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Die unentschlossene Generation

Die unentschlossene Generation Lost in der Sehnsucht nach der Liebe

ms - 27.05.2023 - 17:00 Uhr

Es besteht die berechtigte Chance, dass dieser Text gerade für jüngere Leser schnell den Eindruck erweckt, er sei von einem älteren Herrn geschrieben worden, ganz so, als würde Großvater aus dem Krieg erzählen. Man lehnt sich zurück in der Gewissheit, dass jene Zeiten längst vergangen sind und mit dem modernen Leben nichts mehr zu tun haben. Doch vielleicht mag man sich in einer Einschätzung vorschnell irren, nämlich jener, dass sich das heutige Leben nur bedingt in diesen Zeilen widerspiegelt. Ältere Männer haben einen großen Vorteil in der schwulen Community, ihre testosterongeschwängerte Jagd nach der Beute für die kommende Nacht weicht mitunter der Vorliebe, einfach nur noch mit einem netten Getränk an einer Bar zu sitzen und dem uralten Spiel der Anbahnungstriebe zu lauschen. Das schafft Raum dafür, auch die eine oder andere Gesprächsrunde mitzubekommen und jenseits des Offensichtlichen zu hören, nach was sich die junge Generation schwuler Männer sehnt. In einem haben die jungen Leser natürlich trotzdem recht, hier schreibt ein alter Mann über 40 Jahre, der zwar keinen Krieg, aber immerhin die Verteilungsschlachten um Startplatzpositionen von CSD-Wagen bei der einen oder anderen Pride-Parade miterlebt hat – auch das härtet ab fürs restliche Leben und hinterlässt Kriegswunden.

Die Suche nach dem perfekten Partner. Oder darf der Freund auch ein wenig durchgeknallt und nervig sein? © iStock/NeonShot

Beginnen wir damit, über unsere Männer zu reden, also jene, die länger bleiben als bis zum kleinen Tod, dem Orgasmus, nachdem wir uns Nacht für Nacht wie Dracula nach dem Jungfrauenblut verzehren. Früher nannten wir die Männer, die blieben, jene, die wir sogar liebten und mit denen wir trotzdem auch Sex hatten, unsere Freunde. „Das ist mein Freund“, sagten wir stolz und mit einer besonderen Betonung auf „Freund“ sowie einem langgezogenen „mein“, damit klarwurde, was wir meinten. In einer ersten Verliebtheit vor allem mit dem ersten Freund trieben wir es gerne viel zu bunt, solange, bis wir unseren gesamten Freundeskreis in den Wahnsinn getrieben hatten und die besten Freunde schlussendlich Wetten drauf abschlossen, wann es endlich vorbeisein möge. Wann endlich aus dem „Wir waren gestern im Kino, wir haben gestern gekocht, wir sind am Wochenende im Park gewesen“ wieder ein verträgliches „Ich“ geworden war. Waren wir dann selbst an der Reihe und wurden vom „Wir-Wahn“ eines frisch verliebten Freundes heimgesucht, rollten wir gedanklich mit den Augen – natürlich durchaus auch mit einer Spur von Neid ob dieses unerwarteten Glückes. Wie konnte der einen so sexy Kerl abbekommen? Wer hätte auch ahnen können, dass wir uns einmal nach diesen „Wir“-Paaren zurücksehnen werden, jenen, die uns einst unfassbar genervt haben mit ihrer Aufdringlichkeit, mit der uns heutzutage vor allem gerne Veganer erzählen, dass mit jedem Stück Rindersteak die Welt augenblicklich ausstirbt. Rückblickend bleibt die Erkenntnis, dass wir es noch mit Paaren zu tun hatten, die sich trauten, tatsächlich auch eines zu sein und sich so zu benennen.

Früher nannten wir die Männer,
die blieben, jene, die wir sogar
liebten und mit denen wir trotzdem
auch Sex hatten, unsere Freunde.

Vielleicht rührte dieser drängende Wunsch, die Welt Anteil nehmen zu lassen an unserer Zweisamkeit, auch schlicht aus der Erkenntnis, dass dieser uns so lange verwehrt worden war. Auch wenn die Abschaffung des Paragrafen 175, dem Verbot von gleichgeschlechtlichem Sex unter Männern, bald dreißig Jahre zurückliegt, erinnerten wir uns auch in unserer Jugend in den 1990er und Nullerjahren noch schmerzlich daran. Es war jene Zeit, in der wir noch immer bespuckt und auf offener Straße beschimpft worden sind, nur weil ein zu bunter Pullover eine vermeintliche Homosexualität erahnen ließ. Jene Zeit, in der die bayerische Regierung noch gerne von Teufelsanbetung sprach, wenn es um die Idee von einer gleichgeschlechtlichen Ehe ging. Es waren diese Tage, an denen uns die damals Älteren erzählten, wie sie noch inhaftiert und verfolgt worden waren in der Nachkriegszeit in Deutschland. Und nun konnten wir vermeintlich frei heraus sagen, wir sind verliebt. Mehr noch, wir sind ein „Wir“, ein Paar. Welch eine Freude! Uns blieb gar nichts anderes übrig, als es mit dieser freudigen Bekundung zu übertreiben und gleichzeitig auch der immer noch tödlichen Bedrohung von HIV damit zudem den Stinkefinger zu zeigen.

Vieles hat sich seitdem verändert, manches auch nicht. Noch immer wünschen sich mit Blick auf die Umfragen der Deutschen Aidshilfe der letzten Jahre rund 90 Prozent der jungen schwulen Männer in Deutschland eine Beziehung. Das Aufkommen der ersten Online-Plattform für schwules Dating glich damals einer Revolution, noch dazu, wenn man als schwuler Mann jenseits der großen Städte wie Berlin, Köln, Hamburg oder München aufwuchs. Heute haben junge Männer die Qual der Wahl und können ihre digitale Suche nach dem Traumprinzen bis hin zur Wunschangabe in Zentimetermaßen verfeinern. Die Auswahl scheint schier endlos und ebenso wird auch Zweisamkeit gelebt. Aus „meinem Freund“ werden beinahe geschlechtslose Partner:innen, Lebensabschnittsteilzeitzwischengefährten oder auch gerne einfach der „Kerl, der mir morgens den Kaffee ans Bett bringt“ – so gelesen in einem beliebten Blog eines schwulen jungen Autors.

Der gemeinsame Blick auf viele glückliche Jahre, zusammen, Hand in Hand. © iStock/Daniel Megias

Bin ich bereits spießig, wenn ich das irgendwie seltsam finde? Verwandelt sich meine Generation schwuler Männer binnen eines Atemzugs sozusagen über Nacht von den einstmals Progressiven zu den alteingesessenen Etablierten? Schwul allein ist nicht mehr cool und schon gar nicht „gut so“, sondern beinahe schon düsteres Establishment und daher abzulehnen? Am Ende ist es nicht wichtig, wie sich schwule Männer heute gerne benennen – und wie ihre Partner. Denn am Ende bleiben es zwei Männer, die sich begehren, die sich lieben und die auch in all die Beziehungsfallen tapsen, in die wir gefallen sind. Trotzdem drängt sich einem der Eindruck auf, dass meine Generation in einer schwierigeren, homophoberen Zeit als heute gestärkter durchs Leben ging als es viele junge Verliebte jenseits der Heterosexualität heute tun. Es ist dabei nicht nur die Fragilität und die Vielfältigkeit der eigenen Möglichkeiten, sondern auch diese hauchdünne Beziehungsmembran, die heute viele Paare nur noch zaghaft, beinahe unsichtbar, zu verbinden scheint. Ein Windhauch, ein leichtes Zittern und die ersten Risse scheinen sofort aufzutreten.
Ein Eindruck, der täuscht? Vielleicht, denn sicherlich kann ich nicht für eine ganze Generation sprechen – und ich würde es auch nicht wollen. Sehr wohl aber für den Kreis der jungen Freunde, die ich habe, und für die jungen Menschen, die für kurze Zeit mein Leben teilen und die bereit sind, mir ihre Geschichten zu erzählen. Und ich lausche, so wie das ältere Herren eben gerne tun. Früher reichte eine unterschiedliche Vorliebe für ein Reiseziel oder ein internationales Restaurant noch nicht aus, um den potenziellen Partner sogleich abzuschreiben und gehen zu lassen. Heute kann mancherorts schon die Wahl der Nachspeise über die Dauer einer Beziehung entscheiden. Natürlich war damals deswegen nicht alles besser in jenem „Früher“, das für alte Männer immer auch ein Stück weit Verklärung bereithält. Dessen bin ich mir bewusst. Und es heißt auch nicht, dass wir damals alles nahmen, was da kam – wenigstens nicht nur – und es bedeutet ebenso nicht, wir mussten alles nehmen, was da so kommt, aber wir erlaubten uns doch einen zweiten oder dritten oder auch vierten Blick hinter den Vorhang der Oberflächlichkeiten. Allein die geringe Anzahl unserer Brüder mahnte uns dazu, genauer zu hinterfragen, ob wir unser Gegenüber wirklich so schnell ablehnen wollen – und warum?

Das klingt erneut nach Zwang, nach Verzweiflung vielleicht, doch war und ist es das gar nicht. Wir waren nur bestimmt dazu, wenigstens nach der ersten Sturm-und-Drang-Phase, den Menschen hinter der Fassade anzuschauen. Das war spannend, ging einher mit Reibung und Kompromiss, sicherlich, doch auch mit einer intensiven und intimen Verbindung, die heute so vielen jungen Menschen zu fehlen scheint oder die sich einer solchen bewusst wie unbewusst entziehen. Das mag durchaus sogar verständlich sein, denn Verletzungen erfährt jede junge schwule Generation genauso wie wir Älteren. Sie mögen in anderer Verpackung daherkommen und von anderen Lippen ausgesprochen werden, doch die schmerzhaften Aussagen sind heute wie damals gleich und flüstern uns weiter zu: Du bist minderwertig, ekelhaft, kein „normaler“ Mensch. Wie verständlich mag es da sein, sich irgendwann schützen zu wollen, ja, schützen zu müssen? Noch dazu, wenn junge Männer digital immer wieder und immer leichter verletzt werden? Es macht einen Unterschied, jemandem zu sagen, dass er hässlich ist, wenn man die verbalen Giftpfeile nur anonym tippen anstatt von Angesicht zu Angesicht aussprechen muss.

"Jeder, den du kennst,
kämpft eine Schlacht,
von der du nichts weißt.
Seit nett. Immer.“

Robin Williams

Natürlich mag eine Vielfalt an Angeboten und Möglichkeiten einerseits auch deutlich interessanter sein als vor einigen Jahrzehnten, doch oftmals verkommt unsere moderne Vielfalt trotzdem andererseits schnell zur Einfalt. Vorschnell wird aussondiert, vorschnell sind viele zutiefst emotional getroffen, weil ihr Date die gewünschten Pronomen falsch ausgesprochen hat. Man mag jeden emotionalen Schmerz verstehen, ich halte es da ganz wie der verstorbene Schauspieler Robin Williams, der einst sagte: „Jeder, den du kennst, kämpft eine Schlacht, von der du nichts weißt. Seit nett. Immer.“ In Zeiten von tausend Dating-Portalen klingt dieser Ratschlag tatsächlich inzwischen großväterlich. Und auf der anderen Seite blickt meine Generation von schwulen Männern oftmals aber auch mit einem gewissen Unverständnis auf die emotionalen Erschütterungen der Jugend, kurzum, wir können die Sache vielleicht einfach nicht immer ganz ernst nehmen, denn als wir selbst junge Männer waren vor zwanzig oder dreißig Jahren, war die Bundesrepublik wie gesagt eine andere. Wir mussten kämpfen, um zu küssen. Wir wurden bestenfalls medial ignoriert oder zum Skandal für eine Nacht in das Licht der Manege gezerrt, wo die mediale aber nicht digitale Zuschauerschar nach Absonderlichkeiten verlangte. Was heute zu einem reinen Fetisch verkommen ist, Sex auf Toiletten, Klappen oder in der freien Natur, war früher eine Notwendigkeit, wollte man nicht gänzlich abstinent leben. Kamen wir aus diesen Nächten siegreich hervor und hatten einen Mann gefunden, den wir „meinen Freund“ nennen wollten, brauchte es mehr als eine leichte Brise, um uns vom Gegenteil zu überzeugen. Das ließ uns am Ende mit Männern älter und bestenfalls alt werden, die wir liebten, auch wenn sie nicht perfekt waren, auch, wenn sie uns manchmal in den Wahnsinn trieben und das bis heute noch tun. Doch jene Männer blieben nicht nur in jener Nacht, sondern auch bei jedem darauffolgenden Sturm an unserer Seite und wir merkten, dass es darauf wirklich ankommt. Ein Glück, das ich jungen schwulen Männern heute im undurchdringbaren Dschungel  der vielfältigen Möglichkeiten mehr denn je wünsche.

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