere COVID-Verläufe einhergehen. Sprich: gerade Menschen mit einer unentdeckten HIV-Infektion oder ohne wirksame Therapie haben damit auch ein höheres Risiko von schweren COVID-19-Verläufen. Wir wissen heute, dass eine gut behandelte HIV-Infektion – also unter Nachweisgrenze – kaum ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf hat. Die üblichen Risikofaktoren für schwere Covid-19-Verläufe betreffen aber auch Menschen mit HIV:  Übergewicht, männliches Geschlecht, Diabetes mellitus und andere erhöhen das Risiko erheblich.

Welchen Stellenwert messen Sie Booster-Impfungen für Menschen mit HIV bei und wann sollten sich Menschen mit HIV um eine Auffrisch-Impfung bemühen?
Im Grunde gilt, was für die Allgemeinbevölkerung gilt. Booster-Impfungen etwa 5-6 Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung werden für alle erwachsenen Menschen empfohlen. Einzige Ausnahme ist die einmalig verabreichte mit dem Johnson & Johnson-Vaccine: Hier soll bereits ab vier Wochen die Booster Impfung mit einem mRNA-Impfstoff erfolgen. Booster-Impfungen sind in jedem Fall gerade für Menschen mit HIV immens wichtig, um den vollen Schutz vor Covid-19 zu erhalten.

Wirksamkeit und Sicherheit der zugelassenen Impfstoffe sind in Studien belegt. Wurden in die Zulassungsstudien auch Menschen mit HIV eingeschlossen und gibt es Daten für diese spezielle Patientengruppe?
Ja, in mehreren Zulassungsstudien wurden Menschen mit HIV eingeschlossen. So waren zum Beispiel in der Spikevax Zulassungsstudie des Moderna-Impfstoffs oder der Johnson & Johnson Zulassungsstudie auch Menschen mit HIV zugelassen. Inzwischen gibt es darüber hinaus viele Kohortenstudien aus dem echten Leben, die ebenso Menschen mit HIV eingeschlossen haben. Zusammenfassend lässt sich derzeit sagen, dass für Menschen mit HIV bezüglich der COVID-Impfung keine Besonderheiten bestehen.

Wirken Impfungen bei Menschen mit HIV genauso gut wie bei Menschen ohne? Gibt es hier Unterschiede bei der Höhe und Dauer des Impfschutzes?
Das ist nicht abschließend geklärt. In den kontrollierten Zulassungsstudien sind zu wenige Menschen mit HIV eingeschlossen, um für die verschiedenen Subgruppen zuverlässige Aussage treffen zu können. Sehr wahrscheinlich gilt, je niedriger die Helferzellen, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit des Impfansprechens. Also gerade Menschen mit HIV sollten sich impfen und boostern lassen.

Hat die antiretrovirale Therapie Einfluss auf die Impfwirkung oder den Verlauf einer möglichen COVID-19-Erkrankung?
Zu Anfang der Pandemie diskutierte Wirksamkeit verschiedener HIV-Präparate bewährte sich weder im Labor noch im echten Leben. Eine antiretrovirale Therapie ist zwar antiviral gegen HIV wirksam, aber nicht geeignet, um COVID19-Infektionen zu verhindern oder therapieren – jedenfalls nicht in den zur HIV Therapie eingesetzten Dosierungen.

Sie sehen als Infektiologe in Ihrer klinischen Praxis Menschen mit HIV. Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihre Patient*innen ausgewirkt? Glauben Sie, dass die Pandemie die Community verändert hat?
Ja, glaube ich definitiv, denn das Sozialleben hat sich verändert. Soziale Kontakte sind häufig reduziert worden, Clubs und Bars waren lange geschlossen. Auch viele Menschen mit HIV haben ihr soziales Kontaktverhalten verändert. Ausgehen, Party, soziale Kontakte, Sex – vieles war nicht möglich wie zuvor. Gerade für Menschen ohne Partnerschaft hat die Pandemie auch eine erhebliche psychosoziale Belastung mit sich gebracht.

Hatte der Lockdown bzw. die Pandemie auch Auswirkungen auf STI?
Ja sicher – aber nicht nur wie erwartet. Sexuell übertragbare Infektionen haben in Deutschland mehrheitlich weiter zugenommen, insbesondere Syphilis und Chlamydien, wie unveröffentlichte Daten zeigen. Dennoch haben manche Schwerpunktpraxen den Betrieb eingestellt. Begründet wurde dies mit der Tatsache, dass aufgrund des Lockdowns auch keine Sozialkontakte erfolgen dürfen und daher auch keine HIV Prävention (PrEP) benötigt würde. Das Gegenteil ist der Fall! Während der Pandemie stieg die Anzahl der PrEP Nutzer sogar weiter an. Sexuelle Gesundheit ist und bleibt in jedem Fall auch während der Pandemie wichtig!

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