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Kalle Wahle
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Umfrage CSD - Früher war mehr Lametta?

vvg - 28.08.2022 - 17:00 Uhr

Wie alles auf der Welt, hat sich auch der CSD verändert. Soll man sich streiten, ob diese Veränderung zum Positiven oder Negativen geschah? Fest steht: Positiv ist, dass wir seit den Gründerjahren viel sichtbarer geworden sind. Unsere Forderungen wurden angenommen, Gesetze geändert, die Menschen wurden freier und mutiger und gehen mit ihren Forderungen auf die Straße. Durch die Corona-Einschränkungen der letzten beiden Jahre nutzen derzeit die Menschen jede Chance, um draußen zu feiern und zu leben. Dies darf so bleiben, und wir hoffen, dass uns das Virus, oder andere schlimme Dinge nicht wieder Hausarrest auferlegen. Viel hilft viel!? Gilt diese Weisheit auch bei den CSDs? Nicht unbedingt, denn es ist schon seit Anfang des Jahrzehnts ein Mangel der Disziplin bei den Demo-Teilnehmern zu beobachten. Früher wurde wie zu Karneval-Umzügen nahezu geordnet demonstriert. Heute haben unsere Ordner große Mühe den Mottowagen an der Demospitze zu halten.

Das Alter der Demonstrierenden ist gesunken, und Jugendliche, die im Elternhaus weder Disziplin noch Respekt erfahren haben, gehen – wie ich meine - nicht für Menschrechte und Gleichstellung auf die Straße, sondern eher dafür, dass man sich benehmen kann, wie man will! Was wollen die jungen Menschen? Laut, egoistisch und unaufmerksam sein? Dies ist keine gute Außenwirkung für unsere Community! „Hug me“ und „Kiss me“ auf Pappe oder auf den nackten Körper geschrieben, sind wahrlich keine politischen Aussagen. Ich würde mir wünschen, dass diese Entwicklung keine Auswirkungen auf unsere langjährigen Aktivitäten hat, und sehe es als Aufgabe – nicht nur von uns CSD-Organisatoren – Ordnungs-, Jugendämtern und Schulbehörden mit zu Rate ziehen. Wenn Sanitäter die Eltern eines 15jährigen um Hilfe anrufen, Ihren Schützling heim zu holen, diese dazu aber Ablehnung zeigen, macht dies schon nachdenklich.

Kalle Wahle, CSD der Landeshauptstadt Düsseldorf

 

Hugo Winkels © vvg

Der ColognePride 2022 war sehr beeindruckend für alle Teilnehmenden. Nach zwei kleineren Corona bedingten Demos, wurde es Zeit für ein großes Wiedersehen. Über 1,4 Millionen Menschen haben die CSD-Demo bei strahlendem Sonnenschein in der Kölner Innenstadt gefüllt, bunt gemacht und ein Zeichen für eine diverse Gesellschaft gesetzt. Eine Zahl, die alle ehrenamtlich Mitwirkenden ziemlich stolz macht. Danke dafür an jeden Einzelnen. Das Erscheinungsbild hat sich an manchen Stellen gewandelt. Die Teilnehmenden werden jünger und die ältere Generation immer weniger sichtbar. Um unsere Vielfalt zu zeigen, gehören die verschiedenen Generationen dazu. Früher gab es keine alte Generation in der Community, weil diese aufgrund von §175 nicht existieren durfte. Heute können wir uns in jedem Alter zeigen, das sollten wir auch! Wir laufen bei dieser Größenordnung aber auch Gefahr, dass Gruppen unsere Aufmerksamkeit nutzen, um für ihre eigenen Ideologien zu werben. Ideologien, die mit den Gedanken des ColognePride nichts zu tun haben und von uns nicht unterstützt werden. Bei solchen Themen äußern wir uns klar dagegen. Es geht um Menschenrechte in und rund um die LGBTIQA* Themen.

Da unsere Community sehr vielfältig ist, ist es manchmal für Außenstehende nicht einfach, alle Untergruppierungen zu verstehen. Alleingänge vereinzelter Gruppen für eine bessere Wahrnehmung, machen die Arbeit für alle nicht einfacher. Wir wirken dann kleiner als wir sind. Wichtig ist es uns gemeinsam als LGBTIQA* Community zu präsentieren. In über 50 Jahren haben wir sehr viel für unsere Rechte erreicht, was wir auch zukünftig fortsetzen müssen. Das ist nur gelungen, weil wir VIELE.GEMEINSAM.STARK! waren und sind. Genau das müssen wir bleiben, egal aus welcher Richtung der Community wir stammen. Der friedliche Kampf um unsere Menschenrechte geht uns alle an!

Hugo Winkels, Pressesprecher Cologne Pride

 

Reinhard Thole © vvg

„War früher mehr „Lametta“? Ich denke nein. Das „Lametta“ ist nur anders, vielfältiger geworden – wobei die grundsätzlichen Diskussionen um den CSD heute wie damals die gleichen sind. Denn als CSD- bzw. Pride-Organisator*innen gehen wir jedes Jahr erneut auf eine Gradwanderung: Wie politisch muss ein Pride sein? Was steht politisch im Fokus, bei den vielen Themen wie Art. 3 GG, Krieg oder Rassismus, die uns aktuell beschäftigen? Wie viel Spaß darf eine Demonstration machen? Wie viel Party haben? Wie kommerziell darf ein Pride sein? Wie bringen wir alle Einzelinteressen der Communities unter einen Hut? Ich habe schon vor Jahren aufgegeben, von „der Community“ zu sprechen. Gerade in Berlin hat sich gezeigt und zeigt sich immer wieder, wie divers(ifiziert) diese Communities sind und wie unterschiedlich, oft gegensätzlich die Interessen und Meinungen sein können. Eines vereint uns weiterhin inhaltlich: Das gemeinsame Engagement gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung von queeren Menschen. Muss es dazu eine Großdemo wie in Berlin geben? Ich meine ja. 2019 waren es eine Million Menschen, die sich am Berlin Pride beteiligt haben. Das zeigt mir mehr als deutlich: Wir brauchen weiterhin die ganz großen Prides, die aus meiner Sicht eine ganz besondere politische Strahlkraft haben, und auf denen im gleichen Moment die Liebe und das Leben in vollen Zügen gefeiert wird – finanziell unterstützt von Unternehmen, die sich für ihre Mitarbeiterschaft und unsere gaymeinsame Sache engagieren. Dass wie in Berlin viele weitere kleinere Prides stattfinden, sehe ich als eine großartige Entwicklung. Es gibt eben nicht nur den einen Pride! Und je öfter wir auf die Straße gehen, immer wieder mit anderen politischen Botschaften, um so sichtbarer und gesellschaftspolitisch wirksamer sind wir. Deshalb: HAPPY Pride!“

Reinhard Thole, Beirat CSD Deutschland e.V.

 

Christian Karus

Ich organisiere seit 2012 den CSD in Duisburg. Seitdem stelle ich fest, dass sich immer mehr Vereine beteiligen, der Zulauf größer wird und wir in Duisburg mittlerweile ein fester Bestandteil sind.

Das Jahr 2022 tat auf jeden Fall richtig gut. Wir konnten 2020 und 2021 kein Straßenfest durchführen, sondern jeweils nur eine Demo. Dieses Jahr war sowohl die Demo als auch das Straßenfest möglich. Daher überwiegen die positiven Eindrücke: Endlich wieder viele lebensfrohe, offene Menschen, Freunde und Kooperationspartner sowie viele gut gelaunte Personen jedes Alters auf der Königstraße. Die Demo und auch das Straßenfest liefen relativ ruhig. Wir haben für sowas ja auch Security vor Ort und bei der Demo haben wir mit der Duisburger Polizei eine tollte Truppe, die uns unterstützt. Was mich aber erschreckt hat, war, dass in unmittelbarer Nähe zum CSD homophobe Anfeindungen laut wurden und auch Menschen aus der Community körperliche Gewalt erlebten! Das erschreckt mich in 2022!!

Schön zu sehen sind auch die vielen jungen Menschen, die sich neben dem Straßenfest auf den Wiesen versammeln. Das zeigt, dass ein CSD ein wichtiges Thema für die Jugendlichen ist. Aber wir würden uns wünschen, dass sich diese Jugendlichen mehr für die Community engagieren, als nur zu feiern und für Notarzteinsätze zu sorgen. Und die ältere Generation möchte ich ermutigen, sich auch offen zu zeigen und aktiv an dem CSD und den Veranstaltungen im Vorfeld teilzunehmen. Wichtig finde ich, dass wir auch in der Community lernen, dass Ältere ihre Verdienste haben, dass sie wichtig waren und sind und nicht als alte Säcke abgestempelt werden! Ganz im Gegenteil, ein CSD und eine Szene lebt vom gemeinsamen Miteinander aller!

Christian Karus, Duisburger CSD

 

Peter Offergeld © vvg

Als Hamburger nehme ich seit über 20 Jahren am CSD teil und war dieses Jahr wirklich sehr begeistert. Es war eine Freude zu sehen, wie sich der CSD in Hamburg weiterhin die Form einer Demonstration bewahrt hat, welche Forderungen sichtbar macht, Probleme aufzeigt und über Generationen hinweg die Teilnehmer eint. Der Hamburg Pride war fröhlich, bunt, ungezwungen und hat sich positiv entwickelt, er ist in der Mitte der Stadt nicht nur angekommen, sondern wird auch wahrgenommen und mischt sich in wunderbarer Weise mit allen Hamburgern. Früher hatte ich schnell das Gefühl, in einer Blase unterwegs zu sein, auf die einige eher skeptisch oder mit Unverständnis schauten, zumal diese Demo ja an einem Samstag u.a. mitten durch die belebte Mönckebergstraße zieht. „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt.“ war das perfekte Motto und spiegelte sich am gesamten Wochenende in einer friedvollen Veranstaltung rund um die Binnenalster wider. Aber auch heute ist es dringend nötig, nicht zu vergessen, dass homophobe Gewalt grundsätzlich, ob psychisch oder physisch, aktuell eher zu- als abnimmt und da bildet Hamburg bestimmt keine Ausnahme.

Auffallend war die große Anzahl junger Teilnehmer, sowohl bei der Parade als auch beim Straßenfest. Für diese Generation scheint es so herrlich leicht zu sein, sich nicht nach dem Mainstream zu orientieren, was für die Generation, welche für Sie den Weg freigemacht hat, so gänzlich unmöglich war. Freuen wir uns darüber und danken allen, die den Weg bis hierher gegangen sind. Dieser ist aber nicht zu Ende und muss immer weiter beschritten werden – auch von der neuen Generation. Ob mehr oder weniger Lametta, es ist vor allem viel bunter geworden und das soll weiter sichtbar und präsent gemacht werden.

Peter Offergeld, CSD Hamburg

 

Spiess und Roncevic © vvg

Stonewall liegt nun schon 50 Jahre zurück und auch die unterschiedlichen CSD-Veranstaltungen und Formate in Deutschland können teilweise auf eine Geschichte zurückblicken, die sich in Jahrzehnten messen lässt. So wundert es nicht, dass verschiedene Generationen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgendern und anderen queeren Menschen mit ganz eigenen Erfahrungen und Perspektiven auf die CSDs blicken. Als SPDqueer sind wir in NRW bei fast allen CSDs dabei und nehmen hier die unterschiedlichen Blickwinkel und die damit verbundenen Erwartungen wahr. Leider bemerken wir immer öfter eine Art Generationenkonflikt. Einige junge Menschen sehen im CSD nur eine Gelegenheit, exzessiv zu trinken und zu feiern. Andere sind sehr woke und hochpolitisch unterwegs. Beide treffen auf die ältere Generation, die sich oft noch explizit als schwul oder lesbisch und nicht als queer identifiziert. Diese Älteren waren es, die beispielsweise noch den § 175 StGB am eignen Leib gespürt haben. Sie waren Vorkämpfer und Aktivistinnen, denen wir viel zu verdanken haben. Sie haben seinerzeit viel riskiert. Sie haben bewusst angeeckt und provoziert. Aber dadurch haben sie uns allen, auch den Jüngeren, viele Möglichkeiten und Freiräume erkämpft. Ohne sie könnten junge queere Menschen weder den CSD als ausgelassene Party feiern, noch hätten sie den gesellschaftlichen Rahmen, politische Diskurse mit großer Reichweite zu führen. Schnell wird heute das Wort von „alten, weißen Cis-Mann“ genutzt, um pauschal Kritik zu üben. Dabei wird nur übereinander statt miteinander geredet. Ein echter Diskurs, ein respektvoller Austausch, findet dabei selten statt. Dies tut uns nicht gut. Eine Community ist stark, wenn Solidarität und Respekt untereinander lebt. In Zeiten, in den Strömungen wie die AfD immer das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen, braucht es aber eine solche Community.

Spiess und Roncevic, Vors. und stellv. Vors. SPDQueer NRW

 

 

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